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ОглавлениеKapitel 6
Als Klaus kurz nach fünf heimkam, früher als sonst, weil er abends zu der Eröffnung des Drogeriemarktes gehen musste, war Ella noch nicht zuhause. Sie hatte ihre Mutter kurz vor halb fünf abgeholt und sie wieder heimgebracht.
Im Auto fragte sie Hannelore Schmitz, wie es ihr gefallen hatte.
Zuerst antwortete sie nicht, dann meinte sie knapp: „Es ging so.“
„Was hast du denn zu essen bekommen?“
„Weiß ich doch jetzt nicht mehr.“ Nach einer Weile sagte sie: „Naja, es gab so eine Brühe und danach irgendein Gemüse mit Kartoffeln. Das Fleisch hab ich nicht gegessen.“ Sie zog ein trotziges Gesicht. „Aber den Schokopudding hinterher hab ich weggeputzt.“
„Ui, Vor- und Nachspeise hat es auch gegeben, das ist ja toll. Sowas kann ich nicht leisten.“
„Du kochst dennoch besser als die dort.“
Und damit war die Diskussion beendet. Als Ella sie fragte, ob sie sich vorstellen könne, wieder dorthin zu gehen, vielleicht sogar regelmäßig einmal die Woche, bekam sie keine Antwort.
Bei ihrer Mutter angekommen, richtete sie ihr Abendbrot, dann ließ sie den Rollladen im Schlafzimmer herunter und deckte das Bett auf.
Sie sah noch die Post durch und ließ das Kuvert mit einer ‚sicheren‘ Gewinnbenachrichtigung einer großen Fernsehlotterie unauffällig im Papiermüllsack verschwinden, dann fuhr sie heim. Enttäuscht dachte sie, dass es ihrer Mutter wohl nicht gut genug gefallen hatte, um wieder in die Tagestätte gehen zu wollen.
Sie hörte Klaus schon vor der Haustür fluchen. Als sie in den Gang trat, kam er ihr entgegen, das Gesicht vor Aufregung gerötet. „Dieses Scheißteil ist zu eng! Jetzt schau dir das an.“ Er schloss den einen Knopf des Blazers, wodurch tiefe Falten im Stoff entstanden, weil der Blazer oberhalb und unterhalb des Knopfes breit auseinanderstand. „So kann ich doch nicht gehen.“
Ella nickte. „Nein, so nicht. Zeig mal her.“ Sie öffnete den Knopf wieder und besah sich, wie weit er vom Rand entfernt angenäht war. „Ich kann ihn dir knapp einen Zentimeter nach außen versetzen. Das wird zwar nicht genug sein, aber es sieht nicht ganz so bescheuert aus wie jetzt.“
Er zog den Blazer aus. „Beeil dich. Ich dusche noch schnell, dann muss ich los.“
„Und wie passt die Hose?“
„Hab ich noch nicht anprobiert.“ Mit trotzigem Gesicht stapfte er ins Bad.
Ella folgte ihm, ging ins Schlafzimmer und besah sich die Anzugshose, die schief über dem Stuhl hing, auf den er abends seine Kleider warf, wenn er sich auszog. Früher hatte sie diesen Stuhl regelmäßig entrümpelt, die einen Dinge wieder aufgehängt, andere raus auf den Balkon zum Auslüften und den Rest in den Wäschekorb verfrachtet.
Aber seit einiger Zeit hatte sie es gelassen. Es war eine wahre Sisiphusarbeit, und Klaus kam nie auf die Idee, sich selbst um seine Kleidung zu kümmern. Sie hatte entschieden, dass das sein Problem war, nicht ihres. Sie hatte es satt, ständig hinter ihm herzulaufen.
Jetzt besah sie sich den Bund der Hose. Auch hier konnte sie den Knopf einen Zentimeter versetzen, in der Hoffnung, dass sie dann einigermaßen passen würde.
Sie holte ihr Nähkästchen aus der Kommode, setzte sich aufs Bett und ging ans Werk. Als sie fertig war, kam Klaus mit feuchten Haaren aus dem Bad. „Vielleicht guckst du dir die Hose doch mal an, die ist bestimmt auch zu eng.“
„Schon erledigt.“ Sie stand auf und ging in die Küche hinüber, wo sie sich einen Lavendeltee aufbrühte. Sie brauchte jetzt etwas zur Beruhigung. Als sie den Beutel aus dem Becher nahm, kam Klaus herein. Er sah an sich hinunter und brummte: „Jetzt geht’s einigermaßen, aber ich muss dringend abnehmen. Und du auch, wir sind beide zu fett! Ab morgen esse ich abends nichts mehr!“ Damit ging er in den Gang, zog seine schwarzen Schuhe an und sagte: „Ich weiß noch nicht, wann ich heimkomme. Kann spät werden.“
Und Ella wusste, dass er nach dem Empfang noch mit einigen Kumpels in der Kneipe landen würde, wo er mehr Bier trinken würde als ihm gut tat. Auch egal! Die Zeiten, in denen sie sich über sein Verhalten aufgeregt hatte, waren längst vorbei. Nur ein kleines ‚Danke‘ dafür, dass sie ihm die Knöpfe versetzt hatte, hätte sie doch schön gefunden. ‚Männer‘!, dachte sie, und ging in die Küche, um ihre Geschirrspülmaschine auszuräumen.
