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04. Oban, 12. November 2013

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Ich bekam kaum mit, wie Elinor mich in ihren Wagen lud und nach Hause brachte. Mein Kopf dröhnte, als würde er platzen. Ich konnte kaum sehen, weil feurige Kreise vor meinen Augen tanzten, wieder verschwanden und dunkle Flecken hinterließen, die mir das Gefühl gaben, plötzlich blind geworden zu sein. Ich hatte einen metallischen Geschmack im Mund und mir war übel.

Elinor sprach mit mir, ich hörte den besorgten Klang ihrer Stimme, konnte den Worten aber keinen Sinn geben. Spürte den warmen Druck ihrer Hände auf meinen Oberarmen, als sie mich ins Schlafzimmer bugsierte, mich niederdrückte und mir die Kleider auszog. Kurz fröstelte ich, als kalte Luft über meine nackten Beine strich, aber gleich darauf deckte sie mich zu. Ich bekam durch das Dröhnen in meinem Schädel vage mit, wie sie mir versprach, am nächsten Morgen nach mir zu sehen und mir befahl, für den Rest der Woche frei zu nehmen.

Dann rollte ich mich zusammen, schloss die Augen und starb einen meiner zahllosen Tode.

Irgendwann wachte ich wieder auf, starrte benommen auf die Leuchtziffern des Weckers. Zwei Uhr. Ich hatte keine Ahnung, ob Tag oder Nacht war. Die Rollläden waren geschlossen und am liebsten wäre ich nie mehr aufgestanden. Die Nachttischlampe brannte, ich musste Elinor gesagt haben, dass ich immer bei Licht schlief. Kalter Schweiß bedeckte meinen Körper und ich fror trotz der Decke. Ich rappelte mich auf und stellte vorsichtig die Beine auf den Boden. Die Kopfschmerzen waren verschwunden, aber ich fühlte mich, als hätte ich den gesamten Loch Fada durchschwommen und wäre gerade noch dem Ertrinken entronnen. Als ich aufstand, zitterten meine Knie und alles drehte sich vor mir. Ich atmete tief ein und aus und der Schwindel verflüchtigte sich.

Barfuß tappte ich zum Fenster, zog den Rollladen hoch. Milchiger Nebel hüllte die Außenwelt in diffuses Licht. Ich konnte kaum die Bäume und Sträucher im Garten hinter dem Haus ausmachen. Der spärlichen Helligkeit nach zu schließen, musste es Nachmittag sein. Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, es war, als wäre mir ein Teil meines Lebens entglitten.

Ich ging langsam in die Küche. Noch immer traute ich meinem Körper nicht ganz, der mir wieder einmal seine Grenzen aufgezeigt hatte.

Auf dem Tisch lag ein Päckchen in Frischhaltefolie. Es war selbst gebackenes Kräuterbrot. Im Kühlschrank fand ich neben einer Wasserflasche einen Topf mit einem Kärtchen daran. Gute Besserung und alles Liebe, Elinor, stand darauf und mir traten vor Rührung Tränen in die Augen. Ich hob den Deckel und schnupperte. Tomatensuppe. Wie auf Kommando begann mein Magen wild zu knurren. Ich machte den Gasherd an und stellte den Topf auf die Flamme. Dann rief ich Elinor an.

Sie meldete sich gleich nach dem ersten Klingeln. „Hi du Arme, wie geht es dir? Du hattest ja einen richtigen Zusammenbruch wegen dieser blöden Brosche.“

Die Schmetterlingsbrosche.

Ich sah sie wieder vor mir, etwas blitzte in meinem Bewusstsein auf. Eine andere Brosche, nicht mit grünen, sondern mit blutroten Steinen. Nackte Haut. Blut.

Ich verdrängte das Bild sofort und es verschwand.

„Ich wollte dir nur danken, Liebes.“ Meine Stimme gehorchte mir nicht, ich räusperte mich.

„Keine Ursache.“ Elinor klang immer noch besorgt. „Ich war heute Morgen kurz bei dir. Du hast geschlafen wie eine Tote, deshalb wollte ich dich nicht stören.“

Geschlafen wie eine Tote. Ein Schauer rieselte über meinen Rücken. „Ich – das ist diese blöde Migräne. Manchmal bringt sie mich fast um. Doch jetzt geht es wieder.“

„Du ruhst dich aber aus, nicht wahr? Du kannst gerne für den Rest der Woche Urlaub nehmen, ist ja nicht mehr viel los.“

„Aber …“

„Keine Widerrede. Ich komme heute Abend kurz bei dir vorbei, wenn dir das passt. Nur auf einen kleinen Schwatz, damit ich sehe, dass du wieder in Ordnung bist. Ich bringe auch was zu essen mit.“

„Okay, da kann ich ja kaum ablehnen.“ Meine Handflächen wurden feucht und ein Kribbeln überlief mich. Nein – bitte nicht!

