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VORWORT ZUR 1. AUFLAGE

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Zeiten der Krise sind Zeiten der Kritik. Daß die globale Wirtschaft an der Jahrtausendwende eine tiefe Krise durchläuft, ist kaum mehr zu bestreiten. Längst ist der Traum des Keynesianismus von einer lenkbaren Marktwirtschaft ausgeträumt. Der Zusammenbruch des realen Sozialismus und der Polarsturm der Globalisierung sind dabei, die Vorstellung einer Nationalökonomie endgültig ad absurdum zu führen.

Die Wirtschaftswissenschaft hat darauf bislang mit theoretischer Nostalgie reagiert: Man kehrt zu den Tugenden des frühen Liberalismus zurück.1 Der Neoliberalismus ist die wirtschaftspolitische Form einer Wirtschaftstheorie, die heute fast weltweit akzeptiert wird. Diese Theorie basiert auf den Arbeiten der schottischen Moralphilosophen und fand im Hauptwerk von Adam Smith ihren klassischen Ausdruck. Ergänzt im 19. Jahrhundert durch die Lehre vom Nutzen, wurde diese dann neoklassische Theorie genannte Schule bis in die Gegenwart auf vielfache Weise verfeinert und mathematisiert.

Ökonomen sprechen gern und viel von »Nutzen- oder Produktionsfunktionen«, von »Gleichgewicht«, »Marktmechanismus«, »Wohlfahrt« oder »Zeitpräferenz«, von »Knappheit« oder dem »Rationalitätspostulat«. Aber ungeachtet der bunten Vielfalt von Theorien sind die zugrundeliegenden Begriffe selbst kaum je ein Thema: Sie fungieren als allgemeiner theoretischer Rahmen, der selbstverständlich akzeptiert wird. Sie sind exakt das, was Thomas S. Kuhn als Paradigma bezeichnet.

Diese eigentlichen Grundlagen der modernen Wirtschaftswissenschaft blieben bei allen theoretischen Veränderungen, »Revolutionen« und »Konterrevolutionen« unangetastet.2 Ich werde im nachfolgenden Text die These vertreten, daß die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie bislang nie wirklich zum Thema gemacht wurden.3 Das ist deshalb verständlich, weil die Hauptkontrahenten – Sozialismus und Liberalismus – in der Interpretation dieser Grundlagen übereinstimmen. Der »wissenschaftliche Sozialismus« und die Neoklassik vertreten gemeinsam die Auffassung, daß die Wirtschaft durch objektive Gesetze gesteuert werde, die denen der Naturwissenschaft analog seien. Solange diese beiden Schulen, politisch bis an die Zähne bewaffnet, ihren ideologischen Kampf führten, blieb diese gemeinsame Grundlage verborgen. Seit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus, nachdem der Pulverdampf verflogen ist, wird das gemeinsame Denkmodell deutlich sichtbar.

In Frage steht damit heute keineswegs nur die scheinbar überwundene Theorie des Sozialismus, in Frage steht vielmehr das mechanische Paradigma der Wirtschaft insgesamt. Dieses Paradigma herauszuarbeiten und in seinen philosophischen Grundlagen aufzuhellen, ist die Aufgabe des nachfolgenden Textes. Bei der Freilegung dieser Grundlagen wird sich auch zeigen, daß das traditionelle Denkmodell keineswegs nur die Ökonomie, sondern auch die Naturwissenschaften umfaßt. Die Arbeitsteilung zwischen Wirtschafts- und Naturwissenschaft ist der Grund dafür, daß das gemeinsame Paradigma verborgen bleiben konnte. Hier sind es vor allem die durch egoistischen Wettbewerb und kurzfristige Interessen potenzierten Gefahren neuer Technologien und die schwelende ökologische Katastrophe, die Ökonomen und Naturforscher vor gemeinsame Aufgaben stellen. Es ist deshalb auch notwendig zu fragen, auf welcher philosophischen Basis die Arbeitsteilung zwischen Wirtschafts- und Naturwissenschaften beruht.


1 »Economics is helplessly behind the times«, T. Veblen, Why is Economics Not an Evolutionary Science, Quarterly Journal of Economics 12 (1898), meinte schon vor hundert Jahren Thorstein Veblen in seiner Kritik an der neoklassischen Ökonomie.

2 Ich denke hier natürlich an die »Keynessche Revolution« in der Ökonomie und die von Milton Friedman so genannte »Konterrevolution« des Monetarismus. Vergleichbare Umbrüche gab es in der Ökonomie mehrfach, etwa in der Preistheorie. Sie betrafen allerdings kaum jemals die eigentlichen Grundlagen, auch nicht die »Kritik der Politischen Ökonomie«, die mehr mit der Tradition teilt als Marx bewußt war.

3 In Frage stehen hier zunächst die Interpretation der Ökonomie und ihre philosophischen Grundlagen. Es wird sich aber zeigen, daß in der Wirtschaft – wie allgemein in den Sozialwissenschaften – die Interpretation der »Wirklichkeit« selbst Wirklichkeit schafft. Insofern kann hier der indifferente Begriff »Ökonomie«, der die Wissenschaft und ihren Gegenstand bezeichnet, in seiner (nicht zufälligen) Doppeldeutigkeit verbleiben.

Die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie

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