Читать книгу Schmetterlingstränen - Karin Kehrer - Страница 10

08. Portree, Clach Ard, Ende Juni 1996

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„Warum machst du keine Blumen – oder Menschen? Oder Katzen und Hunde?“ Ich blickte zu Brian hoch. Wir saßen zusammen auf dem Bootssteg, hatten die Hosen hochgekrempelt und hielten die Zehen in das Wasser. Meine glichen weißen Knubbeln, während Brians dunkel und kaum zu sehen waren. Ich wäre auch gerne so braun gebrannt wie er gewesen, aber meine Haut nahm einfach keine Farbe an. Ich würde nie ein Pirat werden so wie er. Etwas, das mir heimlichen Kummer bereitete.

„Ich mag nun einmal Tiere lieber. Alles was zart ist und fliegen kann“, brummte er.

Ich betrachtete ihn unter halb geschlossenen Lidern. Er stützte sich mit den Händen hinter dem Rücken ab und hielt sein Gesicht in die Sonne.

Mein Blick schweifte zu Unicorn Island, wie ich die kleine Insel nannte, die sich ein paar Bootslängen vom Ufer entfernt aus Loch Fada erhob. Ich stellte mir immer vor, sie wäre tatsächlich von den Einhörnern aus unserem Lieblingsgedicht bewohnt. Natürlich zeigten sie sich nur zu besonderen Anlässen. Vor allem dann, wenn der Gesang der Wasserfeen sie aus ihrem Versteck lockte. Ich war schon manches Mal an nebeligen Abenden heimlich aus dem Haus geschlichen, um nach ihnen Ausschau zu halten. Und ab und an hatte ich tatsächlich den Eindruck, sie auf der Insel zu sehen. Weiße, zarte Schemen, die verschwammen, sobald man den Blick auf sie richtete.

„Du träumst schon wieder von deinen Einhörnern, Kleine.“ Brian lächelte.

Ich nickte. Ihm hatte ich mein Geheimnis anvertraut, weil ich wusste, dass er mich nicht auslachen würde.

„Du könntest auch einmal Einhörner machen“, sagte ich verträumt.

„Mmmh. Und Nessie vielleicht auch.“ Er grinste.

„Du willst mich nur aufziehen.“ Ich sah ihn so streng an, wie ich es eben vermochte. „Du weißt, dass ich Nessie nicht mag. Es ist hässlich.“

„Da hast du recht. Einhörner sind bei weitem hübscher.“

Er richtete den Blick auf das Cottage und ich wusste, dass er an Mum dachte.

In meine Nase stieg der Duft von frisch gebackenem Brot. Ich schnupperte gierig, bekam schon wieder Hunger, obwohl wir gerade ein ausgiebiges Sonntagsfrühstück genossen hatten.

Anstatt eines Magens hast du wohl ein riesiges Loch, schimpfte meine Mutter manchmal. Es stimmte. Ich konnte Unmengen verdrücken, nahm aber nicht zu.

Mrs. Phibbs bezeichnete meinen Heißhunger als vorpubertäre Fressanfälle, was in meinen Ohren sehr gebildet, aber nicht wirklich nett klang. Doch das war nun einmal Mrs. Phibbs.

„Deine Mum hat bald Geburtstag“, sagte Brian in die mittägliche Stille, die nur vom Summen der Fliegen unterbrochen wurde.

„Ja, nächsten Sonntag.“ Ich wusste, dass sie keine Party geben würde, wie ich es mir gewünscht hätte. Ein dreiunddreißigster Geburtstag war eben nicht so etwas Besonderes.

„Ich habe ein Geschenk für sie.“ Brian griff in die Brusttasche seines Hemdes. „Glaubst du, der gefällt ihr?“

Er öffnete die Handfläche und ich hielt den Atem an. Ein Schmetterling. Feiner Silberdraht, zart geschwungen, die Flügel mit tiefblauen Steinen verziert.

„Das ist ein Schwalbenschwanz. Siehst du die Spitzen an den Flügeln? Daran erkennt man sie.“

„Wunderschön. Das ist der Schönste, den du je gemacht hast“, hauchte ich hingerissen. Mit der Fingerspitze tupfte ich vorsichtig auf einen der winzigen Steine. „Was ist das?“

„Lapislazuli. Ich finde, er hat fast die gleiche Farbe wie die Augen deiner Mum. Und wie deine“, fügte er hinzu.

„Lapis – wie?“

„Lapislazuli.“ Er betonte jede Silbe und ich lauschte dem Klang nach. Ein Zauberwort.

„Für die Ägypter war das der kostbarste Stein überhaupt. Erinnerst du dich an die Totenmaske von Tut-Anch-Amun?“

Ich nickte. Brian hatte sie mir in einem Bildband über ägyptische Kunst gezeigt und ich würde ihren Anblick niemals vergessen. „Das ist also der Stein für einen toten Pharao.“

„Ach du meine Güte – so habe ich das nicht gemeint.“ Brian schmunzelte.

