Читать книгу Romanze in Schottland - Karin Firlus - Страница 10

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Kapitel 8

Ella bearbeitete ihre E-Mails. Sie kümmerte sich an drei Tagen die Woche darum. Ihr war bewusst, dass andere Autoren dies täglich machten. Viele waren auch in den sozialen Medien unterwegs, aber Ella hatte keine Lust, sich in diesen Portalen zu präsentieren. Manche Autoren schworen darauf, dass sie durch die Präsenz dort wesentlich mehr Chancen hatten, ihre Romane bekannt zu machen, als wenn sie nicht dort vertreten gewesen wären. Aber Ella gehörte einer Generation an, die weder den Willen hatte, ständig über sich zu plaudern noch das Bedürfnis verspürte, irgendwelche Dinge aus ihrem Leben völlig anonymen Menschen anzuvertrauen, die sie nicht einmal kannte und vor allem nicht einschätzen konnte.

Außerdem würde dies wertvolle Zeit kosten, denn würde sie sich bei einem dieser Portale anmelden, müsste sie mehrmals pro Woche nicht nur etwas Neues über ihre Romane ins Netz stellen, sondern auch noch die Tweets oder Blogs von anderen lesen und kommentieren. Das war ihr zu zeitaufwändig und es interessierte sie nicht im Mindesten.

Sie löschte ihre Spammails und sah in ihren Posteingangsordner. Eine Mail ihrer Literaturagentin war da; sie bat Ella um eine Inhaltsangabe ihres aktuellen Romans. Da ein mittelgroßer Verlag ihren dritten angenommen hatte, müsse man das Eisen für den vierten Roman schmieden, solange es heiß sei, schrieb sie.

Ella war sich noch nicht sicher, wie die gesamte Geschichte aussehen würde, aber sie nahm sich vor, darüber nachzudenken und am nächsten Tag eine Inhaltsbeschreibung aufzusetzen.

Nach drei kurzen Mails von Bekannten öffnete sie die Nachfrage einer Autorenkollegin, ob sie kurz in ihr aktuelles Kapitel reinschauen könne, irgendwie habe sie das Gefühl, sie habe einen logischen Fehler darin, könne ihn aber nicht finden.

Ella kannte dieses Phänomen. Man wusste genau, dass irgendetwas an dem, was man geschrieben hatte, nicht richtig war, aber man konnte einfach nicht den Finger darauf legen. Sie las das relativ kurze und spannende Kapitel durch, fand die Unstimmigkeit und schrieb der Kollegin zurück.

Dann riss sie sich vom Computer los, ging einkaufen und zur Bank. Als sie sich einen zweiten Kaffee gemacht hatte, sah sie, dass inzwischen eine Mail von ihrer schottischen Freundin, Catriona, gekommen war. Die beiden schrieben sich in unregelmäßigen Abständen, seit sie sich vor Jahren in einem Urlaub auf Gran Canaria getroffen und sich auf Anhieb super verstanden hatten. Seitdem war Ella einmal in Edinburgh gewesen und hatte Catriona für drei Tage besucht. Den Gegenbesuch in Heidelberg hatte die Schottin im letzten Jahr angetreten.

Sie arbeitete als Näherin in einem Geschäft, das die diversen Tartanmuster zu Decken, Kilts und anderen Kleidungsstücken verarbeitete und sie dann verkaufte. Nebenher spielte sie am Wochenende in einer kleinen Band Gitarre und sang Lieder, zum Teil auf Englisch, aber auch auf Gälisch, das sie ein bisschen sprechen konnte.

Einen ständigen Partner hatte sie nicht; sie war seit fünf Jahren geschieden und suchte sich zwischendurch immer mal wieder „einen Kerl fürs leibliche Wohl“, wie sie sagte. „Aber heiraten werde ich nicht mehr. Ich brauche keinen schlecht gelaunten Typen, der seine Abende abwechselnd in der Kneipe und vor der Glotze verbringt und von mir lediglich erwartet, dass ich ihn haushaltsmäßig versorge. Und auf das bisschen schalen Sex ab und zu kann ich auch verzichten. Da bleib ich lieber allein und suche mir ab und zu einen, mit dem ich Spaß haben kann.“

Ella beneidete Catriona zum Teil, weil sie unabhängig war und tun und lassen konnte, was sie wollte. Da sie in ihrer Ehe mit Klaus seit einiger Zeit alles andere als glücklich war, fand sie den Gedanken reizvoll, sich nur um sich selbst kümmern zu können.

