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Ein ernster Mann

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Wenige Minuten nachdem der gütige und verschwiegene Wald den König und seine Dame aufgenommen, schreitet ein Mann das Sträßlein am Strande entlang. Das ist ein Mann mit schwerem Unterkiefer und schwarzen Stoppeln daran. Im übrigen ein Mann von düsterem Ernst und feierlichen Bewegungen. Es ist der Emissär Ole Mathiessen.

Der hat irgendwo dort unten in der großen Welt einen inneren Ruf vernommen. Den Hilferuf, daß zwischen den hohen Felsenwänden von Mjelvik mehrere Dutzend Seelen in Finsternis und Sünde wandeln und eine Beute des Bösen werden müssen. Nun denn — der Emissär bürstet seinen schwarzen Rock, wichst seine Stiefel und macht sich eiligst auf den Weg, die Seelen zu erretten.

Überstrahlt und im Schatten von Oline Jensens herrlicher Weltlichkeit konnte dieser fromme Mann unbemerkt das Land betreten. Nun macht er sich daran, die Gegend zu besichtigen, in der er seine Schlachten schlagen will.

Die Landungsbrücke, die paar Wege, die fünfzig oder sechzig Häuser und dahinter der Ring von Natur mit finsteren Bergen — das alles imponiert dem Emissär nicht weiter. Er hat auf seinen Feldzügen schon mächtigere Gegenden gesehen.

Höchstens wäre da die Königsburg von Trollhaugen, von der er sich einigen Nutzen oder Widerstand versprechen dürfte. Nun umschreitet er sie dreimal von Sonnenaufgang her und strengt alle seine inneren Kräfte an und fleht um Erleuchtung.

Sein Flehen wird alsbald erhört. Es wird ihm der alte Müller Indrevik auf dem Weg entgegengeführt. Und das ist just der rechte Mann. Einen besseren hätte der Emissär in ganz Mjelvik nicht finden können. Der Müller nicht schon von weitem und ruft laut: „Guten Tag! Sind wohl fremde Leute draußen auf der Wanderschaft?“

O Gott, er ist ja so neugierig wie ein Kalb auf der Frühlingswiese und tut, als freue er sich in seinem innersten Herzen, den feierlichen Laienprediger Ole Mathiessen hier zu treffen.

„Ja“, sagt der Emissär, „das verhält sich ungefähr so.“

Hierauf erkundigt er sich, wer im weißen Haus dort oben wohne. Gern macht ihm der Müller die nötige Mitteilung, und er läßt dabei den König keineswegs kleiner erscheinen, als er ist. Das verdrießt aber den Emissär, und er zieht strenge Falten in seine Stirn. Man dürfe sein Streben nicht auf irdische Güter richten, sagt er.

„Denn die Seele“, sagt der Emissär, „das bleibt die Hauptsache! Aber wie steht es denn, lieber Freund, andiesem Strande mit dem Glauben?“

Der Müller Indrevik schiebt den Südwester zur Seite und kratzt sich darunter, spuckt zweimal wichtig und mit großem Geräusch auf die Straße und bekennt: „Tvii! — Glauben? Hol mich der Teufel — damit ist es nicht weit her ...“

Es wird dem Emissär immer klarer, daß er den Hilferuf nicht umsonst vernommen und daß diese Seelen in unglaublichem Dunkel wandeln und eines hellen Lichtes und einer kräftigen Hand dringend bedürfen. Er zögert keinen Augenblick und beginnt den Kampf.

„Lieber Freund“, sagt er düster, „danke Gott, daß er nicht deine lose Zunge verdorren läßt! Du stehst am Rande des Grabes und fluchst wie ein brandschwarzer Türke. Wahrlich, für dich ist es höchste Zeit!“

Der Emissär hält seinen ersten Zorn zurück und bemüht sich vorerst noch großer Milde. Der Müller will aber gar nichts vom Grabesrand wissen. Keine Spur von Grabesrand. Seine Sinne sind der Entsagung ganz und gar abgewendet und mehr auf sein junges Weib und das Leibliche gerichtet. Sogleich beginnt er sich vor dem fremden schwarzen und ernsten Manne mächtig zu fürchten. Er drückt den Südwester aufs Haupt und rennt ohne Gruß davon.

Der Emissär läßt dieses Schaf vorläufig entweichen und beginnt den Angriff auf die Königsburg. Er gelangt aufs Kontor, und der Schreiber Mikkelsen bietet ihm mit fragendem Blick einen Stuhl an. Borsa sei noch nicht zurückgekommen von der Landungsbrücke. Aber jeden Augenblick müsse er hier sein.

