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Die Hütte am Waldrand

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Natürlich ist durch die Ankunft der drei Persönlichkeiten großer Aufruhr im Orte Mjelvik entstanden. Diese armen Menschen, deren Herzen im Grunde so unberührt und deren Seelen in der Sünde sogar noch ziemlich rein bleiben, wissen nicht mehr aus und ein vor weltlichen und geistlichen Kräften. Sie verbringen Stunden mit leerem Schwatz und Kopfschütteln und Fragen und haltlosen Vermutungen.

Und so vergeht der erste Tag. Und so vergehen mehrere Tage.

Der Hornlöffelmeister kam in den Laden und kaufte leere Kisten, starke Glaskisten und glattgehobelte Margarinekisten. Der Krämer-Benjamin bezeigte auch bei dieser Gelegenheit aufs neue seine Nächstenliebe. Er gab alle seine leeren Kisten fast umsonst her.

„Aber du sollst nicht darüber reden“, sagte der Krämer. „Es ist das nicht wert.“

„Nein“, sagte der Hornlöffelmeister.

Nein — und kein einziges Wort des Dankes und der Erkenntlichkeit. Nein, nein, dieser Vulkan ist völlig ausgebrannt. Nur noch ein gähnendes Loch.

Und jetzt trägt er alle die vielen Kisten an den Waldrand. Langsam und schleppend macht er den Weg hin und zurück und trägt jedesmal zwei Kisten. Er baut eine Hütte. Eine winzig kleine, lächerliche Hütte — ein hölzernes Zelt.

Wahrlich, der Krämer-Benjamin schenkt ihm eine Rolle Teerpappe fürs Dach. Er ist unergründlich.

Und wenn der Hornlöffelmeister auch kein einziges Wort verlautet, man errät doch allgemach in Mjelvik des Krämers Wohltaten und lobt sie um so mehr, weil sie im Verschwiegenen vor sich gehen.

Die Menschen von Mjelvik sind nicht schlecht. Die Menschen sind überhaupt nicht schlecht. Sie sind nur oft unwissend und zumeist ohne Gedanken und Gefühle für andere.

Der Hornlöffelmeister baut einen kleinen Herd in seine Hütte und einen unförmigen Kamin aus grauen runden Waldsteinen. Ein wahres Ungeheuer von einem Schornstein. Er steht außerhalb der Hütte. Aus drei Margarinekisten zimmert der Hornlöffelmeister sich ein Bett und füllt es mit Heidekraut und trockenem Moos. Und dann geht ihm das Geld aus.

All sein Geld, das er in fast dreißigjähriger Arbeit verdiente, ist ihm ausgegangen zum Bau dieser elenden Hütte. Die Hütte ist dabei nicht einmal fertig und vollkommen geworden. Ach, da fehlt noch viel.

Eine Tür zum Beispiel erscheint unbedingt notwendig. Wenn aber eine Tür da ist, muß auch ein Fenster her, denn sonst wird die Hütte ohne Licht, sobald die Tür geschlossen ist. Und so gibt eins das andere und wird zur Notwendigkeit und bringt den Hornlöffelmeister in eine schwierige Lage.

Nun aber zeigt es sich endlich, wie gut und freigebig die Leute von Mjelvik im Grunde ihrer Herzen sind. Es bedurfte ja nur des Anfangs und der Aufmunterung durch den Krämer-Benjamin, und schon fühlen alle den unwiderstehlichen Drang zur Wohltätigkeit in sich.

Wahrhaft rührend ist es, wie sie da in edlem Wettstreit alles mögliche aus ihren fast leeren Hütten hervorziehen und dem Hornlöffelmeister an den Waldrand hinaustragen.

Im Handumdrehen ist die Tür da, und das notwendige Fenster ist da, und Wolldecken fürs Bett und ein Stuhl und Kochgeschirr. Und sogar eine alte Kaffeemühle kommt — Herrgott, es wird der reine Luxus! König Sigmund schickt einen halben Sack Mehl und eine Vierteltonne Salzhering. Niemals hätte der König in bezug auf Nobilität hinter den andern zurückstehen dürfen.

In solch großartiger Weise wird der verlorene Sohn in seiner Heimat aufgenommen. Alle Sünden verzeiht man ihm. Die Menschen sind in ihrer Mildherzigkeit sich selber zur Freude. Ihre Augen strahlen, und über ihre Gesichter legt sich ein gewisser Weihnachtsschimmer, der sie alle seltsam verschönt. So sind also die Menschen. Sie waren niemals schlecht.

