Читать книгу Romanze in Schottland - Karin Firlus - Страница 5

Оглавление

Kapitel 3

Erin stand auf dem Gleis, als Sarah aus dem Zug stieg, und kam ihr dann entgegen. Die beiden jungen Frauen umarmten sich stürmisch.

„Céad Mìle fàilte!“ sagte Erin auf Gälisch. Es klang wie ‚Kiad mili fahlhi‘. „Tausendmal herzlich willkommen!“ wiederholte sie dann auf Englisch.

„Danke! Ich habe mich so sehr darauf gefreut, dich endlich wiederzusehen.“

„Das hättest du schon früher haben können. Aber jetzt hast du wenigstens genug Zeit mitgebracht!“ Erin nahm Sarah ihre Reisetasche ab, dann schlenderten sie zum Ausgang. Die Schottin strebte auf einen Land Rover zu, der schon bessere Zeiten gesehen hatte.

Erin arbeitete zehn Stunden pro Woche in der örtlichen Tourist Info und halbtags für den National Trust, der Schlösser, Abteien und Herrenhäuser verwaltete. In den Frühjahrs- und Sommermonaten vermietete sie noch die sechs Cottages, die ihre Großeltern ihr vererbt hatten. Ihre Schwester hatte das kleine Pub bekommen.

Der Land Rover fuhr in nördlicher Richtung aus Inverness hinaus. Bald hatten sie eine Brücke erreicht, die den Beauly Firth überspannt. Dingwall, wo Erin wohnte, war nicht nur der nächste größere Ort, es war auch immer noch das Zentrum aller Aktivitäten in der Region.

Die Zuglinie, die bis in den Norden hinaufführt, verläuft teilweise parallel zur A 9. Sarah sah ebenes Land und weiter weg Hügel und, je näher sie Dingwall kamen, auch die ersten Hänge der Highlands, grün bewachsen mit hellbraunen und weiter oben lilafarbenen Flächen.

Erin erzählte von der Gegend, durch die sie fuhren, und davon, dass die Überflutungen, bedingt durch die Oktoberstürme ein paar Jahre zuvor, einen Großteil der Highlands und Städte nördlich von Inverness unter Wasser gesetzt hatten. Da auch die A9 und die ‚Far North Line‘ der Bahn betroffen waren, war das gesamte Gebiet nördlich von Inverness für einige Zeit von der Welt abgeschnitten gewesen.

Sie brauchten gute zwanzig Minuten, bis sie den Ortseingang der ehemaligen ‚freien Stadt mit besonderen Rechten‘ erreichten. Sarah war enttäuscht, dass die Fahrt schon zu Ende war. Sie hätte gerne noch mehr Interessantes über die Stadt und die Gegend erfahren.

„Keine Bange!“ Erin grinste zu ihr herüber. „In den nächsten Wochen werde ich dich überfluten mit Infos und Geschichten. Wir Schotten lieben nämlich Geschichten über alles. Dir wird der Kopf brummen, wenn du hier wegfährst.“

Sarah lächelte. „Das glaube ich eher nicht. Ich finde es interessant, viel über die Geschichte eines Ortes zu erfahren. Schließlich bin ich ja nicht umsonst Stadtführerin bei mir daheim geworden.“

Erin nickte heftig. „Dieses Heidelberg, wo du lebst, ist auch ein schöner alter Ort.“ Sie fuhr auf den Parkplatz eines Supermarktes am Ortsrand. „Ich dachte, wir erledigen den Großeinkauf jetzt gleich, dann können wir die nächsten Tage über Interessantes unternehmen.“

So deckten sie sich mit allem ein, was man so braucht, und fuhren danach mit etlichen voll bepackten Taschen in den Ort hinein.

Sarah sah alte Häuser, vorwiegend in Beige und Hellbraun. Viele wiesen spitze Giebel auf, die mit Zacken verziert waren. Erin hatte ihr einmal erzählt, dass Dingwall zu den ältesten Orten in Schottland gehörte.