„Aber warte.“ Er griff noch einmal in seine Brusttasche und zog etwas heraus. „Abrakadabra – für meine Prinzessin!“

Er hielt mir die geschlossenen Hände hin. „Rat mal, wo es ist.“

In mir kribbelte atemlose Vorfreude. Es war ein Spiel, das wir öfter spielten. Ich schloss die Augen, versuchte, zu erraten, in welcher Hand mein Geschenk versteckt war. Tippte dann auf die rechte. Er öffnete sie. Leer!

„Noch einmal.“ Er hielt die Hände hinter seinen Rücken, streckte sie dann wieder nach vorne.

Ich tippte noch einmal auf die rechte. Wieder nichts!

„Verdammt!“, entfuhr es mir.

„Na, na, wer wird denn hier fluchen!“, schimpfte Brian in gespielter Strenge. „Du musst dich besser konzentrieren, meine Prinzessin.“

„Also schön. Noch einmal?“

„Aller guten Dinge sind drei.“ Er hielt mir wieder die Hände hin. Diesmal wählte ich die linke. Er öffnete die Finger langsam und mir stockte der Atem. Noch ein Schwalbenschwanz, aber kleiner, eine Miniaturausgabe von dem, den Mum bekommen sollte.

Ich war so überwältigt, dass ich beinahe vergessen hätte, ihm zu danken.

„Gefällt er dir? Ich wollte ihn dir schon zu deinem Geburtstag geben, aber ich habe die Steine nicht rechtzeitig bekommen.“ Beinahe ängstlich sah er mich jetzt an, der große Mann.

„Oh Brian!“ Ich warf die Arme um seinen Hals, drückte mich an ihn. „Das ist das wunderschönste Geschenk von allen! Und es macht nichts, dass ich es später bekommen habe. Das ist jetzt wie ein zweiter Geburtstag!“

Er hielt mich fest und ich kuschelte mich an seine breite Brust, die warm von der Sonne war und nach Kräuterseife roch.

Er löste sich behutsam von mir, dann nahm er die Brosche und steckte sie an mein T-Shirt. Sie funkelte im Sonnenlicht, die blauen Steine blitzten.

„Aber nur kurz“, flüsterte er. „Deine Mum soll sie nicht sehen, sonst errät sie womöglich, was sie bekommt. Okay?“

Ich nickte und versuchte, sein verschwörerisches Blinzeln nachzuahmen, schaffte es aber, wie üblich, nicht, das linke Auge so lange zuzukneifen wie er.

Rasche Schritte erklangen auf der Terrasse und Brian ließ mich los. „Hallo Ferguson.“ Sein Gesicht, das eben noch gestrahlt hatte, verfinsterte sich.

„Hallo Connolly.“ Hamishs Gestalt warf einen riesigen Schatten auf uns. Wie immer, wenn er Brian traf, war er kurz angebunden und mürrisch. „Hallo April.“ Er schenkte mir ein schwaches Lächeln. „Ist Maureen da? Hab eine Lieferung für sie.“

Brian nickte. „Im Haus.“

Hamish hob grüßend die Hand und ging durch die Hintertür in das Cottage. Er brachte uns wahrscheinlich wieder Schellfisch.

„Ich glaube, er mag dich nicht besonders“, sagte ich in die Stille. „Warum?“

Ich ahnte natürlich die Antwort. Du hast ihm Mum weggenommen. Doch Hamish war jetzt mit Elsie verheiratet, also sollte es ihm nichts mehr ausmachen.

Brian zuckte mit den Schultern. „Nicht alle Menschen können sich mögen.“

„Aber ich mag dich. Sehr sogar.“ Und damit drückte ich ihm einen dicken Schmatz auf die Wange. „Du solltest Mum heiraten, dann können wir immer zusammen sein.“

Zu meinem Vergnügen wurde er rot bis zu den Haarwurzeln. „Ich glaube, das ist keine so gute Idee.“

„Warum nicht? Ich fände das toll!“

„Naja, wir haben weder bei mir noch bei euch genug Platz. Und den brauche ich nun einmal für meine Werkstatt.“

„Aber wir könnten doch anbauen“, schlug ich vor. „Hier ginge das bestimmt.“

„Ach Prinzesschen.“ Er seufzte tief. „Ich fürchte, so einfach ist es nicht. Manchmal ist es besser, wenn nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen, glaube mir.“

Eine Wolke verdunkelte für einen Moment die Sonne. Der frische Atem des Sees hauchte über meine bloßen Arme. Ich schauderte und kuschelte mich wieder in Brians Arme. „Wir werden immer zusammen sein. Ganz bestimmt. Du bist mein Pirat und ich bin deine Prinzessin. Vielleicht heirate ich dich einfach, wenn ich groß bin.“

Schmetterlingstränen

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