Danke! Nein, der Emissär setzt sich nicht. Er wittert schon wieder Sünde und erklärt streng: „Sigmund Borsa ging den Weg hinauf — mit einem Frauenzimmer ... Und jetzt sind sie im Walde verschwunden.“

Dieses hält der Kontorist nicht für unwahrscheinlich. „Mit einem Frauenzimmer?“ fragt er und seufzt.

Ja. Kein Zweifel, mit einem Frauenzimmer!

„Hatte sie vielleicht rotes Haar — und volle Formen da herum?“

In kaltem Entsetzen starrt der Emissär den Schreiber an und setzt sich doch. Formen? Rotes Haar? „Nein, davon habe ich nichts bemerkt.“

„Dann war es nicht Petrine“, sagt der Kontorist erleichtert und fragt weiter: „Vielleicht war sie aber dunkel und hoch von Wuchs, rasch in ihren Bewegungen. Und sie krümmte sich zur Seite, wenn sie lachte?“

Der Emissär meint, dieses Mjelvik sei doch eine greulich sorgenvolle Gegend. Er schüttelt darüber sein Haupt. Nein, nein, auch davon hat er nichts bemerkt. Nein, sie war auch nicht so übermäßig hoch von Wuchs.

„Dann war es auch nicht Oleana“, sagt Mikkelsen. „Wie sah sie denn aus?“

„Sie kam mit dem Schiff. Sie kam mit einem grün und roten Sonnenschirm. Wahrlich, sie kam daher wie die leibhaftige Verführung und Fleischeslust. Aber in welcher Beziehung steht sie zu diesem Hause?“

„Ich weiß nicht das mindeste von Beziehung“, sagt Mikkelsen, „nein, Gott bewahre mich! Aber Sigmund Borsa muß ja wohl bald zurück sein.“

Es kann aber nicht erwartet werden, daß der Emissär seine Zeit mit unnützem Stillsitzen erfüllt. Er erhebt sich finsteren Sinnes und dringt bis ans Bett der kranken Kristin vor. Schon hebt er segnend seine Hand über ihr Haupt und läßt sich an ihrer Seite nieder.

Kristin ist stetsfort freundlich gesinnt gegen alle Welt. Natürlich lächelt sie auch dem schwarzen Ole Mathiessen entgegen und erwidert, so gut sie es vermag, seinen gesalbten Gruß. Aber ein Frauenzimmer mit grün und rotem Sonnenschirm kennt auch sie nicht. Es müsse wohl eine Fremde sein.

Nun ja.

Aber guter Himmel! Der Emissär muß seine beiden gewaltigen Hände über dem Kopf zusammenschlagen. „Welche Verderbnis!“ muß er rufen.

Kristin kann diese Empörung in ihres Herzens Unschuld nicht erfassen. Sie schließt schuldbewußt beide Augen und schweigt.

„Sie schweigen?“ fragt der Emissär noch mehr empört.

„Werde ich denn für meine Sünden nicht schon genug gezüchtigt?“ fragt Kristin weinerlich.

Oh, diese armen kleinen Kindersünden!

„Hier geht es aber um den lasterhaften Lebenswandel Ihres Mannes. Es geht um sein Seelenheil!“ ruft der Emissär ganz dunkel und mit geheimnisvollem Schwingen in der Stimme.

Diese Kristin ist aber nun so beschaffen, daß sie ihren Sigmund liebt; wohl nicht mit ihren Sinnen, aber mit ihrem unberührten Kinderherzen. Sie liebt ihn in ähnlicher Weise, wie sie die Blumen liebt, nur etwas mehr. Und es gefällt ihr nicht, daß ein fremder Mann da an ihrem Lager sitzt und in übler Weise von Sigmund spricht.

„Er war allezeit freundlich gegen mich“, sagt sie mit eigentümlicher Würde und Entschiedenheit. „Ich habe noch kein hartes Wort von ihm gehört. Er sorgt dafür, daß es mir an nichts fehlt.“

Nun kehrt sie sich der Wand zu und deutet an, daß diese Unterhaltung ihrerseits zu Ende sei.

Und Ole Mathiessen? Wie sollte er sich vielleicht dieses auslegen können? Ja, hier liegt nun wiederum ein Schaf, das sich nicht im ersten Griffe fangen lassen will. Des Bösen Tücke steht hinter allen Dingen. Geduld, was man nicht auf kürzestem Wege erreichen kann, erreicht man vielleicht auf Umwegen. Ein Gottesknecht vom Schlage des Emissärs kennt die Schliche des Teufels.

„Der Herr ist barmherzig“, erklärt er. „Darum bin ich hierhergesandt worden. Bald wird es in Mjelvik besser werden. Euch aber ist die Gnade beschieden, mich unter eurem Dache zu beherbergen.“

Auch das geht schon wieder nicht so, wie es gehen sollte. Kristin dreht noch einmal den Kopf herum. „Darüber müssen Sie mit Sigmund reden.“

Nun möchte sie nichts mehr hören. Gesegnete Kristin! Vorher litt sie in Ergebung und Zufriedenheit. Jetzt weint sie. Sie ist erschreckt und aufgerüttelt.

