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2.5.1 Merkmalverändernde Prozesse

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Assimilation

Ein häufig auftretender Prozess ist die Assimilation, die partielle oder vollständige Angleichung von Lauten. Durch Assimilation wird die Menge gemeinsamer Merkmale zusammen auftretender Segmente erhöht. Wir werden zwei häufige, aber sehr unterschiedliche Formen von Assimilation betrachten, die Nasalassimilation und den Umlaut. Die Nasalassimilation lässt sich bei der Aussprache der folgenden Wörter beobachten:

(1)anbinden [nb]→ [mb]
anpumpen [np]→ [mp]
ankaufen [nk]→ [ŋk]
ungut [ng]→ [ŋg]
unbezahlbar [nb]→ [mb]

regressive vs. progressive Assimilation

Die Nasale werden hier in ihrem Artikulationsort an den folgenden Laut angeglichen. Da ein vorangehender Laut von einem nachfolgenden beeinflusst wird, spricht man auch von regressiver Assimilation. Die Assimilation von Nasalen kann jedoch auch in der umgekehrten Richtung stattfinden. Da der vorangehende Laut den nachfolgenden beeinflusst, liegt eine progressive Assimilation vor:


Bei der Nasalassimilation im Deutschen werden die Nasale an einen benachbarten Konsonanten im Artikulationsort angeglichen, es entsteht eine homorgane (d. h. am gleichen Ort artikulierte) Konsonantenverbindung, die eine Ausspracheerleichterung darstellt. In den bislang betrachteten Fällen stehen die Laute, die aneinander angeglichen werden, direkt nebeneinander. Man spricht daher auch von Kontaktassimilation.

Umlaut

Auch beim Umlaut handelt es sich ursprünglich um eine Assimilation. Als „Umlaut“ werden meist diejenigen Vokalbuchstaben bezeichnet, die ein Trema aufweisen <ä, ö, ü>. Hier geht es jedoch um einen phonologischen Prozess, bei dem ein Vokal durch einen eng verwandten vorderen Vokal ersetzt wird. Wir finden den Umlaut im heutigen Deutsch in Pluralformen (Hut – Hüte), in Vergleichsformen von Adjektiven (groß – größer – am größten), in Verbformen (trage – trägst) und bei bestimmten Ableitungen (Reform – Reförmchen, dumm – dümmlich).

Der Umlaut war ursprünglich ein rein phonologischer Prozess, der sich anhand von althochdeutschen Wortpaaren wie den folgenden belegen lässt:

(3) Umlaut im Althochdeutschen [a] → [ε]:

gast – gesti(Gast – Gäste)
kalb – kelbir(Kalb – Kälber)
lamb – lembir(Lamm – Lämmer)
apful – epfili(Apfel – Äpfel)

i-Umlaut

Der Umlaut wurde durch das [i] der folgenden Silbe ausgelöst. Da [i] ein vorderer Vokal ist und [ε] im Gegensatz zu [a] auch ein vorderer Vokal ist, findet eine partielle Angleichung des Artikulationsorts statt. Anders als bei der Nasalassimilation stehen die beiden Laute nicht direkt nebeneinander, es handelt sich um eine Fernassimilation.

In der weiteren Sprachentwicklung wurde [i] zu einem Schwa-Laut reduziert oder verschwand ganz, der frontierte Vokal blieb jedoch erhalten. Damit verselbständigte sich der Umlaut und wurde zu einer Markierung für Pluralformen oder die Vergleichsformen von Adjektiven. Anfangs bezog sich dieser Prozess nur auf [a]. Später wurde er auf andere Vokale ausgeweitet, wie an den folgenden Beispielen aus dem heutigen Deutsch ersichtlich ist:

(4)Hass → hässlich[a] → [ε]
froh → fröhlich[o:] → [ø:]
dumm → dümmlich[] → []
Tod → tödlich[o:] → [ø:]
Gott → göttlich[] → [œ]

Dissimilation

Das Gegenteil der Assimilation ist die Dissimilation. Dissimilatorisch sind Prozesse, durch die die Menge gemeinsamer Merkmale zusammen auftretender Segmente verringert wird. Dissimilation ist wesentlich seltener als Assimilation. Dies mag damit zusammenhängen, dass Assimilation in der Regel eine Ausspracheerleichterung darstellt. Dissimilation kann hier an einem diachronen Beispiel illustriert werden. Bei einer Reihe von Wörtern wurde die Verbindung [xs] zu [ks]:

(5) ahd. wahsan [xs] → nhd. wachsen [ks]

mhd. fuchs [fxs] → nhd. Fuchs [fks]

Es kann vermutet werden, dass die Dissimilation hier auch eine Ausspracheerleichterung brachte, da zwei Frikative hintereinander schwerer zu artikulieren sind als der Plosiv [k] gefolgt von dem Frikativ [s]. Als eine Form von Dissimilation wird auch die Beseitigung ähnlicher Silben (Haplologie) gesehen, wie in bei mlat. Camomilla → nhd. Kamille oder ZaubererinZauberin.

Auslautverhärtung

Bei einer Neutralisierung wird ein ansonsten phonologisch relevanter Unterschied aufgehoben. Ein für das Deutsche charakteristischer phonologischer Prozess ist die sog. Auslautverhärtung, von der stimmhafte Obstruenten in der Silbenkoda betroffen sind. Sie werden nicht stimmhaft, sondern stimmlos ausgesprochen.

(6)lieben [b]lieb [p]
Tage [g]Tag [k]
Räder [d]Rad [t]
primitive [v]primitiv [f]
lesen [z]lies [s]
oranges [ʒ]orange [∫]

Durch die Auslautverhärtung in der Silbenkoda wird die Opposition zwischen stimmhaften und stimmlosen Obstruenten aufgehoben, wie sie z.B. in des Rates und des Rades auftritt, wo /t/ und /d/ in Opposition stehen. In der Silbenkoda von Rat und Rad, die beide als ausgesprochen werden, ist dieser Unterschied neutralisiert.

zugrunde liegende Form

Es stellt sich aber die Frage, warum man von Auslautverhärtung spricht und nicht von „Inlauterweichung“. Welche Hinweise gibt es darauf, dass der stimmhafte Obstruent zu einem stimmlosen wird und nicht etwa umgekehrt? Warum nimmt man als zugrunde liegende Form für rund /rnd/ an und nicht /runt/? Der Grund dafür ist, dass sich die Umgebungen, in denen der stimmlose Obstruent auftritt, problemlos angeben lassen, während sich für den umgekehrten Prozess keine Regel formulieren ließe.

Es ist jedoch nicht ganz unumstritten, ob durch Auslautverhärtung tatsächlich stimmlose Obstruenten entstehen. Eine Aspiration (Behauchung) des Konsonanten bei Auslautverhärtung scheint nicht so akzeptabel zu sein wie bei einem von vornherein stimmlosen Konsonanten. Zudem wird der Konsonant bei Auslautverhärtung nicht mit der gleichen Energie wie ein von vornherein stimmloser Obstruent ausgesprochen (zur Diskussion s. Wiese 2011).

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