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1.1.2 Prinzipien der modernen Sprachwissenschaft

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de Saussure

Als Begründer der modernen Sprachwissenschaft gilt der Genfer Linguist Ferdinand de Saussure (1857–1913). In seinem Werk Cours de linguistique générale, das auf der Basis von Vorlesungsmitschriften seiner Studenten zusammengestellt wurde und nach seinem Tod 1916 erschien, hat de Saussure wichtige Grundprinzipien der modernen Sprachwissenschaft dargelegt.

langue vs. parole, langage

De Saussure unterscheidet drei verschiedene Aspekte von Sprache. Als langue bezeichnet er das Sprachsystem, welches im Gehirn aller Sprecher einer bestimmten Sprache gespeichert ist. Sie ist zu unterscheiden von der Sprechtätigkeit in konkreten Situationen, die er als parole bezeichnet. Daneben gibt es noch die (faculté de) langage, die die generelle Fähigkeit zum Gebrauch und Erwerb von Sprache darstellt. Als Gegenstand der Linguistik bestimmt de Saussure die langue, das Sprachsystem, das allerdings nur über die parole, d.h. über konkrete sprachliche Äußerungen erfasst werden kann.

Strukturalismus

Da de Saussure als erster die Struktur des Sprachsystems in den Mittelpunkt rückt, wird er als Begründer des Strukturalismus gesehen. Die strukturalistische Linguistik verfolgt das Ziel, alle Elemente einer Sprache und ihre Relationen untereinander zu beschreiben. Dabei werden alle Ebenen der Sprachbeschreibung (Laute, Wörter und Sätze) einbezogen.

Zeichenbegriff

Nach de Saussure ist Sprache „ein System von Zeichen, in dem einzig die Verbindung von Sinn und Lautzeichen wesentlich ist“ (de Saussure 1967:18). Die Zeichen haben zwei Seiten, die wie die beiden Seiten einer Münze untrennbar miteinander verbunden sind: einen Signifikant (franz. signifiant ‚Bezeichnendes‘, auch Ausdrucksseite, Zeichenkörper genannt) und ein Signifikat (franz. signifié ‚Bezeichnetes‘, auch Inhaltsseite, Konzept genannt).


Abb. 1 Das Zeichenmodell bei de Saussure

Arbitrarität des Zeichens

Es gibt nun keinen zwingenden Grund, ein bestimmtes Konzept durch eine bestimmte Lautform zu bezeichnen. De Saussure spricht davon, dass das Zeichen arbiträr (franz. arbitraire ‚zufällig‘) ist. Das wird schon daran deutlich, dass der Baum auf Englisch tree und auf Französisch arbre genannt wird. Die Zuordnung von einem signifiant zu einem signifié beruht auf einer Konvention innerhalb einer Sprachgemeinschaft.

Nicht alle Zeichen sind jedoch völlig arbiträr. Manche Wörter haben eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten, nämlich lautmalende (onomatopoetische) Wörter. Sie treten gehäuft in der Sprache von Kindern auf, wie etwa Kikeriki oder Wauwau, die jeweils für bestimmte Tiere charakteristische Laute nachahmen. Onomatopoetika stellen demnach eine Ausnahme zur Arbitrarität der Zeichen dar.

syntagmatisch vs. paradigmatisch

De Saussure begreift Sprache als ein System von Zeichen, die durch ihre Beziehungen untereinander beschrieben werden können. Dabei sind zwei grundlegende Betrachtungsweisen möglich: Syntagmatische Beziehungen bestehen zwischen miteinander vorkommenden Zeichen. Paradigmatische Beziehungen bestehen zwischen Elementen, die in einer bestimmten Position austauschbar sind. Diese Elemente können potentiell im selben Kontext vorkommen, schließen sich im aktuellen Kontext jedoch gegenseitig aus.


Opposition

Zeichen, die in einer paradigmatischen Austauschbeziehung zueinander stehen, stehen in einer Opposition. In unseren Satzbeispielen sind das a) ein und der, b) Einbrecher, Dieb und Mörder, c) wird und ist sowie d) verhaftet und gefasst. Die Beziehung der Opposition gibt es nicht nur zwischen Wörtern, sondern auch auf anderen sprachlichen Ebenen. In den Wörtern mein und dein beispielsweise stehen die Anlautkonsonanten in Opposition zueinander.

Klassifizierung und Segmentierung

Zu den Methoden der strukturalistischen Sprachanalyse gehören die Segmentierung und die Klassifizierung. Unter Segmentierung versteht man die Isolierung kleinster sprachlicher Einheiten, also z.B. die Zerlegung eines Wortes in einzelne Laute. Die Klassifizierung ist die Zuordnung der Einheiten zu Klassen aufgrund gemeinsamer Eigenschaften. So lassen sich z.B. alle Wörter, die an die Stelle von Dieb treten können, als Substantive klassifizieren.