„Da drüben“, Erin wies zur Rechten, „ist das frühere Townhouse, also ein Stadthaus, aus dem 18. Jahrhundert. Heute ist dort das Städtische Museum untergebracht.“

„Das werde ich mir auf jeden Fall ansehen. Und ich habe gelesen, dass ihr auch ein Schloss habt.“ Sarah sah ihre Freundin erwartungsvoll an.

Erin lachte. „Wenn du so eine große, alte Ruine meinst, wie bei euch in Heidelberg, die imposant auf einem Hügel steht, muss ich dich enttäuschen. Von Dingwall Castle steht nur noch ein Rundturm von etwa vier Metern Durchmesser. Wir sehen ihn uns die nächsten Tage mal an.“

Sie bog in eine ruhige Straße ein. Sarah sah auf der linken Seite schmale Häuser, die so eng nebeneinander standen, dass man auf den ersten Blick nicht sah, wo das eine aufhörte und das andere anfing.

„So, hier wären wir. Die sechs hier gehören mir.“

Sie parkte vor dem letzten der Häuser. „Ich habe im Moment vier davon vermietet. Ich habe dir das letzte gegeben, weil du von dort aus nur etwa 200 Meter weitergehen musst, um am Meer zu sein.“

„Das ist super. Ich danke dir!“

Sie holten die Einkaufstüten aus dem Kofferraum und danach Sarahs Gepäck. Erin schloss die Tür zu dem alten hellgrauen Steinhaus auf. Sarah folgte ihr in einen engen Gang.

Rechterhand lag eine gemütlich eingerichtete Wohnküche, vor der eine kleine Terrasse auf ein Minirasenstück von etwa vier Metern Länge und drei Metern Breite führte. Eine Garage stand neben dem steinernen Weg, der nach hinten in Richtung Feld führte.

„Rein theoretisch kannst du von hier aus die Hügel da vorne hochgehen und bist irgendwann oben mitten in den Highlands. Aber alleine solltest du keine Wanderung unternehmen. Man kann sich, wenn man sich hier nicht auskennt, leicht verlaufen. Und das Wetter schlägt manchmal sehr schnell um.“

Gegenüber der Küche lag ein recht großzügiger Waschraum, komplett mit Maschine und Trockner. Merkwürdigerweise waren an einer Seite eine Toilette und ein kleines Becken in die Wand eingelassen.

„Das ist die frühere Sommerküche, die alten Häuser hier hatten alle eine. Meine Großeltern haben sie dann zu einer Waschküche umfunktioniert, ich habe später die Toilette neben dem Becken einbauen lassen, sonst müsste man immer in den ersten Stock raufgehen, wenn man mal muss.“

Hinter der Küche war ein gemütliches Wohnzimmer. Die Sitzmöbel waren mit altrosafarbenem Chintz überzogen. In dem Wohnzimmerschrank aus schwerer Eiche stand ein moderner Flachbildschirm, daneben ein DVD-Rekorder. „Du kannst nichts damit aufnehmen, aber Filme abspielen. Wenn du Interesse daran hast, kann ich dir etliche DVDs mit Dokus aus Schottland leihen.“

„Das wäre toll, das interessiert mich.“ Sarah sah sich in dem Zimmer um. Der Kamin an der einen Seite gab dem Zimmer einen behaglichen Touch und der große Ohrensessel würde ihr Lesesessel werden. Sie nickte anerkennend. „Hier werde ich mich wohlfühlen.“

Erin führte sie in den Gang zurück. „Und damit sind wir im Erdgeschoss schon durch.“ Hinter der Waschküche führte eine schmale Treppe nach oben. „Der erste Stock wurde erst im 20. Jahrhundert draufgesetzt. Deshalb ist er moderner gestaltet.“

Vom Gang oben gingen drei Türen ab: eine in ein Schlafzimmer mit Doppelbett, eine andere in das Bad daneben. Wie meist üblich in Großbritannien, hatte es keine Dusche, sondern eine Wanne mit Duschvorrichtung und Vorhang.

