Читать книгу Die Angst vor dem Tod überwinden - Karim El Souessi - Страница 16

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8Der Umgang mit der eigenen Sterblichkeit

„Das Aufleuchten der Gewissheit des eigenen Todes bedeutet, sich zu vergegenwärtigen, dass mit dem Tod endgültig alles vorbei ist und dass das Lebensende eine Grenze darstellt, jenseits derer keine Möglichkeit mehr besteht, zu handeln, etwas zu korrigieren oder einen Fehler wiedergutzumachen. Alle Projekte und Zukunftsplanungen finden ihr jähes Ende.“59

Mitunter haben wir keine Zeit, uns auf unseren Tod einzustellen, er überrascht uns völlig unerwartet, inmitten irgendeiner Tätigkeit. So wie plötzlich eine Krankheit über uns hereinbricht, genauso kann uns der Tod ereilen. Tatsache ist, dass der Augenblick des Todes nicht vorausgeschaut und eingeschätzt werden kann. Wie vieles andere entzieht er sich unserem Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle. Treffend meint die Psychoonkologin Sabine Lenz in einem Bericht über eine krebskranke Frau, die ihr Leben und alles um sie herum im Griff hatte: „Sie hatte eine Krankheit bekommen, die mit unkontrolliertem Zellwachstum zusammenhing.“ Sie war an Kontrollverlust erkrankt.60

„Stirb jeden Morgen“, heißt es im Hagakure, dem Kodex der Samurai. „Stell dir jeden Morgen aufs Neue vor, dass du bereits tot bist. Halte dich jeden Morgen, wenn dein Geist friedvoll ist, ohne Unterlass für tot, denke über verschiedene Arten des Todes nach, stelle dir deinen letzten Augenblick vor, wie du von Pfeilen, Kugeln und Schwertern in Einzelteile zerfetzt wirst, von einer Woge weggespült wirst, in ein rasendes Feuer springst, von einem Blitz erschlagen wirst, in einem großen Erdbeben untergehst, von einer schwindelerregenden Klippe stürzt, an einer tödlichen Krankheit leidest oder plötzlich tot umfällst.“61 Dieser Text ermahnt den Samurai, eine geistige Einstellung zu entwickeln, die seine Bereitschaft, den Tod in jedem Augenblick mit in das Leben einzubeziehen, möglich machen soll.

Es wäre schön, wenn Sterben einem festen biologischen Rhythmus folgte. „Kommt der Tod am Ende eines langen Lebens, dann hat der Mensch gelebt, dann ist er gewesen. Und das ist auch vom Tod ein nicht wieder rückgängig zu machendes Plus. Gelebt zu haben, gewesen zu sein, ist nicht nichts.”62 Kommt der Tod früh in jungen Jahren, dann ist der Lebenslauf unterbrochen. Ein Zen-Meister meinte einmal auf die Frage, was das größte Glück sei: „Vater stirbt, Sohn stirbt, Enkel stirbt.”63 Wenn unser Leben einen natürlichen Verlauf nimmt, wäre das die Reihenfolge, in der wir aus der Welt scheiden, die natürlichste Möglichkeit, in der das Leben seinen Abschluss finden kann. Hermann Hesse verweist in seinem Gedicht „Stufen“ darauf, dass Werden und Vergehen im Verlauf eines Lebens sich in vielfachem Abschied und Neubeginn zeigen können, ja, sogar jeder Augenblick dem nächsten weicht und einen Anfang und ein Ende markiert:

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe

bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

in andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

an keinem wie an einer Heimat hängen,

der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,

nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

uns neuen Räumen jung entgegensenden,

des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …

Wohlan denn, Herz, nimm’ Abschied und gesunde!64

Die Angst vor dem Tod überwinden

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