Читать книгу Romanze in Schottland - Karin Firlus - Страница 7
ОглавлениеKapitel 5
Sarah war ein paar Meter von dem Pub entfernt, als neben ihr Erins Land Rover parkte. „Perfektes Timing!“ Sarah strahlte sie an.
Hinter der schweren Holztür hing ein dicker roter Samtvorhang, wahrscheinlich, um an regnerischen und windigen Tagen, von denen es hier im Norden bestimmt etliche gab, Feuchtigkeit und Kälte abzuhalten.
Sarah sah einen Raum, der etwa so groß wie ein geräumiges Wohnzimmer war. Rechts, zur Straße hin, waren zwei Butzenfenster in die Wand eingelassen, die nur wenig Licht hereinließen. Gegenüber vom Eingang war eine Theke aus dunklem Holz, daneben führte eine Tür zu den Toiletten. Im mittleren und linken Bereich standen fünf Tische, die jeweils sechs Personen Platz boten. Sie waren verwaist und von den fünf Barhockern war nur einer besetzt.
„Es ist noch ziemlich früh, aber innerhalb der nächsten halben Stunde kommen sie angekrochen“, sagte Erin.
Ein grauhaariger Alter drehte sich auf seinem Hocker herum, als die beiden jungen Frauen an die Theke traten.
„Angus, grüß dich! Was macht das Rheuma?“ Erin klopfte ihm auf die Schulter.
„Frag nich …“ Er trank einen großen Schluck Guinness, dann zeigte er auf Sarah. „Is das die Frau mit der Salbe?“
Erin lachte. „Genau. Das ist Sarah, meine Jakobswegschwester. Sarah, das ist Angus. Ich weiß nicht genau, wie alt er ist. Aber er kommt hierher, seit ich als kleines Kind zum ersten Mal da war. Er gehört also quasi zum Inventar.“
„Mach mich nich noch älter“, brummte der Grauhaarige in seinen Bart, aber er nickte Sarah freundlich zu.
Erin ging um die Theke herum und verschwand hinter einem braunen Vorhang. „Sinèad, wo steckst du?“ Sarah hörte „Schined“ und nahm sich vor, Erin nach der Aussprache etlicher Wörter zu fragen, die kompliziert geschrieben, aber oft recht einfach ausgesprochen wurden.
Erin kam zurück, im Schlepptau eine Frau, die etwa Ende dreißig sein mochte. Sie hatte, im Gegensatz zu Erin, noch rötlicheres Haar. Aber während Erin eine moderne Kurzhaarfrisur hatte, trug ihre Schwester ihres offen und schulterlang.
„Sinèad, das ist meine Sarah!“ Die sympathische Schottin streckte eine Hand aus und strahlte Sarah an. „Es ist mir eine Freude, dich endlich kennenzulernen. Fühl dich hier wie zuhause!“
Sarah bedankte sich für den freundlichen Empfang. Später erfuhr sie, dass Sinèad achtunddreißig und somit fünf Jahre älter als Erin war.
“Wie sieht’s aus? Habt ihr Lust auf frischen Lachs? Ich hab schöne Steaks da, die ich euch mit Kräuterbutter, Pommes und einem grünen Salat anbieten kann.“
„Das nehme ich, es klingt verlockend.“ Sarah strahlte.
Erin hatte ihnen inzwischen ein Pint eingegossen. Das nahmen sie mit an einen der Tische, als Sinèad in der Küche verschwunden war, um das Abendessen vorzubereiten.
Sie prosteten sich zu, dann beugte Sarah sich vor. „Was hat der Mann vorhin gemeint, als er sagte: ‚die Frau mit der Salbe‘?
Erin grinste. „Als ich vor sieben Jahren vom Jakobsweg heimkam, musste ich möglichst haarklein alles erzählen, was ich erlebt hatte. Für die Leute hier war es eine Sensation, dass jemand einen ganzen Pilgerweg von 800 Kilometern auf einmal und zu Fuß geht. Und das noch, ohne einen Grund zur Buße zu haben.“ Sie trank einen kräftigen Schluck.
