Читать книгу Im Königreich Mjelvik - Karl Friedrich Kurz - Страница 11
Der Sommer scheidet
ОглавлениеAuf Trollhaugen aber wohnte immer noch das Frauenzimmer mit dem marderfellbesetzten Mantel und dem Sonnenschirm. Die Birken hatten längst ihre Blätter bekommen. Die Kartoffelstauden wuchsen im Acker. Die Haferfelder wurden bleich und die Nächte schon wieder dunkel. Der Sommer schied aus Mjelvik. Oline Jensen blieb.
Sie fühlte sich auf Trollhaugen ebenso wohl, wie der Emissär sich beim Krämer wohl fühlte. Es war unerhört und kaum zu glauben. Aber Oline Jensen blieb. Eine betrübliche Tatsache.
Der König hatte am Tage nach Olinens Ankunft seinen Pächter Isaksen von Ytredalen zu sich aufs Kontor befohlen, ein Wort gesprochen, mit der Hand einen Wink gegeben. Damit war es gemacht. Der Schmied Nils kam mit seinem Motorrad die Straße herabgeknattert, bestieg das Postschiff und verschwand spurlos aus der Gegend. Die Dame Oline hat kein Wort mit dem Schmied gewechselt. Man weiß überhaupt nicht, aus welchem Anlaß sie ihm hierher folgte.
Ja, das wurde ein ereignisreicher Sommer. Bald fing sich der Emissär eine Seele, bald nagelte der Hornlöffelmeister ein Brett an seine Hütte. Die Dame Oline aber zeigte sich alle paar Tage in neuer Herrlichkeit. Einmal kam sie im Mantel, und einmal kam sie ohne Mantel. Zuweilen trug sie einen Stock in der Hand anstatt des Sonnenschirmes. Und bald brachten die Dampfer runde und kantige Pappschachteln aus der Stadt, die groß, aber gering von Gewicht waren, über deren Inhalt man sich auf der Landungsbrücke vielerlei Gedanken machen konnte. Sie wurden nach Trollhaugen gebracht.
Oline zeigte sich bald darauf in grünen Schuhen mit Goldverzierung und grünem, flatterndem Seidenkleide. Fast jeden Tag erschien sie in anderer Form und Farbe. Hin und wieder trug sie sogar eine Reitpeitsche in der Hand und einen schwarzen steifen Hut. Mit der Peitsche fuhr sie durch die Luft und ließ sie munter sausen.
Oline wurde nicht müde, ihre reizendste Weiblichkeit zu entfalten, und brachte sowohl Männer wie Weiber von Mjelvik in Verwirrung.
Und da sind nun die Männer. Und die freuen sich, wenn Oline nur den Weg von Trollhaugen herunterschreitet, federnden Ganges und auf den alleräußersten Zehenspitzen und den Kopf im Nacken.
„Sie ist — hol mich der Teufel! — königlich“, sagt einer zum anderen.
„Ein Kaiserweib ist sie!“ sagen die Männer und schauen nicht mehr auf ihre Arbeit. Sie stehen und schneiden und klopfen mit abgewandten Blicken. Sie treffen ihre Finger und bluten. Aber das reut sie gar nicht. Und sie huldigen der Schönheit und bringen ihr dieserart Opfer. Aber wenn Oline nahe an ihnen vorbeistreift, senken die Männer ihre Blicke und benehmen sich unmäßig fleißig und züchtig.
Oline Jensen beachtet diese Männer natürlich nicht. Nein, Oline ist nicht fürs gemeine Volk da. Und das gemeine Volk ist für Oline höchstens in dem Sinne da, daß es ihr zujubelt und Bewunderung ausstößt.
Sie ist eine geborene Fürstin und wahrlich von Gottes Gnaden. In einer einzigen Woche kommt sie in sechs Paar neuen Schuhen auf die Landungsbrücke herabgewandelt.
Die Weiber von Mjelvik bemerken das alles und empören sich darüber.
Solches sei unerhört, behaupten die Weiber, und sie machen ihrem Neid in wüsten Redensarten Luft. Die Weiber sagen auch noch: Dieses könne Sigmund Borsa unmöglich aushalten. „Und wenn er gleich zehnmal ein König wäre!“ behaupten sie. Denn es sei entschieden zuviel auf die Dauer und müsse ihn ruinieren.
Die Männer haben in mancher Hinsicht über die Dame Oline ihre eigene Meinung und lassen sich nicht davon abbringen. Aber in diesem einen Punkte müssen sie ihren Weibern schon recht geben.
„Ja. Es wird zuviel!“ sagen sie. „Wie soll er in das alles einstehen?“
Auch die Männer meinen, es seien doch auch dem König Schranken gezogen ...
Aber gerade in diesem einen Punkte verrechneten sich sowohl Männer wie Weiber gründlich. Es zeigte sich bald, daß der König es sehr gut aushalten kann. Ruiniert? Im Gegenteil!
Es ist ja mit dieser schönen Sache ein ganz neues Feuer über ihn gekommen. Er funkelt und glüht förmlich vor gewaltigen Entschlüssen und frischer Unternehmungslust.
