Читать книгу Ist das Alter noch zu retten?! - Karin Dietl-Wichmann - Страница 6

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Das Ende des Jugendwahns

Lästern Sie nicht über meine Falten. Ich habe sie mir über Jahre redlich erworben!

Iris Apfel (* 1921), amerikanische Allround-Künstlerin und Fashion-Ikone

Nahezu nichts wurde älteren Frauen bis Ende der 90er-Jahre zugetraut. Sie waren selten in den Chefetagen der Konzerne zu sehen, hatten kaum Stimmen in der Finanzwirtschaft und in der Werbung tauchten sie schon gleich gar nicht auf. Die einzigen Oldies in der Werbung waren Hausmütterchen oder liebe Omas. Sie priesen Kochtöpfe, Waschmittel und Bügeleisen an. Davon, so die Idee, verstanden sie etwas. Da waren sie glaubwürdig. Außerdem sei ihre Kaufkraft zu gering, begründeten die Werber dieses »No show«. Die Alten böten keinen Kaufanreiz für die Kunden. Junge, hübsche Models empfahlen die Cremes, Reisen und Kleidung für die Zielgruppe 50 plus. Diese immer älter werdende Generation hatte zu der Zeit noch keine Lobby.

Geändert hat sich das erst, als die Frauen aus dieser verschmähten Klientel auch Karriere machten. Als sie genügend Geld verdienten, das sie ausgeben konnten. Die Marketingexpertin Cornelia Zanger von der Technischen Universität Chemnitz hat in einer Untersuchung festgestellt, dass die heutigen 65- bis 85-Jährigen genussorientierter sind und für gute Lebensqualität gern mehr Geld ausgeben. Die über 55-jährigen Deutschen würden jeden Monat 15 Milliarden Euro verpulvern, die 20- bis 25-Jährigen dagegen brächten gerade mal 5 Milliarden unters Volk.

Selbst die verstocktesten Werber mussten einsehen, dass ihnen, wenn sie nicht bald die Älteren umgarnen, die lukrativste Schicht der Konsumenten durch die Lappen geht. Wer mit 75 noch so fit ist wie mit 60, wird – ein entsprechendes Alterseinkommen vorausgesetzt – auf ein Auto, Reisen, modische Kleidung und eine abwechslungsreiche Freizeitgestaltung nicht verzichten wollen.


Hannelore Elsner

Das Fernsehen war schon ein paar Jahre früher so clever. Mit Stars wie Hannelore Elsner, Uschi Glas, Senta Berger oder Christiane Hörbiger brachte es den Typus der attraktiven, in die Jahre gekommenen Schauspielerinnen auf den Bildschirm. Angestoßen hat diesen Wandel die auch in Deutschland gezeigte Serie »Golden Girls«. Ein Welterfolg. Selbst die biedere Mutter Beimer aus der »Lindenstraße« durfte danach erotische Gefühle zeigen und von Abenteuern träumen.

Reife, lebenserfahrenere Models warben plötzlich für die Produkte ihrer Altersgruppe. Jahrelang hatten die Verantwortlichen nur Augen für die Millennials, die in den 90er-Jahren Geborenen. Kirsty Fuller, Vorstandsvorsitzende der Agentur Flamingo, stellt fest, dass viele Manager noch immer Angst hätten, ihre Marken wären nicht mehr cool, wenn sie älteren Menschen gefallen und auch von ihnen vorgestellt würden.

Dabei sei diese Furcht unbegründet. Denn es würden deshalb ja nicht ausschließlich Alte angesprochen, sondern nur alle potenziellen Käufer einbezogen. Und dazu gehörten die Jungen ebenso wie die Generation 50 plus. Diese Generation hat ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung und gibt sie auch mit vollen Händen aus. Für die Familie, für Freizeitaktivitäten, für Reisen, aber auch für Gesundheit und Medizin. Das weiß auch Werner Ballhaus, Leiter des Bereichs Technologie, Medien und Telekommunikation bei PWC in Deutschland. Auch er bestätigt, dass die Werbewirtschaft bei neuen Trends auch die Babyboomer-Generation im Blick hat. Aus derselben Studie geht hervor, dass diese Altersgruppe im Jahr 2017 z. B. in Amerika 70 Prozent des verfügbaren Einkommens ausgeben wird. Die Älteren sind, das gilt auch für Europa, die am stärksten wachsende Konsumgruppe.

