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Ein König und ein Krämer

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Benjamin Sagensen trat ins Kontor des Königs Sigmund, blieb bescheiden bei der Tür stehn und erklärte; er sei nicht ganz abgeneigt, den Kramladen zu kaufen. Den alten Kramladen von Mjelvik!

„Nein“, sagte der König.

„Ja, verzeihen Sie nur, Sigmund Borsa!“ sagte Benjamin Sagensen. „Ich dachte nur so. Aber ich bin doch ein unwissender Mann. Und vielleicht war meine Frage kühn und zudringlich. Aber das wollte ich nicht.“

Hierauf schwieg er. Und als auch der König schwieg, sagte Benjamin Sagensen beiläufig noch dieses: „Ich habe mir drüben in Amerika ein paar Schillinge erspart. Und nun wollte ich sie in ein gutes Geschäft hineinstecken und versuchen, in der Heimat vorwärtszukommen. Aber ich sehe nun wohl, daß es Ihnen nicht paßt. Und so werde ich also in des Herrn Namen weiterreisen müssen.“

Und da steht also der König am Fenster und schaut auf den Fjord hinaus, auf dem nichts anderes zu erblicken ist als die alte Fischjacht „Solrenningen“, die in ergebener Hoffnungslosigkeit am Strande klebt und einem halbtoten Vogel gleicht. Benjamin Sagensen dreht die Mütze in beiden Händen, zögert eine Weile und geht dann. Er kommt bis zur Tür.

„Warte ein wenig!“ ruft ihm der König nach. „Wir könnten ja noch über einiges reden ... Also den Kramladen, meinst du? ... Wieviel Geld hast du denn?“

„Nun“, sagt Benjamin Sagensen leise, ohne sich unnötig aufzublasen. „Es ist wohl nicht gerade viel. Aber für den Anfang ... So einige kleine Tausender ...“

„Setz dich!“ sagt der König. „Sind es Kronen? Oder ist es von dem großen amerikanischen Geld?“

„Dollars“, sagt Benjamin Sagensen und setzt sich.

Und der König hat inzwischen wohl feststellen können, daß der Fjord völlig leer und die ganze Gegend ohne Ereignis ist. Er wendet langsam seinen Vogelkopf zurück. Jawohl, dieser Mann da, Benjamin Sagensen, der vor einigen Jahren nach Amerika auszog und in der Heimat keine Lücke hinterließ, dieser geringe Mann mit seinem einfältigen und demütigen Wesen, der ohne Aufhebens eine große Summe nennt, preßt selbst einem Herrn, wie Sigmund Borsa, einen Teil Achtung ab.

„Jasso! Wie lange bist du eigentlich fort gewesen, Benjamin? — Fünf Jahre? — Hem — dann hast du aber tapfer verdient.“

Darüber sei nicht zu klagen, meint Benjamin Sagensen mit leisem Lächeln. Aber nun liegen die Verhältnisse so, daß er ganz allein steht. Er ist nur herübergekommen, seine Schwester zu besuchen, Synöve, die Frau des Müllers ... So eine Art Heimweh ...

Nein, Benjamin Sagensen hat Mjelvik drüben, trotz Glück und Segen, niemals völlig vergessen können ... Oh, das kennen doch die meisten. Man möchte gerne die Orte, wo man als Knabe spielte, wiedersehn ...

„Ja, ja“, nickt der König. Aber plötzlich wird er mißtrauisch und streng. „Und dann kommst du ausspekuliert auf meinen Kramladen ...“

„Nun — ich dachte mir, ein Mann wie Sigmund Borsa ... Ich sagte zu mir selber: Dieser Mann wird mit diesem einfachen Geschäft doch bald aufhören und sich größeren Dingen zuwenden. Ja, entschuldigen Sie!“ sagt Benjamin Sagensen.

Da muß sich also der König aufs neue besinnen.

„Darin hast du allerdings recht. Du siehst ja, ich habe schon manchen Artikel ausgehen lassen ... Ja.“

Dieses eben hat Benjamin Sagensen gesehn. Und darum kam er also und wagte zu fragen. Aber er versteht jetzt natürlich selber, daß es förmlich unverschämt gewesen. Er will gleich wieder gehen. „Sie müssen entschuldigen!“ bittet er.