Andererseits hätte sie nicht den Mut gehabt, sich mit einem Mann, den sie nicht kannte, im Urlaub, für ein Wochenende oder auch nur für eine Nacht auf Sex einzulassen. Sie brauchte Gefühle, das körperliche Verlangen allein reichte ihr nicht.

Wenn Catriona nicht nähte, sang oder in ihre Yogaklasse ging, lag sie auf ihrer bequemen Couch und las. Am liebsten Liebesgeschichten. „Es ist aber auch zu dumm“, hatte sie ihr im Jahr zuvor bei ihrem Besuch gesagt, „dass du auf Deutsch schreibst. Ich bin mir sicher, deine Romane würden mir gefallen, nach dem, was du mir so von ihnen erzählst.“

Jetzt fragte sie in ihrer Mail an, woran Ella denn gerade arbeite. Und sie schrieb zurück: von Sarah, Erin und Jamie.

Prompt kam Catrionas Antwort: „Sarah wird aber nicht auf diesen Jamie hereinfallen, oder?“

Ella musste lachen. Sie hatte bereits das nächste Kapitel geschrieben. „Nein, wird sie nicht.“

Nach ihrer Mittagspause, in der sie eine Idee gehabt hatte, wie sie weiterschreiben könnte, setzte sie sich an ihren Laptop und hieb fröhlich in die Tasten. Später machte sie sich einen Kaffee, setzte sich hin und ging zum Anfang des Kapitels zurück, um das zuletzt Geschriebene ein erstes Mal zu überarbeiten:

„Es bereitete ihr Vergnügen, sich zu Musik zu bewegen, nur hatte sie in den letzten Jahren kaum Gelegenheit zum Tanzen gehabt. Sie schien unter den Leuten ihres Alters eine Ausnahme zu sein. But when she was dancing she was able to …“

Ella starrte auf den Bildschirm. Was war das denn? Sie hatte das Kapitel ganz normal auf Deutsch angefangen, und plötzlich auf Englisch weitergeschrieben, und zwar den ganzen Rest bis zum Ende des Kapitels. Das war ihr nicht bewusst gewesen. Sie kannte zwar diese Phasen, in denen ihr ein Teil einer Geschichte nur auf Englisch, nicht auf Deutsch einfiel. Das schrieb sie dann handschriftlich auf und übersetzte es anschließend beim Tippen.

Aber dass sie, ohne es zu bemerken, ganze Passagen auf Englisch schrieb, war ihr bisher noch nicht passiert. Sie las den Text und stellte fest, dass er ihr gefiel. Irgendwie klang das Ganze besser als auf Deutsch, eleganter eben. Sie druckte den Teil aus und übersetzte ihn auf Deutsch. Dann speicherte sie, ohne darüber nachzudenken, den englischen Teil in einer Extradatei ab und nannte das Ganze ‚Scottish Romance‘.

Nachts, als Klaus neben ihr laut schnarchte und sie wieder einmal nicht einschlafen konnte, erwischte sie sich bei dem Gedanken, dass sie wahnsinnige Lust darauf hatte, mal wieder einen Text auf Englisch zu übersetzen. Sie hatte bis zwei Jahre zuvor, als sie wegen einer längeren Zahnbehandlung und kurz danach wegen ihrer OP am rechten Sprunggelenk monatelang krankheitsbedingt ausgefallen war, Texte für Firmen und für einen Professor an der Uni übersetzt.

Sie war immer nur als freie Übersetzerin tätig gewesen und musste sich somit nicht darum sorgen, dass sie nicht arbeiten gehen konnte. In dieser Zeit der Bewegungseinschränkung hatte sie viel geschrieben und dabei festgestellt, dass es das war, was sie wirklich tun wollte. Wenn sie eine Idee hatte, setzte sie sich hin und schrieb einfach drauf los. Und es floss nur so aus ihr heraus, ohne dass sie sich groß anstrengen musste.

