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Um Mitternacht

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Auch in den Küchenfenstern stand die blaue Frühlingsnacht. Doch hier schrie und wetterte, unbesiegt und unbesiegbar, Hannes Frank. Seine Stimme war allmählich heiser geworden, so dass ihm die Worte wie kleine Blechstücke aus dem Mund fuhren und die Frauen ihn nicht mehr recht verstehen konnten. Nein, dieser Mann ergab sich noch lange nicht in sein Geschick, sondern brüllte mit allen Kräften dagegen. Da Elisa kampfesmüde das Feld räumte, suchte er nach einem neuen Feind.

Werner lauschte an der Tür, verzog den Mund, nickte. Ja, das kannte er längst. Und er wusste genau, wie das nun weiterging. Hatte Hannes Frank sich völlig ausgetobt, legte er sich ins Bett; gleich darauf schnarchte er, dass es durch das ganze Haus drang. Es war stets dasselbe. Aber es war gefährlich, jetzt bemerkt zu werden.

Des Vaters Toben kam Werner widerlich und unsinnig vor. Gemein, lächerlich und roh erschien ihm das alles nach dem Gespräch im Krankenzimmer. Doch nun handelte es sich darum, irgendwie Geld zu erhalten für feines Briefpapier und Wohlgeruch.

Werner suchte den Grossvater und fand ihn im Holzschuppen, wo er mit einem kleinen Beil die dürren Tannenäste kleinhackte. Eine Laterne stand am Boden und warf wilde, riesengrosse Schatten auf die Wände. „Brüllt er immer noch?“ erkundigte sich der alte Klaus.

„Ja, aber er ist schon so heiser, dass er bald zu Bett geht. Willst du mir ein wenig Geld geben?“

„Wozu?“

Von dieser einfachen Frage wird Werner überrumpelt. Durfte er nun dem Grossvater Konrads Geheimnis verraten? Durfte er sagen, wozu er das Geld brauchte? Unmöglich! Ausserdem würde der Grossvater das doch niemals begreifen. Und darum musste er also weiterlügen. Diese Welt ist eben so eingerichtet, dass man mit einer kleinen Lüge oft viel weiter kommt als mit zwei grossen Wahrheiten.

„Es ist für die Schule. Ich sollte ein Buch kaufen — über Geographie ... Den Vater kann ich jetzt nicht fragen ...“

„Wieviel brauchst du?“

Werner nennt eine unbedeutende Summe. Der alte Klaus greift in seine Tasche und zieht einen ungeheuer schmutzigen Geldbeutel daraus hervor. Auch das Geld ist klebrig und dreckig. Dennoch liegt himmlische Gnade darin.

Mit dem Geld in der Faust läuft Werner durch die Strassen, kauft Briefpapier und Wohlgeruch. Spät in der Nacht, als die Brüder schlafen, schreibt er einen Liebesbrief. „Mein liebster Konrad! Ich schreibe Dir diesen Brief in tiefster Nachtstunde, weil ich nicht selber zu Dir kommen und mit Dir sprechen darf ...“

Werners Augen strahlen, Werners Herz hüpft. Es wird ein überaus zärtlicher Brief. Vielleicht gar zu zärtlich und nicht in allen Teilen wohlgeraten und nicht ganz so, wie eine junge, feine Dame schreiben würde. Der Knabe Werner legte sicherlich etwas viel Hingebung und Sehnsucht darein, damit Konrad sich richtig freuen sollte. Und er hielt die Feder zwischen Zeige- und Mittelfinger, malte winzig kleine Buchstaben und verstellte seine Schrift. „Bis in alle Ewigkeit Deine Alma.“

Der Brief wurde ausgiebig mit Wohlgeruch besprengt, sorgfältig verklebt. Am nächsten Abend öffnete Werner vor Konrads Bett den Umschlag wieder und hielt ihm den Brief vors Gesicht, indem er selber zur Seite blickte.

Konrad freute sich — soviel ist sicher. „Ich kann dir ja gar nicht sagen, wie schön sie schreibt“, sagte er. „Wenn der Brief nicht gerade von ihr wäre, dürftest du ihn gern lesen. Aber das geht nun leider nicht. Das begreifst du wohl?“

Ja, das begriff Werner. Er drehte sich noch mehr zur Seite. Seine Wangen wurden heiss. Ja, gewiss, er schämte sich grässlich. Doch sein Herz jubelte.

„Nein, du — dass ich dieses noch erleben durfte“, murmelte Konrad. „Leg ihn unter mein Kopfkissen! Am liebsten möchte ich die ganze Nacht lang darauf schlafen. Aber sie könnten ihn entdecken. Leg ihn, ehe du schlafen gehst, zu der Puppe.“

Hierauf wurde der zweite Brief an Alma verfasst. Doch dieser Brief erreichte sie nie.