Synchronie vs. Diachronie

Ein wichtiger Aspekt, den de Saussure in die Sprachwissenschaft eingeführt hat, ist die Unterscheidung zwischen Synchronie und Diachronie. Synchron ist die Beschreibung des Zustands einer Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt (gr. syn ‚zusammen, gemeinsam‘, chronos ‚Zeit‘). Eine diachrone Betrachtung (gr. dia ‚verschieden‘) beschreibt die Sprache in ihrer geschichtlichen Entwicklung, sie vergleicht verschiedene Sprachstufen miteinander. De Saussure gibt der Analyse unter streng synchronischem Aspekt den Vorrang. Er verdeutlicht die synchrone Betrachtungsweise anhand eines Vergleichs mit einem Schachspiel. In einer Schachpartie kann man jeden Zustand auf dem Brett beschreiben, ohne zu wissen, wie er zustande gekommen ist.

Seine Befürwortung einer synchronen Betrachtungsweise kann als Reaktion auf die bis dahin übliche Wissenschaftstradition gesehen werden, die sich allein mit der Beschreibung des geschichtlichen Wandels der Sprache beschäftigte. Inzwischen hat sich die diachrone Betrachtungsweise ihren Platz zurückerobert. Diachrone Untersuchungen basieren jedoch heute meist auf genauen Beschreibungen verschiedener synchroner Sprachzustände.

De Saussure gibt dem gesprochenen Wort den Vorrang. Während sich die Linguistik im 19. Jahrhundert fast ausschließlich auf die geschriebene Sprache bezieht, hält de Saussure die gesprochene Sprache für vorrangig und sieht die Rolle der Schrift lediglich darin, gesprochene Sprache zu repräsentieren.

deskriptiv vs. präskriptiv

Eine weitere wichtige Unterscheidung, die auf ihn zurückgeht, ist die Unterscheidung zwischen einer präskriptiven und einer deskriptiven Betrachtungsweise. De Saussure sieht die Aufgabe des Sprachwissenschaftlers nicht darin, festzulegen, was richtig oder falsch ist oder was als guter Stil zu gelten hat, wie das bei einer präskriptiven (lat. prae-scribere ‚vorschreiben‘) oder normativen Grammatik der Fall ist. Vielmehr soll die Sprachwissenschaft wertfrei die unterschiedlichen Formen des Sprachgebrauchs beschreiben (lat. de-scribere ‚beschreiben‘).

Funktionalismus

De Saussure hat eine Reihe von linguistischen Schulen entscheidend beeinflusst, von denen hier nur einige erwähnt werden können. Die sog. Prager Schule arbeitete in den 1920er Jahren strukturalistische Sprachanalyse zunächst vor allem in der Phonologie aus. Darüber hinaus wurde jedoch neben der Struktur der Sprache auch stärker ihre Funktion als Kommunikationsmittel in konkreten Äußerungen einbezogen, weswegen diese Richtung auch als Funktionalismus bezeichnet wird.

Funktionen der Sprache

Die Funktionen von Sprache hat Karl Bühler (1934) in dem sog. Organon-Modell (griech. organon ‚Werkzeug‘) dargestellt. Das sprachliche Zeichen ist „Symptom“, es dient zum Ausdruck von Gedanken und Gefühlen des Senders (Ausdrucksfunktion der Sprache). Es ist „Signal“, richtet einen Appell an den Empfänger (Appellfunktion der Sprache) und es ist „Symbol“, da es sich auf Gegenstände und Sachverhalte in der Welt bezieht (Darstellungsfunktion der Sprache).


Abb. 2 Das Organon-Modell (aus: K. Bühler 1934/1999, S. 28)

Generative Grammatik

In einem weiteren Sinn können alle Richtungen der Sprachwissenschaft als strukturalistisch gelten, die die Sprache als System in den Blick nehmen. Unter diesem Gesichtspunkt kann auch eine weitere seit der Mitte des letzten Jahrhunderts sehr einflussreiche Richtung dazu gerechnet werden, die sog. generative Grammatik, deren prominentester Vertreter Noam Chomsky (*1928) ist.

Kompetenz vs. Performanz

Chomsky unterscheidet die Kompetenz der Sprecher/innen von der Performanz, der konkreten Verwendung von Sprache. Sprecher/innen einer Sprache können aufgrund ihrer Sprachkompetenz Wörter und Sätze bilden, die sie vorher noch nie gehört haben. Die generative Grammatik (generativ heißt „erzeugend“) will diese Fähigkeit abbilden, sie stellt Regeln auf, mit deren Hilfe Wörter und Sätze gebildet werden können. Die generative Grammatik setzt sich zum Ziel, diejenigen Regeln zu formulieren, über die kompetente Sprecher/innen einer Sprache verfügen. Dabei wird angenommen, dass im Spracherwerb bestimmte angeborene grammatische Prinzipien (die Universalgrammatik) zum Tragen kommen, die allen Sprachen gemeinsam sein müssen und im menschlichen Genom verankert sind.

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