„Bist du noch da?“ Ich hörte Elinor wie aus weiter Ferne. Ich musste etwas essen – sofort!

„Alles okay.“ In mir schob sich Panik hoch, ich schluckte den angesammelten Speichel und versuchte mich darauf zu konzentrieren, normal zu sprechen. „Ich muss Schluss machen, das hier riecht so verdammt gut und ich sabbere bereits vor Gier den Küchentisch voll. Danke dir herzlich.“ Ich legte das Handy zur Seite und wischte die feuchten Hände an der Hose ab. Schnappte nach einem Stück Kräuterbrot und biss ab. Das Panikgefühl verschwand augenblicklich und machte schlechtem Gewissen gegenüber Elinor Platz. Ich wusste, dass sie sich um mich Sorgen machte. Manchmal vergaß ich einfach, wie erschreckend meine Zustände auf andere wirken mochten. Zum Glück hatte ich Elinor gerade noch abwimmeln können, bevor sie Zeugin eines weiteren Anfalls wurde. Solche Panikattacken standen mir immer dann bevor, wenn ich nicht regelmäßig aß. Ein psychisches Problem, das ich eigentlich glaubte, längst im Griff zu haben.

Ich löffelte den ganzen Topf leer und aß die Hälfte des Kräuterbrotes. Nach der Mahlzeit fühlte ich mich besser und beschloss, zu duschen.

Im Bad entdeckte ich meine Hausschuhe, die sich aus einem unerfindlichen Grund unter dem Waschbecken befanden. Der winzige Raum bot daneben gerade Platz für ein Schränkchen und eine Duschkabine. Eher eine großzügige Nasszelle war das Badezimmer nachträglich an das ebenerdige Häuschen angebaut worden. Ich fragte mich hin und wieder, wie Tante Emily und Onkel Robert samt ihren manchmal bis zu drei Pflegekindern Raum gefunden hatten, aber es beschwerte sich wohl nie jemand über Platzmangel. Das mochte an der Herzlichkeit und liebevollen Fürsorge der Gallaghers liegen, da vergaß man auf die beengten Verhältnisse.

Ich war ihr letztes Pflegekind gewesen und am längsten geblieben, beinahe neun Jahre, bis kurz vor meiner Volljährigkeit. Sie hatten mich schließlich adoptiert und ich trug von da an den Namen Gallagher. Mir war es nur Recht, ein weiteres Stück meiner Vergangenheit wurde dadurch ausgelöscht. Durch Vermittlung von Onkel Robert bekam ich eine Anstellung als Zimmermädchen im Argyll Guest House in Glasgow. Mein erster Job von vielen.

Onkel Robert starb kurz nach meinem Weggang an einem Herzinfarkt. Tante Emily war vor zwei Jahren eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Mangels weiterer Verwandtschaft vermachte sie mir das Häuschen und eine kleine Summe Erspartes und ich nahm das Erbe an, froh, endlich nach all den unsteten Jahren eine beständige Unterkunft zu haben.

Ich stellte mich unter die Dusche, ließ das heiße Wasser auf meinen Körper prasseln.

Danach zog ich die bequemste Jogginghose und mein Lieblings-Sweatshirt an und ging zurück in die Küche. Die dunklen Eichenmöbel wiesen mittlerweile starke Gebrauchsspuren auf, ich fand sie aber nach wie vor gemütlich. Der Großteil an Möbeln und Geschirr war aus dem Nachlass von Tante Emily, auch der Wasserkessel aus Edelstahl, den ich nun auf den Herd stellte, um mir eine Kanne Tee aufzubrühen. In einer Schublade entdeckte ich ein Säckchen mit Toffees, die mir Elinor irgendwann einmal geschenkt haben musste.

Ich ging zum Küchenfenster und schob den blau-weiß-karierten Vorhang zur Seite. Tante Emily hatte ihn selbst genäht und am unteren Rand mit einer Reihe Veilchen bestickt. Das diffuse Dämmerlicht draußen nahm mir jede Lust, das Haus zu verlassen.