„Nein, gräm dich nicht deswegen“, sagt der König versöhnlich gestimmt. „Ich bin doch auch einigermaßen Kaufmann. Und die Wahrheit zu gestehn, ich habe allerlei Projekte. Es ist in der Tat vieles, was mir heute so durch den Kopf geht. Und seit der alte Sjuren tot ist, ist doch keiner mehr da, der auf den Kramladen achtet und die rechte Ordnung hält. Aber nun verhält es sich dennoch auch so, daß schon mein Urgroßvater mit diesem Geschäft begonnen hat ...“

Benjamin senkt seinen Kopf verständnisvoll. O, er begreift doch so wohl, daß Sigmund Borsa sich von dem alten Geschäft nicht trennen kann. Und er bittet nochmals um Verzeihung.

Aber nein, der König nimmt es nicht länger übel auf. Er läßt sogar erkennen, daß er gar nicht so ganz abgeneigt wäre.

Und so umschmeicheln sich die beiden mit weichen Pfoten, schleichen behutsam um den Topf herum und reden darüber hin, genau so, wie es beim Handeln in Mjelvik seit jeher üblich gewesen. Aber sie werden mit der Zeit einig.

Der König schreibt ein Papier, das Benjamin Sagensen dreimal genau durchliest. Beide setzen ihre Namen darunter. Und dann ist es abgemacht.

Benjamin Sagensen verläßt das Kontor. Und nun ist er also Krämer, mit eigenem Geschäft auf eigenem Boden. Du große Welt! Aber dieser Mann geht ebenso klein und leise und mit gebeugtem Nacken den Weg zurück, genau so wie er gekommen. Behutsam und still geht er. Er lächelt vielleicht ein wenig — ganz zuhinterst in seinen Augen ...

Dieses geschah am Tage, als Haldor Oevreseth in die Stadt abgeliefert wurde. Und man hatte also zwei große Sachen zur allgemeinen Unterhaltung. Wahrlich zwei unerhörte Sachen. Und nun meinten die Leute, es sei überhaupt alles aus und Amen mit dem König. Und einige nahmen es sehr schwer und jammerten und machten sich sorgenvolle Gedanken.

Zu aller Überraschung geschah aber wenige Tage später schon dieses, daß der König alle freien Arbeiter und Lediggänger zu sich gebot und ihnen befahl, den Grund auszuheben zu einem großen Gebäude. Er befahl ihnen, an der Berghalde Steine zu brechen und im Wald Bäume zu fällen und Balken und Bretter zu sägen.

So baute er eine Fabrik. Und es wurde eine Seifenfabrik.

Der König führte nun nicht mehr, wie früher, all den billigen Hering in die Stadt und bereicherte andere Leute. Sondern er gewann von da ab selber das Öl daraus und erzeugte Schmierseife, die wohl nicht besser, aber auch nicht schlechter war als andere Schmierseife im Lande herum. Der Himmel selber spendete seinen Segen dazu, und das Geschäft blühte auf. Dem verwunderten Kopfschütteln zum Trotz blühte es sogleich mächtig auf. Der Kontorist Ellingsen bekam bald eine schiefe Schulter von all dem Soll und Haben und Buchführung und Bestellungen und Fakturaschreiben.

Aber es strömte Geld in die Kasse des Königs. Und es kam wieder Korn aus der Stadt, und es kam wieder Mehl in die Säcke. Und es kam wieder Zuversicht nach Mjelvik.

Die alten Weiber schalten die Kinder hinfort nicht mehr wenn sie bei ihren Spielen auch noch so laut lachten und lärmten. Alle fühlten deutlich, daß die Zeit der Züchtigung vorbei war, und sie richteten sich wieder auf und hielten allgemach inne mit Demut und Bußfertigkeit.

Benjamin Sagensen stand in seinem Kramladen vor gefüllten Regalen und vollen Schubladen und bediente in sachter Weise und gefälligen Wesens seine Kunden.

Ein Donnerskerl, dieser Benjamin! Sogleich ließ er sich unter den Ohren kleine Bärtchen wachsen und schabte jeden Samstag nur noch Kinn und Oberlippe glatt. Außerdem machte er sich mit einigen Brettern und einem schmalen Fenster neben der Tür seines Kramladens einen Verschlag und schrieb darauf „Kontor“, und stellte einen Tisch hinein und eine Kopierpresse auf den Tisch, führte ein Buch wie ein regelrechter Kaufmann und ging mit der Feder um, daß es knatterte.