Erin wandte sich der dritten Tür zu. „Und hier ist in den anderen Häusern noch ein Einzelzimmer. Aber ich dachte mir, da du keine zwei Betten brauchst, habe ich es ein bisschen anders eingerichtet. Ich habe nämlich im Frühjahr die Wände neu streichen und gleich einige Zimmer anders gestalten lassen. Und wenn ich mich richtig erinnere, hast du dir ein bisschen Arbeit mitgebracht.“

„Ja, stell dir vor, der Mann von der Immobilienfirma, für den ich arbeite, hat letzte Woche angerufen und mich gefragt, ob ich für einen Kollegen von ihm einen Teil des neuen Katalogs übersetzen könne. Es sind 100 Hochglanzseiten mit tollen Fotos von teuren Villen. Dahinter kommt ein Teil von zwanzig Seiten, die er auf Französisch braucht. Da werden Details der Häuser angeführt. Und ich bekomme pro Seite fünfzig Euro. Das sind tausend Euro und es ist gutes und leicht verdientes Geld. Allerdings muss ich das bis Ende August fertig übersetzt haben, also habe ich es mitgebracht.“

„Dann stell deinen Laptop hierher und stürz dich drauf – aber erst am Montag, wenn ich wieder arbeiten gehe. Die nächsten vier Tage will ich dich uneingeschränkt für mich!“

Sarah ging hinter ihr in den kleinen Raum, der schätzungsweise zwölf Quadratmeter hatte. Am breiten Fenster stand ein alter dunkelbrauner Schreibtisch aus massivem Eichenholz. Davor ein bequem aussehender Stuhl und linkerhand ein schmaler Aktenschrank.

„Wow!“ Sarah ging zum Schreibtisch und fuhr mit einer Hand über die Platte. „Es ist absolut spitze, dass ich den habe. Und wunderschön ist der!“ Sie drehte sich zu Erin um und umarmte sie. „Ich danke dir sehr!“ Dann sah sie zum Fenster hinaus und stellte fest, dass sie hinter den Nachbarhäusern, die etwas tiefer lagen, einen schmalen Streifen Meer sehen konnte.

Erin wies nach links. „Siehst du den kleinen Fußweg dort? Wenn du den an dem letzten Haus entlanggehst, kommst du ans Meer. Leider haben wir hier keinen Strand. Da musst du mit dem Zug oder dem Bus nach Dornoch fahren oder weiter nördlich nach Brora.“ Erin wusste, dass Sarah weder einen Führerschein noch ein Auto hatte.

„An einem so warmen Tag wie heute kann ich mir gut vorstellen, genau das zu tun.“ Schließlich hatte Erin sich von ihrem Jahresurlaub, der nur zwei Wochen betrug, gerade mal vier Tage frei nehmen können für Sarahs Besuch. Im August, der Hauptreisezeit, konnte sie ihre Kollegin in der Tourist Info nicht länger alleine lassen. Sie hatte die vier Tage auf zweimal zwei aufgeteilt: je am Anfang und am Ende von Sarahs Aufenthalt. Somit wusste sie, dass sie sich die meiste Zeit über allein würde beschäftigen müssen. Aber das war sie ja gewohnt.

Erin wies nach rechts. „Wenn du die Straße entlanggehst, die wir hereingefahren sind, und dann scharf nach links abbiegst, kommst du nach etwa hundert Metern zum Rosslair. Unsere Gegend hier ist das Easter Ross, ein lair ist ein Versteck oder Schlupfwinkel. Meine Großeltern haben ihrem Pub diesen Namen gegeben, eingedenk der alten Zeiten, wo die Männer sich abends auf ein Bier oder auch mehr im Pub quasi vor ihren Frauen versteckten, um ihre Ruhe zu haben.“ Sie grinste. „Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Allerdings gibt es immer mehr Frauen, die ihre Männer heutzutage ins Pub begleiten.“

„In Deutschland ist die Kneipenkultur nicht ganz so stark ausgeprägt wie bei euch hier. Aber ihre Ruhe wollen die deutschen Männer auch meist, allerdings eher vor dem Fernseher.“

Erin lachte. „Der kommt dann nach dem Pubbesuch zum Einsatz.“ Sie ging auf den Gang hinaus und sah auf ihre Uhr. „Ich würde vorschlagen, du packst erst einmal aus und machst dich mit deinem neuen Zuhause vertraut. Ich müsste dringend einige E-Mails beantworten. Aber ich dachte, wir treffen uns später so um sechs im Pub. Meine Schwester ist ganz gespannt auf dich, ich habe ihr viel von dir erzählt.“