Ich vertiefte mich in The Moonstone von Wilkie Collins. Das Buch hatte ich zuletzt während meiner Zeit in London gelesen. Der altmodische Krimi beruhigte meine Nerven und ich fragte mich wieder einmal, wie oft ich noch Opfer meiner Hirngespinste wurde.

Das Schrillen der Türglocke holte mich aus dem Tagebuch von Ezra Jennings zurück in die Wirklichkeit. Ich sah auf die Uhr. Halb vier. Hatte Elinor beschlossen, früher zuzusperren? Ehrlich gesagt, wäre es mir lieber gewesen, noch ein wenig Ruhe zu haben. Ich mochte meine Freundin sehr, aber sie konnte ihre Neugier nie lange bezähmen und ich musste auf unangenehme Fragen gefasst sein. Natürlich ahnte sie, dass es für meine Migräneattacke eine tiefere Ursache gab, noch dazu, wo sie so plötzlich beim Anblick der Brosche aufgetreten war. Ich verwünschte meine eigene Schwäche, die mich die Beherrschung verlieren hatte lassen.

Ich hatte Elinor nie etwas über meine Vergangenheit erzählt – auch nicht davon, was ich noch wusste.

Es läutete wieder und ich stand auf. Ignorieren konnte ich sie auf keinen Fall.

Ich öffnete die Tür. „Hi, du bist schon …“ Überrascht verstummte ich. Es war gar nicht Elinor. Ein Fremder stand vor mir.

„Miss April Gallagher? Oder vielmehr McPherson? April McPherson?“

Eine Gänsehaut überlief mich und die Härchen auf meinen Armen richteten sich selbst unter dem dicken Sweatshirt auf.

„Tut mir leid“, sagte ich automatisch. „Da sind Sie hier falsch.“

Er sah mich mit ausdrucksloser Miene an. Seine Augen hatten eine undefinierbare Farbe, eine Mischung aus grau, grün und blau.

„Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich weiß, dass Sie jetzt den Namen Gallagher tragen.“ Seine Stimme klang tief und sehr kultiviert. Londoner Upperclass vermutlich.

„Was wollen Sie? Wer sind Sie überhaupt? Falls Sie ein Reporter sind – ich kann Ihnen nichts sagen.“ Ich bemühte mich um einen harschen Ton, versuchte, das Zittern, das mich schlagartig überfiel, zu unterdrücken. Der Kerl war mindestens einen Kopf größer als ich, aber ich war gut darin geworden, mich selbst zu verteidigen. Zur Not konnte ich ihm das Knie in den Bauch rammen und …

„Verzeihen Sie.“ Er neigte den Kopf auf eine Weise, die zu seinem distinguierten Äußeren passte. Ich vergaß meine Verteidigungsmaßnahmen und betrachtete ihn genauer. Sein Alter war schwierig zu schätzen, er mochte vielleicht Anfang Dreißig sein, wirkte aber aufgrund seines Auftretens älter. Er trug einen schwarzen Kaschmirmantel, der nicht zugeknöpft war und darunter Anzug und Krawatte, alles im Wert etwa meines Jahresgehalts. Ich kannte mich mit teurer Kleidung aus, seit ich als Zimmermädchen im Park Lane Hotel in Mayfair gearbeitet hatte.

„Mein Name ist Benedict Holden. Ich bräuchte Ihre Hilfe bei einem heiklen Thema. Es geht um die Umstände des Todes …“

Das Zittern verstärkte sich und mir wurde schwindlig. „Mir egal. Ich will nicht mit Ihnen sprechen. Lassen Sie mich einfach in Ruhe.“ Ich wollte die Tür schließen, doch er stellte blitzschnell den Fuß in den Spalt. Sein Schuh war blank poliert.

„… Ihrer Mutter. Ich komme von Holden, Carmichael & Struthers“, sagte er, als hätte ich ihn nicht unterbrochen.

Ich hielt mich am Türrahmen fest. Hinter meinen Schläfen begann es zu pochen. „Verschwinden Sie oder ich rufe die Polizei.“ Das diffuse Gefühl von Angst, das mich bei der Nennung meines früheren Namens ergriffen hatte, wurde zu wilder Panik. „Gehen Sie, bitte.“ Es hörte sich viel zu flehentlich an.

Zu meiner Verblüffung trat er einen Schritt zurück. Ein bedauerndes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ich habe wohl den falschen Zeitpunkt erwischt, tut mir wirklich leid.“

Hau ab. Lass mich in Ruhe.