Der Hornlöffelmeister läßt gelassenen Sinnes alle Liebe über sich herniederströmen. Er nimmt sie ganz einfach auf sich, wie er die Strafe auf sich genommen, als der Mann im schwarzen Mantel seine große Rede gehalten. Der Hornlöffelmeister kann hinfort durch nichts mehr aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Er ruft jetzt nicht mehr: „Gott sei mein Zeuge!“

Nun wäre der Hüttenbau des Hornlöffelmeisters schon Anlaß genug gewesen zu längeren Gesprächen. Jeder, der mehr oder weniger im geheimen etwas zu ihm hinaustrug, kam mit einem kleinen Erlebnis zurück: Wie er da saß; was er sagte; was er nicht sagte. Und zuweilen stellte einer unnütze Betrachtungen darüber an, wie das in Wirklichkeit wohl sein müsse, fast dreißig Jahre hinter dicken Mauern und vergitterten Fenstern ... Aber diese Vorstellung konnte natürlich keinem einzigen gelingen.

Plötzlich tauchte auch noch die Frage wegen dem geraubten Gelde auf. Das viele Geld! Der Hornlöffelmeister war ja insgeheim ein reicher Mann. Irgendwo im Walde lag der Schatz, und Haldor Oevreseth war doch wohl nur zurückgekommen, um ihn zu heben.

Ja, so war das alles. Und so mußte es sein. Und die Leere in seinen Augen und das Kraterhafte seiner Seele, das war doch wohl nichts anderes als kluge Berechnung und Komödie. Die Leute lachten untereinander und sagten: „So ein Satanskerl! Geht da am Waldrande herum und schläft in drei Margarinekisten ... Und wahrscheinlich hat er seine Hütte gerade über der Stelle erbaut, wo der große Schatz vergraben liegt!“

„Sei sicher!“ sagt einer zum anderen. „Eines Tages wird der Hornlöffelmeister auf und davon sein ...“

So redeten und rieten die Menschen hin und her und wurden ganz wild dabei und glühten vor Eifer. Diese einfachen Menschen — sie konnten ja nicht bis ans Ende ihrer Tage nur strahlen und in Weihnachtsstimmung dahinleben. Die Erkenntnisse mußten früher oder später über sie hereinbrechen.

Dem Hornlöffelmeister wurde dadurch, das versteht sich, ein Teil des allgemeinen Mitleids entzogen. Aber im Grunde verlor er wohl nicht bei diesem Verlust: was ihm an Mitleid abging, das gewann er durch die Hochachtung, die er als Herr über das verborgene Geld genoß. So sind die Menschen. Sie können aus dem einen oder anderen Grunde gut sein und schöne Taten vollbringen und Worte der Liebe aussprechen.

Keiner mißgönnte eigentlich dem Hornlöffelmeister seinen Reichtum — der Mord und die lange Sühne, so meinten die Leute, sei auch etwas ... Nichts für nichts. Und jedem das Seine.

Man wartete nun mit großer Spannung auf den Tag, da das Ereignis wirklich sich zutragen würde. Und damit das Warten nicht zu langweilig wurde, fand sich reichlich Abwechslung. Mjelvik sollte fürs erste nicht mehr zur Ruhe kommen und in Schlaf verfallen.

Da war zum Beispiel dieser Emissär Ole Mathiessen, ein mächtiger Mann, vor dem sich alle fürchteten, nicht nur die schwachen Frauen, auch die handfesten Männer, obschon die Männer sich untereinander groß machten und behaupteten, daß sie es nicht täten.

O, mit diesem Sendling des Himmels war durchaus nicht zu spaßen. In seinen dunklen Augen lag eine bezwingende Macht, ein Wille ohne Ende und ohne Grenzen. Und dagegen half kein feiger Spott.

Eine Zeitlang hielt der Emissär sich ruhig und in der Stille. Seine Eßgesundheit wurde immer strahlender und sein Schlaf immer kräftiger. Er wandelte als gewöhnlicher Mensch unter den Leuten herum und umgarnte ganz sachte ihre Seelen. Dabei bezeigte er keine Hast und stürmische Übereilung, wie am ersten Tage auf der Königsburg, keinen Übereifer, der ihm nur Niederlagen einbringen konnte. Er warf in großer Geduld seine Angel aus. Und da er dabei an seinem Leibe keine Not litt, konnte sein Geist die Zeit erharren.

Im Königreich Mjelvik

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