Читать книгу Die Angst vor dem Tod überwinden - Karim El Souessi - Страница 17

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9Im Jetzt leben, was heißt das?

Auf einer Postkarte las ich kürzlich ein Zitat von John Lennon: „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“ Das erinnerte mich an Jean-Jacques Rousseau, der einmal schrieb: „Nicht der Mensch hat am meisten gelebt, welcher die höchsten Jahre zählt, sondern derjenige, welcher sein Leben am meisten empfunden hat.“65

Ein Bild davon, wie dieses ‚Jetzt-Leben‘ denn aussehen könnte, gibt uns der folgende Krankenbericht:

„An der Wand über meinem Bett hängt seit gestern ein großes Blatt: ‚Wenn das der letzte Tag meines Lebens wäre, wie möchte ich ihn dann gelebt haben?’ Ich will mich in den nächsten Tagen und Wochen immer wieder dieser Frage stellen, will, dass sie mich begleitet. Mein erster Impuls am Morgen ist: ‚Ja, es ist okay, wenn der Tod am Abend kommt, weil ich am Nachmittag eine wichtige und schöne Verabredung habe. Die möchte ich gerne noch erleben.’ … Der Gedanke an den möglichen Tod wird zunächst sehr mächtig und einengend. … Aber zum Glück kann ich mich dann wieder zurückholen und denke: ‚Wenn der Tod kommen soll, wird er auch zu Hause kommen. Wenn es dir bestimmt ist zu sterben, kannst du ihn nicht durch so etwas austricksen. … Was mir angesichts des Todes bleibt, ist, jeden Moment zu bejahen, zu begrüßen, ihn so intensiv wie möglich zu erleben. Und da ist es egal, was ich mache: ob ich im Wald jogge und die Natur, meinen Atem, meine Kraft ganz intensiv aufnehme oder bei einer langen Autofahrt die Natur wahrnehme und nicht nur an das Erreichen des Zieles denke oder bei einer langweiligen Sitzung mich nicht ärgere, sondern die Menschen beobachte, sie wahrnehme, meinen Atem spüre – spüre, dass ich lebe. Immer wieder erinnere ich mich daran, dass der jetzige Moment mein letzter sein könnte. … Ich bemerke, dass ich eigentlich in jedem Moment, egal, was ich tue, etwas Kostbares entdecken kann … Der Gedanke an den jederzeit möglichen Tod hat mich also zunächst geängstigt, wollte mich einengen, aber dann konnte ich mich dem stellen, und der Moment öffnete sich für mich. … Jetzt begleitet die Frage mich immer wieder im Alltag und öffnet mich für die Einmaligkeit dieses Augenblickes. Sie ist für mich ein wichtiger Schlüssel in meinem Leben geworden.“66


Abbildung 7: Lackschilduhr mit Sensenmann, Museum St. Märgen, Hochschwarzwald, um 1860

Bei ganz einfachen alltäglichen Arbeiten können wir die Einmaligkeit und Kostbarkeit jedes Augenblicks auf- und entdecken, ganz egal, ob wir Wäsche waschen oder die Wohnung aufräumen, ob wir als Sterbende den Geschmack von etwas Tee im Mund erfahren oder als Begleiter helfen, eine wunde Stelle zu versorgen. Wenn wir diesem Hinspüren still und ruhig Raum geben, ihm in die entstehende Stille folgen und die Ruhe, die in jedem Augenblick sichtbar werden kann, in uns aufnehmen, kann das Gefühl entstehen, dass etwas ‚Ewiges’, nicht vom Tod Bedrohtes in jeder alltäglichen Handlung spürbar wird.

Die Angst vor dem Tod überwinden

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