„Ich habe also alles Mögliche erzählt, unter anderem auch, wie wir uns kennengelernt haben. Erinnerst du dich an unseren ersten Abend? Ich saß auf meinem Bett in diesem geräumigen Refugio bei Inca und rieb meine Arme, meine Beine und mein Dekolleté, die rot vor Sonnenbrand waren, notdürftig mit Olivenöl ein, weil ich nichts anderes zur Hand hatte. Es brannte wie Feuer. Da kamst du mit deinem Rucksack, warfst ihn auf das Bett neben meinem, hast mit einem Blick erkannt, dass ich Hilfe brauchte, und gabst mir spontan dieses kühlende Gel, das sofort geholfen hat. Ach, war das eine Wohltat!“
Sarah lachte. „Stimmt, das hatte ich ganz vergessen. Ich hatte noch nie zuvor jemanden gesehen, der von oben bis unten so krebsrot war.“
„Naja, es war ein Fehler, im Hochsommer durch Spanien zu laufen. Ich schwitzte so bei diesen hohen Temperaturen, dass ich, als ich endlich in Inca war und keine langen Hosen und geschlossenen Wanderschuhe tragen musste, für meinen Rundgang durch die Stadt nur meine Shorts, ein Top und meine Flipflops anhatte. Mir war nicht klar, dass die Sonne da unten so aggressiv ist.“ Sie lachte. „Und Angus wiederum, der sein ganzes Leben lang nicht aus der Gegend hier weggekommen ist, konnte sich ums Verrecken nicht vorstellen, dass es irgendwo so heiß sein kann, dass die Haut wie Feuer brennt. Deshalb hat er sich das wohl gemerkt.“
Sie tranken Guinness und tauschten Erinnerungen ihrer Pilgerreise aus. Bis ihr Essen fertig war, hatte sich das Pub gut zur Hälfte gefüllt. Jeder, der hereinkam, sah zu den beiden Frauen herüber, hob die Hand oder grüßte und betrachtete danach verstohlen diese Deutsche, die da bei Erin saß.
Sie hatten fast aufgegessen, als Erin sagte: „Kannst du dich noch an den Franzosen erinnern, der wirklich jede, aber auch jede Frau anbaggerte, egal wie alt oder jung, hübsch oder hässlich sie war?“
Sarah grinste. „Und er selbst war solch ein Hänfling. Schmaler Oberkörper, blass, unscheinbar. Kein Wunder, dass keine ihn ranließ.“
„Naja, so notgeil war wohl keine.“
Sie lachten amüsiert. „Ach, wo ist der Mann meiner Träume nur?“ sagte Erin daraufhin sehnsüchtig. „Irgendwo da draußen versteckt er sich, ich muss ihn nur finden.“
„Wieso draußen? Ich bin doch hier, mein Liebchen!“
Sarah sah von ihrem Teller auf. Neben Erin stand ein junger Mann, bückte sich zu ihr und drückte ihr einen ordentlichen Schmatzer auf eine Wange, der verdächtig nahe an Erins Mund landete.
Erin grinste. „Jamie, du Lausebengel, mach, dass du Land gewinnst. Du bist ja noch grün hinter den Ohren!“
Während sie ihn sanft wegdrückte, dabei aber lachte, entrüstete er sich. „Von wegen! Ich bin letzten Sonntag schon fünfundzwanzig geworden.“
„Aha. Das ist mir immer noch zu jung, Jamie Clair! Acht Jahre Altersunterschied sind mir zu viel.“ Dann sah sie zu ihrer Freundin. „Sarah, darf ich dir unseren notorischen Schwerenöter vorstellen? Jamie Clair aus Ardullie. Das liegt etwa acht Kilometer von hier im Norden. Und ich weiß nicht, warum Jamie immer wieder hierher kommt, um seinen Bierdurst zu stillen, anstatt bei sich um die Ecke ins Pub zu gehen.“
„Vielleicht, weil man hier die schönsten Frauen im ganzen County trifft.“ Jamie hatte sich leicht vor Sarah verbeugt und sie aus seinen hellblauen Augen eingehend gemustert. Jetzt streckte er seine Hand aus. „Ma’am, ich bin hoch erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Wenn ich gewusst hätte, dass Erins Freundin eine solch attraktive Frau ist, wäre ich schon früher gekommen.“
Sarah errötete leicht und lächelte.