‚Wir sind beide zu fett‘, hatte Klaus gesagt. Das stimmte zwar, aber von dem Übergewicht wieder runterzukommen, war nicht so einfach. Sie hatten einige Diäten ausprobiert, aber nichts hatte dauerhaft geholfen. Und Klaus war zwar vorhin hoch motiviert gewesen, etwas zu ändern. Aber aus Erfahrung wusste Ella, dass er nach spätestens zwei, drei Abenden wieder wie gewohnt zwei volle Teller an Fleisch mit Beilagen in sich hineinschlingen würde.
Sie stellte die schmutzigen Teller, Tassen und Gläser in die Maschine. Aber sie hatte es ja bisher auch nicht geschafft, ihr Gewicht zu reduzieren. Vielleicht sollte sie es einmal mit der schon seit langem bekannten Faustregel ‚FdH‘ ausprobieren. Es erschien ihr noch am sinnvollsten, einfach kleinere Portionen zu essen, und vielleicht stellte sich dann eine allmähliche Gewichtsreduktion ein.
Schließlich ging sie in ihr Arbeitszimmer. Sarahs Geschichte wartete darauf, weitererzählt zu werden. Und sie hatte einen schönen langen Abend vor sich.
~
Am nächsten Tag klingelte um viertel nach neun das Telefon. Ella legte gerade Bettwäsche zusammen.
„Wo bleibst du denn?“, fragte ihre Mutter ungeduldig.
„Wieso? Ich komme wie immer heute Nachmittag.“
„Und ich warte seit einer Viertelstunde darauf, dass du mich endlich abholst!“ Sie klang trotzig und verärgert.
„Wohin willst du denn?“ Ella war ratlos. Hatte sie einen Termin vergessen?
„Na, in dieses Haus Sonnenschein da.“
„Hab noch eine Viertelstunde Geduld, ich bin gleich bei dir.“ Sie legte die Wäsche in den Schrank und fuhr zu ihrer Mutter. Dort stellte sich heraus, dass die alte Dame davon ausgegangen war, dass sie jetzt jeden Tag unter der Woche in die Seniorentagesstätte gehen sollte.
„Aber Mama, du sollst nicht dorthin gehen. Du kannst, wenn du möchtest. Aber du musst es nicht gleich übertreiben. Ich dachte an ein bis zwei Tage die Woche.“
Hannelore Schmitz schien zu überlegen, dann sagte sie: „Du hast ja eh nie Zeit für mich, da kann ich auch weggehen. Und außer dienstags, wenn meine Friseuse kommt und alle zwei Wochen Tanja zum Putzen, kann ich ja wohl dahin gehen.“
Ella glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. „Das überrascht mich jetzt, Mama. Aber ich finde es toll, dass es dir dort gefällt.“
„Naja, ‚gefällt‘ ist übertrieben, aber es ist immer noch besser als jeden Tag allein daheim herumzusitzen.“
Allerdings musste Ella den Enthusiasmus ihrer Mutter etwas bremsen. „Du kannst nicht einfach von heute auf morgen dahin, so mitten im Monat. Aber am nächsten Mittwoch ist der erste April, ab da kannst du dann die Tagesstätte besuchen.“
Man sah ihrer Mutter die Enttäuschung deutlich an. Um sie ein wenig zu trösten, ging Ella mittags mit ihr essen. Als sie danach nach Hause fuhr, konnte sie es immer noch nicht fassen: Ihre Mutter würde tatsächlich an vier Tagen die Woche betreut werden. Wenn sie es jetzt noch schaffte, Klaus dazu zu überreden, mittags in der Kantine essen zu gehen, müsste sie nur noch an drei Tagen pro Woche kochen. Das wäre eine enorme Arbeitserleichterung, nicht zu reden von der Zeit, die sie dadurch gewinnen würde.
Abends beim Essen erzählte sie ihrem Mann von der wundersamen Verwandlung ihrer Mutter. Als sie ihm allerdings vorschlug, in die Kantine des benachbarten Kaufhauses essen zu gehen, brummte er missmutig: „Dort schmeckt das Essen beschissen, du kochst viel besser.“
„Nun, abgesehen davon, dass ich mich darüber freue, dass dir mein Essen schmeckt: Wie willst du deinen Plan, abends nichts mehr zu essen, umsetzen, wenn ich immer koche?“
Schließlich ließ er sich widerwillig auf einen Kompromiss ein: Montags und donnerstags würde sie nicht kochen, an den anderen Tagen würden sie abends nur Fleisch oder Fisch mit Salat essen, zumindest mittwochs und freitags, wenn sie nicht für ihre Mutter mitkochte. Die alte Dame mochte kein Fleisch, sie brauchte Kartoffeln oder Nudeln.
Als sie anschließend die Pfanne und den großen Topf ausspülte, kam Ella sich vor, als habe sie einen wichtigen Sieg errungen. An einem der beiden kochfreien Tage wollte sie das tun, was sie sich schon seit ewigen Zeiten vorgenommen und nie durchgeführt hatte: Sie würde, nachdem sie ihre Mutter abgeliefert hatte, schwimmen gehen und anschließend auf ein spätes Frühstück ins Café, wo sie gemütlich würde schreiben können.