Die Entmystifizierung des Alters

80 ist das neue 60 – sagt der Werber Jean-Remy von Matt.

Die Alten von heute haben nur noch wenig mit den Alten von gestern zu tun. Allen voran die Frauen, die noch dazu durch eine längere Lebensdauer begünstigt sind. Haben die Werbefuzzis früher behauptet, alte Menschen würden sich nicht für neue Produkte interessieren, seien also nicht wichtig für Kampagnen, müssen sie heute zähneknirschend gestehen: »Die Alten, vor allem die Frauen zwischen 60 und 80, sind die Käuferinnen von morgen!«

Florian Haller, Chef der Münchner Werbeagentur Service Plan, sagt dazu: »Die Überzeugung, dass nur Menschen zwischen 19 und 49 für Werbung ansprechbar sind, ist falsch. Es stimmt nicht, dass sich Markenpräferenzen im Alter von 20 prägen. Das ist Blödsinn. Es gibt zwar immer noch die Alten, die sich für Treppenlifte und Baldrianpillen interessieren, aber eben auch jene, die nach einem Kleid für die nächste Vernissage in Berlin-Mitte suchen. Dass bald nur noch alte Models zu sehen sein werden, glaube ich nicht! Werbung soll schließlich inspirierend sein.« Haller weiß aber auch: »So cool die Senioren-Models auch sind – die Alten sehen in Kampagnen gerne auch mal Jüngere.«

In den Führungsetagen der Agenturen wimmelt es dagegen nur so von jungen Alten. Frontmann der Bewegung ist Jean-Remy von Matt, der Kreativchef der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt. Im Alter von 62 Jahren posierte er selbst als Werbemodel. Für das Unterwäschelabel Mey zeigte von Matt stolz seinen Waschbrettbauch. Die immer wiederkehrende Frage, wann er endlich seine Nachfolge regelt, blockt er beharrlich ab. Warum sollte er auch aufhören? »80 ist das neue 60«, behauptet von Matt.

Für – und nicht gegen das Alter

Die Firma Unilever hat 2010 für ihre Marke »Dove« eine Reihe ganz normaler Frauen zwischen 58 und 65 Jahren nackt fotografiert. Es waren schöne ästhetische Fotos ohne Photoshop-Behandlung.

Die Leiterin dieser Kampagne, Nicole Ehlen, sagt dazu, nicht Anti-Aging sollte propagiert werden, sondern »Pro-Age«. »Wir möchten mit unseren Kampagnen das Schönheitsideal von 90-60-90 cm mit einer Diskussion über Schönheit im Alter erweitern. Wir haben in Studien festgestellt, dass Frauen sich mehr realistischere Frauenbilder ihres Alters wünschen. Wir wollen Frauen zeigen, die Falten, graue Haare und ein paar Kilo zu viel haben. Die aber dennoch eine tolle Ausstrahlung besitzen.«

Auch der Kosmetikriese Procter & Gamble verkauft inzwischen seine Anti-Aging-Produkte auf der P & G–Kommunikationsplattform »Victoria – Lebenslust ist zeitlos«. Dort wird über Lifestyle geschrieben, darüber z. B., dass graue Haare plötzlich unglaublich in sind. Sowohl bei den jungen als auch den alten Ladys. Das Mittel zum schönen Grau stellt natürlich Procter & Gamble her.

Die 80-jährige Journalistin und Schriftstellerin Joan Didion zum Beispiel hat 2015 für das Modehaus Celine Fotos mit einer neuen Sonnenbrillen-Kollektion gemacht. Didion, die nun nicht gerade eine alterslose Beauty ist, zeigt ihre schüttere Frisur und den faltigen Hals ohne große Korrekturen mit größter Selbstverständlichkeit.