Klaus hatte sich nicht beschwert, dass sie nichts mehr verdiente. Sie hatte sowieso nicht ganztags gearbeitet und somit zumindest durch ihre Übersetzertätigkeit wenig zu ihrem Lebensunterhalt beigetragen. Diese Arbeit hatte ihre Urlaube und ihre Kleidung abgedeckt. Aber sie hatte von ihrem vor Jahren verstorbenen Onkel, der keine Kinder gehabt hatte, seine gesamten Ersparnisse geerbt, und so konnte sie jeden Monat Klaus‘ Gehalt aufstocken, so dass sie sich finanziell so gut wie alles leisten konnten, was sie wollten.

Allerdings fand ihr Mann es affig und völlig bescheuert, dass sie Romane schrieb, wo es doch tausende und abertausende davon gab. Und nicht etwa Krimis oder Science Fiction, das hätte er noch irgendwie verstanden. Nein, ausgerechnet Liebesromane schrieb sie, dieses kitschige Gesülze, das er sowieso nicht ausstehen konnte.

Er hatte in seinem Leben noch kein einziges Buch gelesen, außer einigen Comicheften in seiner Jugend, und er verstand überhaupt nicht, warum dieses vermaledeite Schreiben für Ella so wichtig war. Dass es für sie inzwischen wie ein innerer Zwang war, dem sie nicht widerstehen konnte und dies auch nicht wollte, konnte er absolut nicht nachvollziehen.

Für Ella war Schreiben noch besser als Übersetzen, das sie geliebt hatte. Jetzt stellte sie fest, dass sie es vermisste. Sie drehte sich von einer Seite auf die andere, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie Sarahs Geschichte im Kopf weiterentwickelt hatte – und zwar wieder auf Englisch. Nach einer Stunde wach herumliegen gab sie es auf, zog ein Paar Socken und eine Jacke an und ging zu ihrem Schreibtisch. Dort holte sie Schmierblätter und schrieb auf, was ihr im Kopf herumspukte. Nach gut einer Stunde hatte sie fast das komplette nächste Kapitel geschrieben. Auf Englisch. Jetzt endlich müde, sank sie ins Bett und schlief sofort ein.

~

Am nächsten Tag fuhr sie ihre Mutter in die Seniorentagesstätte, wo der Leiter ihr einen Antrag auf Pflegestufe mitgab. „Versuchen Sie es einfach. Wahrscheinlich wird die Krankenkasse ihn zunächst ablehnen, aber beim zweiten Versuch könnte es klappen. Schließlich ist Ihre Mutter bewegungsmäßig stark eingeschränkt, sie kann ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen und sie hat beginnende Demenz.“

Ella fuhr heim und füllte in einem äußerst seltenen Anfall von Pflichtbewusstsein den Antrag gleich aus. Dann brachte sie ihn zur Post. Sie ging den knappen Kilometer sogar zu Fuß, somit hatte sie wenigstens ein bisschen Bewegung. Und dabei entwickelte sie das nächste Romankapitel. Bevor sie es jedoch aufschrieb, zwang sie sich, eine Inhaltsangabe zu verfassen und sie nach mehreren Verbesserungen an ihre Literaturagentin zu mailen. Anstatt danach an ihrem Roman weiterzuarbeiten, übersetzte sie die Inhaltsangabe einfach so aus Lust an der Freud auf Englisch und schickte sie als Mailanhang zu Catriona.

Am übernächsten Morgen, als sie ihre Mails durchlas, sah sie Catrionas Antwort. Sie war total begeistert. „Das wird eine super schöne Story, und ich kann sie wieder mal nicht lesen. Was für ein Jammer!“

Beim Badputzen kam Ella der Gedanke, dass sie Catriona die Freude machen und das erste Kapitel übersetzen könnte. Schließlich hatte sie für den aktuellen Roman noch keinen Verlagsvertrag unterschrieben, sie stand also nicht unter Zeitzwang und würde es sich somit leisten können, das Schreiben für eine Weile zu unterbrechen, um zu übersetzen.

Zwei Tage später existierte das erste Kapitel auf Englisch. Sie überarbeitete es gründlich, fand zu ihrem Ärger etliche Grammatikfehler, die sie gleich ausbesserte, mochte aber ansonsten, was sie übersetzt hatte. Es klang einfach gut, zumindest für ihre Ohren. Dann schickte sie diesen Teil an Catriona. Sie war gespannt, was ihre Freundin dazu sagen würde.

Romanze in Schottland

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