„Jamie, versuch’s erst gar nicht. Sarah fällt nicht auf deine Annäherungsversuche herein. Such dir ein anderes Opfer.“
„Lass das mal deine Freundin entscheiden!“ Damit warf er Sarah noch einen Blick zu, der allen Frauen von zwanzig bis siebzig weiche Knie beschert hätte, dann ging er zu den Männern an der Theke.
Sarah sah ihm amüsiert nach und dachte: ‚Er ist nur ein Jahr jünger als ich und wenn er etwas reifer wäre, könnte er mir glatt gefallen‘.
Erin lachte. „Aha, ich sehe, der Clair‘sche Charme wirkt bereits. Jamie ist ja wirklich ein gutaussehendes Herzblatt. Aber ich kann dich nur vor ihm warnen: Er ist ein absoluter Herzensbrecher, und du wärst nicht die Erste, die er so lange umgarnt, bis er sie in seinem Bett hat und dann nach einigen Tagen oder Wochen die nächste Eroberung macht. Die abgelegten Mädels sind danach reihenweise reif für den Psychiater.“
„Aha …“ Sarah grinste ihre Freundin an. „Gehörst du auch zu ihnen, weil du so genau Bescheid weißt?“
„Nein, wo denkst du hin! Aber ich kenne Jamie schon seit Ewigkeiten. Ich bin mit seinem älteren Bruder Logan zur Schule gegangen. Er ist so alt wie ich. In Ardullie gibt es kein Gymnasium, deshalb kamen sowohl Logan als auch Jamie hierher zu uns.“
Sarah schaute hinüber zur Theke, wo Jamie sich an einem Bier festhielt. Er spürte wohl ihren Blick, denn er sah zu ihr, hob sein Glas und prostete ihr zu. Sie lächelte unverbindlich, dann sah sie zu Erin. „Und ist dieser Logan auch so charmant und frech wie sein jüngerer Bruder?“
„Naja, so charmant ist er, aber er ist ernster, nicht so locker drauf. Jamie hat ein sonniges Gemüt und geht auf jeden offen zu. Logan ist eher ein ruhiger Typ, der sich die Leute genau betrachtet, bevor er zu ihnen Kontakt aufnimmt. Aber er ist mindestens genauso attraktiv wie sein kleiner Bruder. Ich war in der Schule mächtig verknallt in ihn. Aber leider war ich wohl nicht sein Typ. Das hat mich damals in eine schwere Krise gestürzt.“
„Also ist er dein Traummann?“
„Nee, heutzutage nicht mehr. Mein Geschmack hat sich geändert. Heute stehe ich eher auf blonde Männer. Nur gibt es die so selten in unseren Breiten.“ Sie sah unter sich.
Sarah wartete, sagte aber nichts.