Ich hatte das bestimmt nicht laut gesagt, auch wenn es in mir schrie. Er griff in die Brusttasche seines Sakkos und gab mir eine Karte. „Vielleicht überlegen Sie es sich noch einmal. Es könnte sein, dass der Mörder Ihrer Mutter wieder zugeschlagen hat.“

Damit drehte er sich um und ging.

Ich warf die Tür zu, lehnte mich dagegen, konnte mit einem Mal keinen Schritt tun, so sehr zitterten meine Knie. Ich starrte auf die Karte in der Hand, die Schrift verschwamm vor meinen Augen.

Nein, das konnte nicht sein. Das war nur einer dieser sensationslüsternen Journalisten. Irgendjemand wühlte wieder einmal in der Vergangenheit herum, auf der Suche nach Grausigem, Rätselhaftem, um einem gierigen Publikum Unterhaltung zu bieten. Ich schloss die Augen, sah das Blitzlichtgewitter wieder vor mir, das mich unbarmherzig blendete, sodass ich keinen Schritt mehr tun konnte. Hörte die aufgeregten Stimmen, die bohrenden Fragen, die ich nicht beantworten konnte, weil mein Gedächtnis nichts als ein schwarzes Loch war. Spürte die unzähligen Körper, die sich an mich drängen wollten, mir viel zu nahekamen. Der Polizist, der mich mehr schlecht als recht vor der Meute abschirmte, ein Spießrutenlauf zu dem dunklen Wagen auf der anderen Straßenseite, der mich von Portree wegbringen sollte. Für immer.

Wie lange ich da stand, an die Tür gelehnt, in mir haltloses Zittern, hätte ich nicht sagen können. Es war, als würde über mir eine dunkle Wolke hängen, als sei der Abgrund, an den ich längst gewöhnt war, nicht mehr genug.

Das Gedicht. Die Brosche. Und jetzt dieser Kerl, der offensichtlich über mich Bescheid wusste.

Mein erster Impuls war, meine Sachen zu packen und einfach wegzulaufen, wie ich es so oft schon getan hatte. Aber eigentlich wollte ich das nicht mehr. Ich hatte eine Heimat gefunden, besaß ein Haus. Ich hatte endlich eine Freundin.

Das neuerliche Schrillen der Türglocke fuhr mir durch Mark und Bein. Ich hielt mich wieder am Türrahmen fest, um das Zittern unter Kontrolle zu bekommen und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Mein Herz pochte so heftig, dass ich glaubte, mein Brustkorb müsste zerspringen. War das wieder dieser Fremde?

Unsinn. Er hatte gesagt, ich solle ihn anrufen. Was ich natürlich nicht tun würde.

Ich fasste mir ein Herz und öffnete die Tür einen Spalt weit. Nebel wallte in weißen Schwaden, schluckte das Licht der Straßenlaternen.

„Hi April! Willst du mich nicht hereinlassen? Es ist saukalt draußen und das Ding hier ist schwer!“ Elinor seufzte dramatisch und ich atmete erleichtert aus. Sie schob sich durch die Tür und brachte den Duft von Zimt und Schokolade mit einem Hauch von Curry mit. Sie ächzte theatralisch und stellte einen Korb von monströsen Ausmaßen auf den Tisch.

Ich stakste mit steifen Schritten von der Tür weg. In der Hand hielt ich immer noch die Karte dieses Mr. Holden. Ich legte sie unauffällig auf die Anrichte.

Elinor war damit beschäftigt, den Inhalt des Korbs auszubreiten. „Ich hab Salat, Curry mit Huhn und Reis und Chocolate Fudge Cake für meine arme kranke Freundin mitgebracht.“

Ich musste angesichts der Mengen lachen und mit einem Mal erfüllte mich Wärme. Wie hatte ich nur daran denken können, wegzugehen und Elinor zu verlassen? „Ich kann das niemals alles essen, ich hoffe, du leistest mir dabei Gesellschaft.“

Elinor grinste. „Das war der Plan.“ Sie zauberte eine Flasche Chardonnay hervor. „Und die passt genau zu unserem Mädelsabend. Fehlt nur noch ein Liebesfilm – ach je, du hast ja kein Fernsehgerät. Egal. Wir kriegen das schon hin. Lesen wir uns eben einige von deinen altmodischen Gedichten vor.“

Sie deckte in Windeseile den Tisch. Ich setzte mich auf einen Stuhl und ließ sie gewähren. Als einsame Kriegerin gegen die Dunkelheit bekam ich selten Gelegenheit, mich verwöhnen zu lassen.