Aber er hielt sich trotz aller Höflichkeit im Verkehr von den Leuten zurück, und sein Geldsack schien gar keinen Boden zu haben. Nur wenige wagten Benjamin Sagensen jetzt noch zu duzen wie in alten Tagen.

Kaufmann war er, und dazu noch ein Mann von nicht geringem Gewicht. Aber achtete man ihn nun vielleicht in allen Teilen so hoch? Keine Rede davon.

Wenn einem etwas fehlte, ging er da vielleicht zum Krämer-Benjamin? Nein, das konnte keinem einfallen. Sie gingen nach wie vor zum König.

Sie standen, mit der Mütze in der Hand, und baten um einen Sack Mehl oder um ein lächerlich kleines Darlehen, um Vorschuß, um ein kleines Stück Land zum Roden, um einen Sägebaum — es gab hundert Dinge, um die man den König bitten konnte. Und der König nickte und sagte, es werde sich wohl ein Rat finden. Und dann war es auch schon soviel wie gemacht.

So hatte schon Sigmunds Vater regiert und sein Großvater, So sollte es in Mjelvik immer sein. Es gab von jeher Tradition im Geschlecht der Borsa. Geborene Herrscher, bis auf den heutigen Tag. Das Volk beugte sich willig unter das Zepter ...

Da kommt der König nun zum Beispiel von seiner Seifenfabrik den Weg herunter. Und Isaksen, der kleine Pächter von Ytredalen, steht am Wege und nimmt die Fellmütze vom Kopf und den Tabakspriem aus dem Munde.

„Guten Abend“, sagt Isaksen.

Der König bleibt stehn und betrachtet die Tannenstämme am Wege. Vielleicht hat er des Kätners Gruß gar nicht gehört.

„Es ist nur darum“, sagt Isaksen, „... heute wäre nämlich der Pachtzins wieder fällig.“

„Ja, das ist er wohl“, nickt der König.

„Ja. Aber nun muß ich — bitterer Tod — bekennen, daß ich ihn nicht habe. Nein, kein rotes Ör ...“

„Du hast den Zins nicht?“

„Nein. Vergebt mir dieses Mal, Sigmund Borsa! Aber es ist platt unmöglich.“

„Hast du ihn vielleicht letztes Jahr bezahlt, oder das Jahr vorher?“

„Leider ... Aber Sie sind doch immer ein guter Herr gewesen ... Und letzte Woche habe ich im Berg eine Kuh verloren. Und der Krämer-Benjamin will mir nicht länger borgen. Er ist ein Kujon! Wenn ich aber kein Mehl habe, wovon soll dann meine Alte Grütze kochen? Und ohne Grütze ist Hunger im Haus ...“

„So? Will er dir nicht borgen? ... Ich werde ein Wort mit ihm reden“, sagt der König. „Geh morgen noch einmal zu ihm hin. Und nun kannst du gleich auf die Mühle fahren und einen Sack Mehl holen.“

Isaksen hat plötzlich viel Wasser in den Augen. „Gott segne Sie!“ ruft er. Ho, wie sein Kinn Falten bekommt und bebt.

Das gefällt dem König Sigmund. „Wie heißt doch deine zweite Tochter?“

„Karin.“

„Sie soll morgen nach Trollhaugen kommen. Karin? Sie kann im Haus ein wenig helfen.“

Dann nickt der König und geht. So regiert er — mit Milde und Klugheit.

Isaksen bleibt noch ein wenig mitten auf dem Wege stehn und wischt sich mit dem Handrücken unter der Nase ... Ein Sack Mehl und Kredit beim Krämer und Karin ... Ja, das ist nun für Isaksen von Ytredalen eine sehr große Sache. Karin auf Trollhaugen — wahrlich ein tröstlicher Blick in die Zukunft.

Vielleicht, begann dieser Tag mit einem nebelgrauen Morgen. Aber alle Dinge wenden sich einem elenden Kätner nun zum Guten. Er setzt die Fellmütze wieder auf, gräbt den kaum halbverbrauchten Priem aus der Hosentasche hervor und wandert quer durch den Wald ... Karin auf Trollhaugen — Glanz fällt auf Isaksens geringe Hütte ...

Im Königreich Mjelvik

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