Erin schaute auf. „Vor zwei Jahren habe ich mich in einen Mann verliebt, der für ein paar Wochen bei uns in der Tourist Info arbeitete. Er stellte alles auf EDV um, nicht nur hier, sondern in der ganzen Gegend, von Inverness bis John o’Groats und von dort bis Ullapool an der Westküste. Wir kamen recht schnell zusammen und als er seine Arbeit in unserer Gegend beendet hatte, blieb er hier wohnen, weil er nicht so lang von mir getrennt sein wollte. Ich gab ihm eins meiner Cottages und er fuhr jeden Tag dahin, wo er gerade arbeitete.“
„Klingt gut. Aber was ist passiert?“
„Naja, …“ Erin grinste schief. „David war ja irgendwann einmal mit der Umstellung auf EDV fertig. Dann ist er wieder zurück in den Süden gegangen.“
„Ohne dich?“
Erin nickte. „Er war Engländer. Kam aus Nottingham. Und hatte dunkelblonde Haare. Und war für die Leute hier immer noch der Feind. Die Schotten und die Engländer bekämpfen sich zwar seit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts nicht mehr. Aber die alten Geschichten und das Wissen um die jahrhundertealte Feindschaft zwischen den beiden Völkern sind hier oben noch sehr lebendig. David hätte wahrscheinlich keinen Fuß auf den Boden gekriegt.“
„Und du wolltest nicht mit ihm gehen?“
„Nein.“ Erin schüttelte den Kopf. „Ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, in England zu leben. Ich bin durch mein Geschichtsstudium und meine Arbeit beim Trust und in der Tourist Info so mit unserer heimischen Tradition verbunden, dass ich nicht weg wollte. Und David konnte sich nicht spontan entscheiden, auf Dauer hier zu leben.“ Sie sah zu dem kleinen Fenster mit den gelben Butzenscheiben hinaus; allmählich dunkelte es draußen. „Tja … und inzwischen hab ich mich gefragt, ob ich es nicht doch zuerst hätte ausprobieren sollen anstatt rundweg abzulehnen, mit ihm zu gehen.“
„Puh! Keine leichte Entscheidung!“ Sarah trank ihr Guinness in einem Zug aus. Erin holte für beide noch ein Pint, obwohl Sarah protestierte, das sei zu viel. Aber Erin ließ sich nicht umstimmen. Sie stellte zwei volle Gläser mit dem festen hellbraunen Schaum auf den Tisch.
„Das geht heute alles aufs Haus. Ist für meine Schwester Ehrensache. Und es ist dein erster Abend hier. Du wirst dich daran gewöhnen, dass wir gut schlucken können. Und du solltest dich nicht gleich zu Anfang unbeliebt machen, indem du nach einem einzigen Glas schon die Fahne streichst oder dir, was noch schlimmer wäre, ein Glas Wasser bestellst.“
„Oh, …“ Sarah hatte wirklich vorgehabt, ein stilles Wasser zu bestellen.
„Und wie lief es bei dir so in den letzten Jahren? Männermäßig, meine ich?“, fragte Erin sie.
Sarah erzählte von ihrem letzten Freund, mit dem sie ein knappes Jahr zusammen war. „Er war ein netter Kerl, aber irgendwie stur und engstirnig in seiner ganzen Art. Für mich war es das Schönste am ganzen Jahr, wenn ich im September, nach einem Jahr intensiv studieren und im August vierzig Stunden die Woche als Aushilfskraft bei der Post arbeiten, endlich meinen Rucksack packen und irgendwo ins Ausland reisen konnte. Aber Peter wollte nur zelten oder wandern gehen. Das war mir zu öde. Ich konnte mir weder vorstellen, einen hohen Berg nach dem andern hinaufzukraxeln noch unter Otto-Normalverbrauchern eng an eng vor einem Wohnwagen zu sitzen, blödes Zeug zu labern und abends als Highlight Bier zu saufen und Grillwürstchen zu essen. Nein, danke! Und als er sich dann noch wie ein beleidigter Ehemann aufführte, der meinte, mich gängeln zu können, hab ich ihn in die Wüste geschickt und bin allein nach Frankreich gefahren.“ Sie nahm einen großen Schluck. „Du siehst also, ich suche auch noch nach meinem Traummann.“
„Manchmal frage ich mich, ob es den überhaupt gibt. Was wir uns in unseren Wunschträumen so zusammenfantasieren, ist wahrscheinlich sehr unrealistisch. Männer wollen dich zuerst ins Bett kriegen und in dieser Phase bemühen sie sich um dich. Aber nach einer Weile wollen sie ihre Ruhe, Fußball gucken und Bier trinken. Sowas brauche ich nicht in meinem Leben. Da bleib ich lieber allein.“
Sarah schüttelte den Kopf. „Sie sind bestimmt nicht alle so. Irgendwo da draußen läuft einer herum, der mir gefallen würde, und sucht nach einer Frau wie mir. Ich muss ihn nur noch finden.“ Vor ihrem inneren Auge stand ein groß gewachsener Mann mit dunklen Haaren, der sie mit Jamies charmantem Lächeln ansah. Aber Jamie war es nicht.