Das Curry schmeckte wie erwartet köstlich und weckte trotz des gerade überstandenen Schreckens meinen Appetit. Zu meinem Leidwesen schaffte ich aber nur mehr eine kleine Portion Kuchen.

Während der Mahlzeit drehte sich unser Gespräch um Belangloses. Um die Schwierigkeiten Sarahs in der Schule, um Elinors Exmann und seine neue Freundin und um ihre eigenen Pläne für das Wochenende. Sarah würde bei Tom übernachten und sie hatte sozusagen sturmfrei. „Ich würde gerne wieder mal nach Glasgow fahren“, meinte sie. „Ein wenig bummeln gehen, vielleicht ins Kino. Hättest du Lust?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Nicht wirklich. Ich fühle mich immer noch ein wenig wackelig.“

„Ach komm! Ein Tapetenwechsel würde dir guttun. Wir könnten auch tanzen gehen.“

Dazu war ich im Moment überhaupt nicht in der Stimmung, wollte Elinor aber nicht vor den Kopf stoßen. „Eher ein andermal …“

Sie zog eine Schnute. „Ich sehe schon, du willst dieses Wochenende lieber in deinen vier Wänden verschimmeln, zwischen den alten Schmökern und den komischen Gedichten von – ach, ich weiß gar nicht, wie die alle heißen.“

„Gibt es eigentlich etwas Neues über deine romantische Bekanntschaft?“ Mein Herz flatterte leicht, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.

„Meinst du butterfly0406?“

„Wie bitte?“ Ich starrte sie verständnislos an.

„Na so nennt er sich. Butterfly0406.“

Mir wurde heiß. Schmetterling. 0406. 6. April? Das war mein Geburtstag. Ein Zufall?

Elinor knuffte mich leicht in die Seite. „Erde an April? Du guckst schon wieder so komisch. Brich mir bloß nicht wieder zusammen! Mir ist das mit deinem Geburtstag auch aufgefallen, aber ich hab vergessen, ihn danach zu fragen. Muss ich unbedingt noch tun. Vielleicht ist es ja auch seiner? Wär doch lustig, oder?“

Ich schüttelte den Kopf, meine Gedanken rasten, ließen sich nicht festhalten.

Das Gedicht von John Grace. Eines meiner Lieblingsgedichte. Früher, in einem anderen Leben. Ich spürte, wie ein unsichtbares Netz mich zu umschließen begann, etwas Gigantisches, das mich in seine klebrige Umarmung ziehen würde.

„April?“ Elinors Hände, die vor meinem Gesicht fuchtelten, holten mich in die Wirklichkeit zurück. Sie nahm mich bei den Schultern, ihr Blick bohrte sich in meinen. „Meine Liebe, ich glaube, du hast wirklich ein ernsthaftes Problem. Denkst du, ich merke nicht, was mit dir los ist? Du trägst irgendeine Scheißgeschichte mit dir rum und glaubst, du musst sie mit dir alleine ausmachen. Falls du das noch nicht weißt – ich bin deine einzige und beste Freundin! Vielleicht wäre es gut, mal alles rauszulassen?“

Ich sah die Besorgnis in ihren Augen und musste schlucken. „Es – es geht nicht. Tut mir leid, aber das ist alles – ziemlich kompliziert …“

Elinor schüttelte den Kopf. „Es hilft wirklich manchmal, einfach drüber zu reden. Auch wenn ich nichts sonst für dich tun könnte, ich würde dir zuhören.“

„Das … das ist lieb von dir. Aber ich kann nicht.“

Sie rückte ein wenig von mir ab und ich spürte ihre Enttäuschung. Ich nahm ihre Hand. „Du bist wirklich meine beste Freundin. Aber glaub mir, es gibt Dinge, über die kann man nicht sprechen, die sollte man einfach nur vergessen. Genau das habe ich getan. Und um nichts in der Welt möchte ich die Erinnerung daran zurückhaben.“

„Wie du meinst.“ Elinor war immer noch verstimmt. „Und das ist wohl auch der Grund, warum du dich einigeln und nicht nach Glasgow mitkommen willst? Aber ist auch egal. Fahre ich eben alleine.“

Schmetterlingstränen

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