Ole Mathiessen geht vor dem Hause hin und her, sammelt sich abermals inwendig und ordnet seine Kräfte zu neuem Kampfe. Dazu bleibt ihm viel Zeit. Entweder wurde dem König und seiner schönen Dame der Bergpfad doch beschwerlicher und länger als gut war, oder sie hatten sich auf der Steinbank vor der alten Scheune ungeheuer viel zu sagen, und die Zeit lief von ihnen weg.

Jedoch Pfad und Steinbank haben ein Ende, und selbst der dunkelste Tannenwald bekommt einmal genug von Geheimnissen. Des Emissärs Eifer jedoch hat kein Ende. Und seht, da schreitet der König aus dem Dickicht hervor. Und er trägt wahrhaftig einen grün und roten Sonnenschirm unter dem Arm. Und seine Augen funkeln, und sein Schritt ist federleicht. Weder Kalk in den Adern noch Zucker in der Blase. Hurra!

Nichts als Saftigkeit und Lebenslust und Tatendrang. Ein stürmischer Jüngling mit grauen Brauen und blankem Schädel. Aber dennoch ein Jüngling.

„O Gott!“ seufzt die Dame Oline. „Wie ist das nur alles so schnell gekommen! Vor zwei Stunden kannten wir uns noch gar nicht. Und jetzt sind wir schon so intim.“

Der Weg wurde in diesen zwei Stunden natürlich nicht besser. Und Oline kann nichts dafür, wenn sie ein wenig aus dem Kurs kommt und ihre Hüfte den König streift. Sie ist und bleibt unschuldig. Sie bittet jetzt auch nicht länger um Verzeihung. Denn das hat sie nicht mehr nötig. Sie schnurrt nur noch behaglich, obschon die Lackschuhe nicht wenig drücken.

Der König wurde in dieser kurzen Zeit wieder überwältigend selbstbewußt. „Zwei Stunden“, wiederholt er. „So etwas kommt doch auf den ersten Schlag!“

„Das stimmt“, erklärt Oline. „Und jetzt wird es mir auch leichter, auf Trollhaugen zu wohnen.“

Der König sagt dann noch, das sei ein seltener und glücklicher Tag.

Und dann tritt ihnen überraschenderweise der Emissär Ole Mathiessen mit finsteren Entschlüssen entgegen. Beide Hände hebt er auf einmal und verkündet: „Der Herr segne deinen Einzug, Sigmund!“

Da fällt der König aus großer Höhe auf die Erde nieder und erstaunt über den Anblick des ernsten Mannes.

„Was für etwas?“ Hei, das war eine scharfe Stimme.

Nein, der König ist zur Zeit nicht in der Lage, sich von Ole Mathiessen bezaubern zu lassen. Aber was sein muß, das muß sein.

„Ich bitte um Unterkunft in deinem Hause, Sigmund, in des Herrn Namen.“

Diese Sprache versteht der König nicht. Er schnellt heftig mit den Augen und betrachtet den Emissär und Oline zu gleicher Zeit. „Redet norwegisch, Mann! Was wollt Ihr?“

„Wie ich dir schon zu wissen tat, Sigmund, ein Obdach.“

„Nein“, sagt der König.

„Du willst mir dein Haus verschließen?“

„Ja“, sagt der König.

Nun hebt aber Ole Mathiessen seine Hand zum Fluch. „Ich sage dir, o Sigmund, du wirst deine gerechte Strafe empfangen! Und dort an deiner Seite steht das leibhaftige Laster. Wappne dich gegen die Versuchung ...“

Und damit wäre der Emissär nun so prächtig im Zuge. Aber der König schneidet den Faden kurzerhand ab. „Fort!“ sagt er. „Zur Hölle mit dir!“

Und er weist dem Sendling des Himmels mit seiner großen Nase die Richtung. Und er hebt außerdem seinen gewaltigen Fuß. Und das sind deutliche Zeichen.

Dem erzürnten König wäre es zuzutrauen, daß er einem ernsten Manne einen Fußtritt versetzen könnte. Ole Mathiessen legt sich das alles richtig aus und zieht sich in Eile zurück. Sowie er aber aus dem Bereich der Füße Borsas und einigermaßen in Sicherheit ist, dreht er sich noch einmal zurück und hebt in Empörung die geballten Fäuste.

Vor der Königsburg steht ein sündhaftes Paar und lacht laut und roh hinter dem Laienprediger her, ohne die geringste Scham und ohne Taktgefühl.

Dieserart wurde der erste Angriff abgewiesen. Ole Mathiessen rüstet sich nun zur Belagerung.

Im Königreich Mjelvik

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