Er läßt Erling Eichennase aufs Kontor kommen, stattet ihn mit Papieren und Mustern aus und schickt ihn auf die Reise ins Land hinaus. Und Erling Eichennase reist nun unermüdlich im Lande herum und verkauft und sendet mit jedem Postschiff seine Bestellungen nach Mjelvik. Der König muß gegen den Herbst zu seine Fabrik wiederum vergrößern. Er fabriziert von nun ab außer Seife auch noch Stiefelschmiere.
Und noch später im Herbst kauft er zu seiner alten Fischjacht eine neue und größere hinzu. Sollte es da vielleicht nicht gehen?
Es geht sogar glänzend. Der junge Schreiber Mikkelsen wird auch schon schief in den Schultern vom vielen Rechnen. Er muß von frühmorgens bis in die Nacht hinein auf seinem Stuhl sitzen, mit Feder und Lineal und Kopierpresse hantieren, und hört kaum einen Vogel singen und weiß kaum, ob die Wiesen blühen oder ob Schnee darauf liegt. Und wenn es so weitergeht, muß er das Schicksal des alten Ellingsen teilen, der rechnete und rechnete, bis er tot umsank. So treu diente er dem König.
Ein stiller und feiner Mensch, dieser Mikkelsen. Ein Schwestersohn von Kristin. Eine Waise. Er kam schon mit zehn Jahren nach Trollhaugen, als seine Mutter starb und der Vater bankerott und gleichzeitig dem Leben ein Ende machte. Mikkelsen wuchs im Schatten des Königs auf. Und weiß nichts anderes.
Er sitzt nun seit fünfzehn Jahren an des Königs Tisch. Und der König bezeigt ihm Wohlwollen. Da sich aber ein armer Mensch in irgendeiner Weise nützlich machen muß und Müßiggang nur dem Reichen gebührt, steckte der König seinen jungen Vetter aufs Kontor, als der alte Ellingsen dahingewelkt war. Und da schreibt sich Mikkelsen also die Schultern schief und verdünnt sein Blut.
Abends, nach Geschäftsschluß, spielt Mikkelsen auf seiner Ziehharmonika. Darin ist er ein wahrer Meister. Aber er hat das Schicksal gegen sich.
Fürs erste verliebte er sich fürchterlich in Küsters Petrine, die rötliches Haar und volle Formen besaß und hellblaue Augen und eine herrlich süße Stimme und einen goldenen Humor. Das wäre alles recht und gut. Aber der Herr selber hat sein Auge auf diese Magd geworfen.
Es ist nicht ratsam, sich gegen des Herrn Willen aufzulehnen.
Was den Kontoristen Mikkelsen anbetrifft, so hätte er sich wohl blutenden Herzens ins Unvermeidliche gefügt und seine Zeit abgewartet. Er hätte gewartet, bis Petrine ihre zwei Jahre im Königsschlosse abgedient und wieder frei geworden wäre. Oh, er hätte wohl dabei gejammert und sogar geflucht, sein Geschick verwünscht — und wäre dennoch weiter und weiter im Schatten des Königs gewandelt und dabei immer krümmer geworden im Rücken.
Petrine aber war von anderer Sorte. Sie sagte: „Nein!“
Und da war es auch nein und blieb nein.
Als der König es scherzhaft auffassen wollte, sagte sie als allererste: „Uff — da!“ Und schüttelte seine Hand ab.
Damit fing eigentlich des Königs Ungemach in der Liebe an. Seht, es wollte sich nun kein Mädchen in Mjelvik finden, das sich selber geringer achtete als Petrine.
Petrine liebte den simplen Kontoristen Mikkelsen. Und so war der Konflikt da.
Doch gerade im Augenblick, als es am schlimmsten stand, fuhr die Dame Oline Jensen aus der großen Welt übers Meer heran, stieg an den Strand von Mjelvik. Gott segne sie! Sie ersparte zwei jungen Leuten viel Herzenspein.
Was keinem Menschen von Mjelvik mit Bitten und Tränen gelungen wäre, das vollbrachte Oline mit einem einzigen Blick ... Zehn Schritte machte sie auf den König zu — dann sank er schon in die Knie.
Nun hat es wahrlich nicht so viel zu bedeuten, daß Oline so ungewöhnlich fein und gebildet ist, und daß sie nicht mit einem gewöhnlichen Schreiber am Tische sitzen und essen mag, und daß sie die Musik einer ordinären Ziehharmonika nicht ausstehen kann. Es wird ihr ja ganz übel von so viel Gewöhnlichkeit.
„Wenn er wenigstens noch Geige spielte oder Flügel“, sagt Oline. Gut. Der König spricht ein Wort.
Von da ab ißt der Kontorist Mikkelsen in der Küche am Gesindetisch. Und nach dem Abendessen wandert er mit seiner Ziehharmonika in den Wald, so weit, daß er von der Königsburg nichts mehr sehen kann. Dort trifft er Petrine. Und alles ist gut.
Petrinens Augen leuchten wie blaue Sterne und schimmern feucht. Ihre Hände sind voller Sinnenfreude. Ihr Nacken ist weiß und weich. Hat man vielleicht je gehört, daß zwei junge Menschen sich in grüner Waldeseinsamkeit grämen oder über die Zukunft unnötige Sorgen machen? Sie schauen einander an. Und es braucht nicht mehr.