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VORWORT ZUR TASCHENBUCHAUSGABE
Оглавление»Wie die Luftspiegelung dem Wasser gleicht, aber kein Wasser ist.«9
Das vorliegende Buch unterzieht die Grundlagen der Ökonomie einer philosophischen Kritik. Dabei zeigt sich, daß diese Grundlagen eine Illusion sind, die Illusion nämlich, die Wirtschaft sei ein Mechanismus. Erkenntnistheoretisch entspricht dem Mechanismus die Vorstellung einer absoluten Trennung zwischen Theorie und Gegenstand. Dies als Irrtum nachzuweisen, ist die Aufgabe der nachfolgenden Kapitel.
Die erste Auflage dieses Buches, das nun in leicht verbesserter Form als Taschenbuch erscheint, wurde in zahlreichen Besprechungen sehr positiv aufgenommen. Das Buch eröffnet, fanden seine Rezensenten, »eine neue Dimension des Zusammenwirkens von Philosophie und Wirtschaftswissenschaften.«10 Die »philosophischen Zusammenhängen nachforschenden Analysen sind oft meisterhaft«11. Das Buch ist ein »beachtenswerter Versuch, hinter die Annahmen der Wirtschaftswissenschaftler zu blicken und einem größeren Publikum zu erläutern«12; es bricht »radikal mit der Vergangenheit und eröffnet das Feld für die Innovation, derer wir so sehr bedürfen«13, analysiert »auf eine höchst spannende Weise die wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen, die Begriffe, die Analogien ökonomischen Denkens, das ganze mechanische Paradigma, und plädiert für einen grundlegenden Wandel der ökonomischen Rationalität«14.
Daß ein Buch, das eine Kritik enthält, auch auf Widerspruch stößt, ist nicht verwunderlich, auch weil es, wie T. Niechoj meint, »die stoische Ruhe, mit der viele (etablierte) Wirtschaftswissenschaftler Innen methodischen und begrifflichen Fragen aus dem Weg gehen, argumentativ fundiert angreift.«15 Allerdings möchte ich auf ein Mißverständnis hinweisen. Der Einwand, ich würde eine postmechanische Ökonomie nur in »dürftigen Umrissen« zeichnen oder nur Kritik üben16, ist unzutreffend: Der vorliegende Band beschränkt sich ganz bewußt weitgehend auf eine philosophische Kritik der mechanischen Wirtschaftswissenschaft, weil der positive Entwurf zu einer postmechanischen Theorie in Gestalt meines 1996 erschienenen Buches »Erfolgsfaktor Kreativität«17 bereits vorliegt.
Wichtige Fragen von Kommentatoren sind in diesem früher erschienenen Buch bereits beantwortet. So findet sich dort ausführlich die von einem Kritiker vermißte Darstellung des Verhältnisses von Wirtschaftsordnung und Markt, was im vorliegenden Text nur am Rande behandelt wird.18 Allerdings zielt die in den nachfolgenden Kapiteln formulierte Kritik an der mechanischen Trennung von Theorie und Gegenstand zugleich auf die nur scheinbare Dualität von Ordnung und Markt. Auch die Frage nach den Ursachen des Zinses, von der sich J. Heinrichs wünschte, daß sie vom Verfasser »einer tieferen Klärung zugeführt worden wäre«, wird in »Erfolgsfaktor Kreativität« ausführlich behandelt.19
In der Kritik des Verfassers an der mechanischen Apologie des Marktes wollte man einen »ideologischen Beigeschmack«20 entdecken. Bei Verteidigern der Marxschen Ökonomie fand diese Kritik zwar Beifall, sie hielten mir aber umgekehrt vor, meine Kritik an Marx sei eine »idealistische Illusion«.21 Ich teile gewiß nicht die Meinung, der Markt sei eine naturhafte Gegebenheit und betrachte eine Kritik an der »Markthörigkeit«22 keineswegs als zeitgenössische Form der Majestätsbeleidigung, sondern im Gegenteil als eine schlichte Frage philosophischer Redlichkeit. Auch lehne ich nachdrücklich die Auffassung ab, man habe globale Konsequenzen der Ökonomie als bloßes Faktum »wertneutral« zu akzeptieren. Die Wirtschaftswissenschaft ist als mechanische Marktideologie nur eine implizite Ethik23, keine empirische Theorie. Hier gibt es gewiß Berührungspunkte mit Marx; aber ich teile nicht seine (auch von Neoklassikern vertretene) These, die Wirtschaft gehorche einem »Naturgesetz«, das als »ökonomisches Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft« durch »naturgemäße Entwicklungsphasen«24 gekennzeichnet sei. Es trifft zu, wenn M. Schefczyk vom Autor sagt, ihm sei »das Marxsche Unterfangen, die Ökonomie neu zu gründen, noch nicht grundsätzlich genug gewesen«25.
