Читать книгу Einführung in die Literatur des Sturms und Drang und der Weimarer Klassik - Kai Kauffmann - Страница 9
3. Konzeption und Methode
ОглавлениеAspekte des Sturm und Drang und der Klassik
Gerade von Einführungen wird meistens erwartet, dass sie zu Beginn die allgemeinen Epochenbegriffe definieren und dabei die typischen Merkmale angeben, die in der anschließenden Darstellung von Strukturen, Prozessen und Problemen, Kontexten und Texten wieder aufgenommen und detaillierter beschrieben werden sollen. Ein solches Vorgehen kommt dem Bedürfnis von Studierenden nach einer schnellen Orientierung und einem leicht umsetzbaren Wissen entgegen. Dieses Bedürfnis versucht die vorliegende Einführung in die Literatur des Sturm und Drang und der Weimarer Klassik soweit zu befriedigen, wie es den Gegenständen angemessen erscheint. Nicht nur hat der Kapitelaufbau eine deduktive Tendenz. Vielmehr werden die wichtigsten Aspekte des Sturm und Drang und der Weimarer Klassik systematisch beschrieben und erörtert. Die Stichworte, die man mit den beiden Epochen verbindet, finden sich insbesondere in den Randglossen wieder. Was etwa mit den Stichworten Genieästhetik, Volkspoesie, Individualitätsdenken, Affektausdruck (Sturm und Drang), Autonomieästhetik, Kunstdichtung, Humanitätsgesinnung, Formvollendung (Weimarer Klassik) gemeint ist, wird in den zugehörigen Abschnitten referiert und diskutiert. Auch die abschließenden Interpretationen repräsentativer – oder exemplarischer – Werke setzen sich mit ihnen auseinander.
Heuristische Methode des Epochen- und Textvergleichs
Die Autoren der Einführung haben jedoch bewusst darauf verzichtet, einen Katalog von typischen Epochenmerkmalen zu formulieren oder, anspruchsvoller, idealtypische Epochenmodelle zu konstruieren. Denn die allgemeinen Annahmen über die Kennzeichen des Sturm und Drang und der Weimarer Klassik erweisen sich bei der Analyse der einzelnen Gegenstände oft als fragwürdig oder falsch. Besonders im Fall der Weimarer Klassik sind die literaturgeschichtlichen und -wissenschaftlichen Zuschreibungen massiv, weil es hier um die zentrale Epoche in der Konstruktion der deutschen Nationalliteratur geht. Die teleologischen und ideologischen Züge dieser Konstruktion treten in der traditionellen Verknüpfung des Sturm und Drang und der Klassik deutlicher hervor, sie liegen als verdeckte Implikationen aber teilweise auch den heute aktuellen, zwischen Sturm und Drang und Weimarer Klassik stärker trennenden Modellen zugrunde. Um die üblichen Epochenbilder des Sturm und Drang und der Klassik und das vertraute Entwicklungsschema der deutschen Literatur nicht einfach zu reproduzieren, setzen wir überwiegend auf die Methode des Vergleichs. Wir nutzen damit die Entscheidung der Reihenherausgeber, die beiden Epochen in einem Band zusammenzufassen, für eine Befragung der vorhandenen Konstrukte und Interpretationen. In allen Kapiteln und Abschnitten dieses Bandes werden der Sturm und Drang und die Weimarer Klassik nicht schematisch hintereinander abgehandelt, sondern heuristisch aufeinander bezogen. Dabei basieren auch die literatur- und diskursgeschichtlichen Überblicke auf der differenzierenden Analyse einzelner Texte. Anstatt den Band mit einer Reihe von exemplarischen Interpretationen einzelner Werke zu beschließen, haben wir uns für die größere Schwierigkeiten bereitende, aber auch mehr Erkenntnis versprechende Form von vergleichenden Interpretationen entschieden.
Ein deutscher Sonderweg
Wie immer der Sturm und Drang und die Klassik als Epochen bestimmt werden: diese Begriffe und Konstrukte der deutschen Literaturgeschichtsschreibung stellen einen nationalen Sonderweg dar. Außerhalb von Deutschland gesteht man den Stürmern und Drängern und den Weimaranern keine eigene Epoche zu. So pflegen angelsächsische Literarhistoriker sowohl die frühere als auch die spätere Phase der deutschen Literatur zur europäischen Romantik zu rechnen. Diese Etikettierung mag der Komplexität der deutschen Literatur um 1800 noch weniger gerecht werden, als es die Bezeichnungen Sturm und Drang und Klassik tun; doch kann sie einen weiteren Anstoß zur Reflexion der in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verfestigten Epochenbegriffe geben.