Trotzdem ein herrlicher Briefwechsel. Manchmal brachte Werner von Alma Blumen, die er selber im Garten pflückte. Und dabei musste er von ihr berichten, was sie sprach und wie sie aussah; Konrad fragte und fragte und wollte vieles wissen. Er war in diesen Tagen der glücklichste Mensch im Ritterhof.

Auch Werner war glücklich. Ihr Glück wurde durch Lügen erkauft. Aber darauf kommt es nicht an.

Leider gingen bei dem heftigen Briefwechsel bald das schöne Leinenpapier und der Wohlgeruch aus. Und als Werner den Grossvater wieder bedeutungsvoll am Ärmel zupfte und um die nötigen Mittel bat, musste er zu seinem Schreck erfahren, dass diese Wunderquelle zu versiegen drohte.

„Wie? Schon wieder ein Schulbuch?“ fragte der alte Klaus. „Sieh, Werner, nun ist mir selber das Geld ausgegangen. Ich kann dir noch dieses eine Mal helfen. Aber das ist das letztemal.“

Mit blassen Lippen stammelt Werner: „Aber ich muss das Geld unbedingt haben. Sonst entsteht ein Unglück ...“

Forschend betrachtet der alte Klaus seinen Enkel, indes er gewaltig mit dem Kopfe wackelt. „Kannst du schweigen?“

„Ja, das kann ich.“

„Komm heute nacht um die zwölfte Stunde hierher in meine Kammer. Vielleicht kann ich dir doch noch weiter helfen.“

Um Mitternacht schlich der alte Klaus mit Werner in den hintersten Winkel des tiefsten Kellers, hob ein paar Steine aus der Mauer und schob ihn in die verborgene Werkstatt. Und da lagen also die Platten und Zeichnungen, eine kleine Presse, Papier und andere Dinge.

„Du bist ja ein Maler und Künstler und alles“, begann der alte Klaus mit unsicher schwankender Stimme. „Dann kannst du sicher auch das da machen.“

Werner hielt eine der Platten gegen das Licht und stotterte ängstlich: „Damit kann man Fünfzigfrankenscheine machen.“

„Siehst du. Du verstehst die Sache ...“

„Aber dann ist es falsches Geld.“

„Sie sind so gut gemacht wie die echten.“

„Aber sie sind doch falsch.“

„Dir und mir, uns allen wäre damit geholfen, auch Konrad“, sagte der alte Klaus ernst. „Farbe ist da, Papier ist da, alles ist da. Man wird nie erfahren, dass du sie gemacht hast. Umsetzen will ich sie schon allein.“

Werner verschlägt es den Atem. Jäh geht ihm eine Erkenntnis auf. „Daher stammt also dein Reichtum? Aber du hast die Scheine doch nicht selber ...“

„Leider nein. Das kann ich nicht. Dazu sind meine Augen zu schlecht, es fehlt mir auch sonst alle Wissenschaft. Du aber hast geschickte Hände.“

„Es wäre böses Geld, Grossvater.“

„Alles Geld ist böse oder gut — je nachdem.“

„Weisst du denn nicht, dass eine hohe Strafe darauf steht?“ fragt Werner bang.

„Freilich. Aber wir brauchen das Geld so nötig. Nun weiss ich noch einen anderen Rat: Wenn du mich morgen bei der Polizei anzeigst, bekommst du dafür eine hohe Belohnung. Es sind zweitausend Franken ausgeschrieben. Wahrscheinlich sperren sie mich dann ein für den Rest meines Lebens. Mir ist das gleichgültig. Aber euch wäre geholfen für lange Zeit.“

In massloser Verwunderung starrt Werner auf den alten Klaus. „Ich — dich anzeigen ...“

„Ob ich hier herumgehe und hungere oder im Gefängnis hocke, das kommt auf ein und dasselbe heraus. Die Belohnung wenigstens solltest du dir verdienen.“

Schnell legt Werner die Platte auf den Tisch zurück. „Lass uns gehen“, sagt er nur.

Aber der alte Klaus fasst ihn hart am Arm, seine kleinen Augen funkeln befremdlich im Schein der Laterne.

„Grossvater!“

„Willst du nicht?“

„Ich kann nicht. Nein. Ich weiss nicht, wie das gemacht wird. Und ich will es auch nicht wissen.“

„Du bekommst von mir kein Geld mehr.“

Klaus lässt Werners Arm los. Ohne ein weiteres Wort gehen sie miteinander ins Haus.

In dieser Nacht hörten die Frauen noch einmal das Gespensterpoltern auf der Tiefe und erschraken. Aber sie hörten es nur noch dieses eine Mal.

Hierauf ging das Geld aus, und die Not wuchs.

Traum und Ziel

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