„Klingt gut. Dann bis später!“

Sarah ging mit Erin nach unten und begann, ihre Lebensmittel einzuräumen. Dann kochte sie sich einen Tee und setzte sich an den Küchentisch. Sie war zwar erst seit einer knappen Stunde hier, aber irgendwie fühlte sie sich schon wohl. Das Häuschen war genau richtig für sie. Und da sie in Deutschland nur ein Zimmer ihr eigen nennen konnte, weil sie Küche und Bad mit zwei weiteren Mitbewohnerinnen teilen musste, empfand sie dieses Cottage als puren Luxus. Drei Zimmer ganz für sich alleine, das würde sie auskosten. Und das alles für nur hundert Pfund pro Woche … normalerweise verlangte Erin 550 Pfund inklusive Endreinigung. Die würde Sarah selbst übernehmen.

Sie dachte darüber nach, dass sie sich über die Geschichte des Landes informieren, etliche Romane auf Englisch lesen und sich vieles anschauen wollte. Die zwanzig Seiten aus dem Immobilienkatalog musste sie auch übersetzen. Und plötzlich verschmolzen die langen vier Wochen, die vor ihr lagen, zu einem sehr kurzen Zeitraum.

Als sie ihren Tee ausgetrunken hatte, ging sie nach oben und packte Koffer und Reisetasche aus. Dann platzierte sie ihren Laptop auf dem Schreibtisch, legte den Immobilienkatalog daneben und freute sich bereits darauf, hier zu arbeiten und zwischendurch aufs Meer hinauszuschauen.

Nach dem Duschen zog sie ein Kurzarmshirt und eine dünne Jeans an, dann nahm sie ihre Sommerjacke und den Lederrucksack, den sie anstatt einer Handtasche mitgenommen hatte, steckte den Hausschlüssel ein und ging durch den Garten aus dem Haus. Es war erst zwanzig nach fünf und irgendwie reizte sie der Weg durch die Hügel, obwohl Erin sie gewarnt hatte, dass sie dort nicht allein herumlaufen sollte.

Sie ging den schmalen Pfad entlang, öffnete die Gartentür und stand auf einem Feldweg, der offensichtlich am Ort entlang führte. Sie überquerte ihn und stieg den grasbewachsenen Hügel hinauf. Es gab keinen Weg, sie ging einfach querfeldein. Zwischen ruppigem Gras wuchsen lilablaue Disteln und kleine Erikastauden.

Nach einigen Minuten hatte sie den ersten Hügel erklommen. Vor ihr lagen wellenförmig noch weitere Hügel. Auch hier war kein Weg auszumachen. Als sie sich umdrehte, sah sie die Häuser des Ortes vor sich liegen. Mitten aus dem Häusermeer ragte ein Kirchturm. Er gehörte wohl zu der sogenannten Free Church, von der sie gelesen hatte.

Sie überlegte, ob sie auch den nächsten Hügel hinaufgehen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Erin hatte bestimmt ihre Gründe, wenn sie sie warnte. Und sie konnte sich gut vorstellen, dass sie weiter oben keine Häuser mehr sehen würde. Da es keinen erkennbaren Weg gab, konnte man sich wirklich verirren.

Also ging sie wieder nach unten und von ihrem Cottage aus die Straße zurück, die sie mit Erin zusammen hergekommen war. Dann bog sie an der Kreuzung nach links und sah schon weiter vorne das bunte Schild, auf dem Rosslair stand.

Vor einem gelben Hintergrund zeigte es ein typisches Pintglas mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit. Sarah tippte darauf, dass es Guinness, das bekannte irische Bier, darstellen sollte. Auf ihr erstes Pint freute sie sich. Sie war zuletzt zwei Jahre zuvor in Großbritannien gewesen und hatte Appetit auf den würzig, leicht süßlich-herben Geschmack des dunklen Gebräus.

Romanze in Schottland

Подняться наверх