Deutsche Firmen zogen nach: Der Modekonzern Aigner engagierte für seine Kampagne 2016 die 94-jährige New Yorker Stilikone Iris Apfel. Die exzentrische Lady posierte gemeinsam mit dem 23-jährigen Model Toni Garn. »Wir hatten beide wahnsinnig viel Spaß. Iris ist eine unglaubliche Person. Sie ist ein Vorbild für mich!«, schwärmte Toni Garn nach der Produktion.

Schon vor etwa 10 Jahren schickte der französische Modeschöpfer Jean-Paul Gaultier zu seiner Show ein 60-jähriges Model auf den Laufsteg. Eine weißhaarige, schlanke, sehr aufrecht gehende stolze Walküre. Die angereiste Prominenz und das Fachpublikum waren fassungslos. Es war nichts weniger als ein totaler Bruch mit der bisherigen Verherrlichung der Jugend. Die Zeitungen überschlugen sich in ihren Berichten. Sie nannten Gaultier einen Rocker, einen Verrückten, der um einer Sensation willen alles auf den Kopf stelle. Gaultier aber ließ sich nicht beirren: »Das Gesicht war nicht von einem Chirurgen geglättet. Aber sie strahlte ein derartiges Selbstbewusstsein aus und ihre Lebensfreude brachte am Ende alle Kritiker zum Schweigen!«

Heute laufen ganz selbstverständlich zwischen den untergewichtigen Models ältere Frauen. Tragen ihre grauen oder weißen Mähnen zu den neuesten Kreationen – und nur hin und wieder kommt ein leises Raunen auf. Längst buchen auch weniger experimentierfreudige Designer Ladys über 70 für ihre Shootings und Shows.

Eveline Hall, eine 72-jährige deutsche Tänzerin, Schauspielerin und Sängerin, läuft auf den Schauen von Michael Michalsky und Jean-Paul Gaultier. In einem Interview mit der »Daily News« sagte Hall: »Es gibt kein Model, schon gar nicht in meinem Alter, das eine große Tanzkarriere an der Oper, dem klassischen Theater und im Showbusiness in Las Vegas vorweisen kann. Diese Kombination gibt es bei kaum jemanden. Ich hatte Glück, dass ich überall ein- und austeigen konnte. Ganz großes Glück! Wenn mich jemand engagiert, muss er begründen, warum er mich will. Das kann ein tolles Outfit oder eine besondere Geschichte sein. Nur weil ich eine alte Frau auf dem Laufsteg bin, werde ich mich nicht zur Lachnummer machen lassen!«

Inzwischen sind auch die Zeitschriften-Verleger aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Einige, die ganz vorsichtig Magazine für Frauen von 40 plus testeten und wieder einstellten, machen heute Gewinne mit Frauenmagazinen, deren Leserinnen 65 plus sind.

Besonders mutig: die Modebibel »Vogue«

Die britische »Vogue« hat für ihre Juni-Ausgabe 2016 und zur Feier ihres 100-jährigen Bestehens für eine Werbestrecke des Londoner Luxuskaufhauses Harvey Nichols mit einer ebenfalls 100-jährigen Lady als Model gearbeitet. Madam Marjorie ›Bo‹ Gilbert, Witwe und pensionierte Direktorin einer Kartonfabrik, ist eine weißhaarige, schlanke Dame mit roter Brille und einem unergründlichen Lächeln. Sie ist der nicht zu schlagende Beweis, dass hohes Alter nicht unbedingt in körperlichem Verfall enden muss.

Wollen Sie mal herzlich lachen?

Die Marketingstrategen, die sich so schrecklich wichtig nehmen, sind immer gut für fantasievolle Abkürzungen. Wie Geheimcodes muten die Abkürzungen für die ältere Klientel an: Ihre »gray« oder »masterconsumers« packen sie in folgende Kürzel:

Sie sind:

 selpies (second life people)

 woopies (well off older people)

 grumpies (growing retired active people)

 grampies (growing retired active moneyed people in an excellent state)

 Uhus (unter Hundertjährige)

Sie dürfen sich jetzt aussuchen, ob Sie zu den Uhus oder den woopies gehören.

Viel Spaß!

Ist das Alter noch zu retten?!

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