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VORWORT ZUR 6. AUFLAGE
ОглавлениеAuch die sechste Auflage dieses Buches, das 1998 zuerst erschienen ist, bleibt unverändert, denn die im Text formulierte Kritik an den herrschenden Wirtschaftswissenschaften ist heute noch genauso aktuell wie vor vierzehn Jahren. Die Ökonomen haben aus den Krisen, die mit der Jahrtausendwende einsetzten und nur ihre lokale Form geändert haben, wenig gelernt. Der Streit untereinander hat zwar an Heftigkeit zugenommen. Die Fragwürdigkeit des gesamten Paradigmas, in dem diese Auseinandersetzungen geführt werden, wurde bislang aber nicht erkannt.
Die im vorliegenden Buch entfaltete Analyse zielt nicht primär auf einzelne ökonomische Tatsachen, sondern ist eine philosophische Kritik der Grundlagen des Denkens, das wirtschaftliche Sachverhalte beurteilen möchte. Die Mechanik der Modelle, die schon von Schmoller und Knies im Ausklang des 19. Jahrhunderts, von Sombart und Spann in den 1920er und von Georgescu-Roegen und Mirowski im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts kritisiert wurde4, beruht auf einer Denkform, die aufzudecken das traditionelle Geschäft der Philosophie ist. Die zu beobachtende äußere Analogie mit naturwissenschaftlichen Denkformen ist nur ein Symptom für eine fundamentale Selbsttäuschung der Wirtschaftswissenschaften, die auf den nachfolgenden Seiten an zentralen Kategorien aufgedeckt wird.
Was sich in verschiedenen Schulen – Neoklassik, österreichische Schule, Spieltheorie, Evolutionsökonomik, Verhaltensökonomik, Institutionalismus, Keynesianismus und Marxismus – höchst streitbar und gegensätzlich zeigt, bewegt sich philosophisch betrachtet, d.h. in seinen kategorialen Grundlagen, durchaus im selben Terrain einer gemeinsamen erkenntnistheoretischen Position: Man betrachtet die Phänomene der Wirtschaft gleich jenen der Natur als äußere, bewusstlose Strukturen, deren Verhalten durch verschiedene Ansätze erklärt werden soll. Diese Trennung von Subjekt und Objekt, gar die totalitäre Haltung vieler Ökonomen, die problemlos den Menschen Armutsprogramme im Interesse der Rettung der überkommenen Geldökonomie aufnötigt, ist der grundlegende Irrweg der im vorliegenden Text kritisierten Wissenschaft.
Die Wirtschaft ist eingebettet in die ganze menschliche Gesellschaft, auch wenn das Geld durch seine spezifische Form der Vergesellschaftung alle übrigen Lebenswelten inzwischen global dominiert. Das Geld ist die eigentliche Quelle jener Ratio, die von den Ökonomen nur beschworen, nicht aber in ihren Grundlagen und ihrer sozialen Form erkannt wird. Wenn z.B. verhaltenswissenschaftliche Experimente entdecken, dass der reine homo oeconomicus nie existiert hat, dann reproduzieren sie nur eine pekuniäre Borniertheit: Teilnehmer der Experimente werden darauf verpflichtet, ausschließlich über das Geld miteinander zu kommunizieren. Man muss Ökonom sein, um das dabei gefundene Ergebnis überraschend zu finden: Verschiedene Menschen handeln auch mit Geld in verschiedenen Situationen verschieden.
Das, was sich in ökonomischen Krisen zeigt, ist nur die Spitze eines Eisbergs. Die berechnende Ratio, die im fünften Teil meines Buches entfaltet wird, hat ihre Quelle in der Geldrechnung. Die Analyse des Geldes als Geld ist bislang aber das große Versäumnis der Wirtschaftswissenschaften. Ihre Geldtheorien sind aufgrund der erwähnten erkenntnistheoretischen Haltung nicht bis zur Einsicht vorgedrungen, dass das Geld eine allgemeine Denkform ist. Was sich in den Grenzen der berechnenden Naturbeherrschung, in technischen Großkatastrophen wie Fukushima, in der Vielfalt ökologischer, klimatischer und der Inflation psychischer Probleme offenbart, ist eine fundamentale Krise der Ratio selbst. Die Wirtschafts- und Finanzkrisen sind hierbei nur die offensichtlichsten Phänomene.
In meinem 2012 in zweiter Auflage erschienenen Buch „Die Herrschaft des Geldes“ habe ich diese Denkformen systematisch und unter vielfältig kritischen Bezügen auf die verschiedensten ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Theorien ausführlich untersucht; weitere ergänzende Texte finden interessierte Leser Innen auch auf meiner Homepage (vgl. S. 277). Das vorliegende Buch klammert die Geldphilosophie im engeren Sinne aus, bietet aber zahlreiche Anknüpfungspunkte zu dieser Frage. Dass mein Text von Vertretern verschiedenster Disziplinen vielfach aufgegriffen wurde, erfüllt mich mit Zufriedenheit; zeigt sich darin doch, dass die philosophische immer noch die übergreifende Sprache aller Wissenschaften ist. Ökonomen finden sich unter den Rezipierenden allerdings eher selten, denn es sind die tragenden Fundamente ihrer gesamten Disziplin, die fragwürdig geworden sind.
Dass auch permanente Fehlprognosen und eine unüberhörbare öffentliche Kritik der Ökonomie nur Erstarrung und eine Wagenburgmentalität erzeugt haben, war zu erwarten (vgl. im Text S. 21 und 47). Aus eigener Kraft sind die Wirtschaftswissenschaften kaum reformierbar. Falsche Denkformen schaffen sich nicht selbst ab. Wohl aber könnte die Gesellschaft der herkömmlichen Ökonomik Ressourcen entziehen und so den sich aus ihrer Fehlberatung ergebenden wirtschaftlichen Schaden erheblich mindern.
4 Vgl. auch meine frühen Texte: Theorie der Arbeit, München 1979, und: Transrationalität, Münchener Wirtschaftswissenschaftliche Beiträge Nr. 86–09, München 1986, 1–49.