Schefczyk hat versucht, die traditionelle Theorie unter Rückgriff auf Milton Friedmans methodische Überlegungen zu verteidigen. Friedman meinte in der Tradition von Auguste Comte26: Unterscheidendes Kennzeichen einer positiven Theorie sei ihre Fähigkeit, Ereignisse prognostizieren zu können. Schefzcyk hält dem Verfasser mit Friedman entgegen: »Ausschlaggebend für den Erfolg einer Theorie ist für viele Ökonomen, daß sich aus den – strenggenommen – unzutreffenden Modell-Annahmen brauchbare Hypothesen gewinnen lassen.«27 Ob aber eine Hypothese, wendet man Friedmans Kriterium an, »brauchbar« ist, zeigt ihre Prognosefähigkeit. Hier jedoch stehen die Wirtschaftswissenschaften vor einem Desaster: Ihre prognostischen Leistungen sind nur wenig mehr als ein gefüllter Papierkorb statistischer Irrtümer. Zu erklären, weshalb das so ist, ist gerade das Anliegen der nachfolgenden Kapitel.
Die Trennung von Theorie und Gegenstand in den Sozialwissenschaften ist eine Illusion – das heißt, die Wirtschaftswissenschaften tragen eine besondere Verantwortung für die wirtschaftliche Wirklichkeit. Auch Adam Smith erklärte nicht eine liberale Wirtschaftsordnung (es gab sie zu seiner Zeit noch gar nicht), er half aber, sie durchzusetzen. Theorien formen Handlungen und damit die »soziale Wirklichkeit«, auch wenn sich das Resultat des Wettbewerbs der Entwürfe nicht prognostizieren läßt. Hierin zeigt sich nur die offene Dimension des historischen Prozesses. Der Markt ist keine ewige Naturordnung, sondern eine immer wieder neu geschaffene Illusion, deren Schein sich in periodischen Zusammenbrüchen von Volkswirtschaften und diversen Crashs zeigt. Die Massenhaftigkeit, die soziale Resonanz der Denkmodelle, die das Handeln als Rahmen lenken, läßt für den Einzelnen Märkte, Preise usw. wie eine Naturmacht erscheinen; dennoch ist diese Macht nur eine Gewohnheit des Denkens.28 Deshalb setzt eine postmechanische Wirtschaftswissenschaft eine Theorie der Gewohnheit und ihrer kreativen Veränderung voraus.29
Das Bewußtsein vermag viel mehr, als die Wissenschaften ihm zubilligen, wenn sie es auf ein soziales, genetisches oder neurologisches »Sein« zu reduzieren versuchen. Eigentlich sind die meisten menschlichen Probleme eine Folge illusionärer Gedanken, auch in den Wissenschaften. »Die Wissenschaft denkt nicht.«30 Deshalb ist es höchste Zeit, das Denken zu lernen, anstatt weiter die Gesellschaft und die Natur der Destruktion eines blinden Handelns auszusetzen, das unaufhörlich seinen Kotau vor dem unbegriffenen Götzen des Marktes macht, dessen Macht auf der massenhaften Verneigung vor ihm beruht.
Dieses Buch hatte eine verschlungene Genesis; seine Anfänge reichen zum Anfang der 1980er Jahre zurück. Für Widerspruch, Kritik, Anregungen und Hinweise in Gesprächen, bei meinen Vorträgen und in Briefen zu den hier behandelten Themen danke ich Edwin von Böventer, Malte Faber, Robert Frank, Anja Füchtenbusch, Franz Gehreis, Utta Gruber, Claudia Hörter, Horst-Joachim Jaeck, Rudi Matzka, Hans Möller, Edmund Phelps, Bernhard Röck, Betram Schefold, Alex Schomandl, Esther Schuhbauer, Rolf Tschernig, Wolfgang Ullrich, Francisco Varela sowie meinen Studentinnen, Studenten, Kolleginnen und Kollegen in Würzburg und München.
9 Nagarjuna, Ratnavali I, 54.
10 K.-J. Grün, Contra furorem oeconomicum, Wissenschaftlicher Literaturanzeiger, Heft 1, 38. Jahrgang (1999), S. 66.
11 P. Drulák, Gegen die Einbahnstraße, FAZ, 22.5.1998, S. 15.
12 K. P. Weinert, »Politische Bücher«, NDR 4 vom 22.11.1998.
13 D. Dingeldey, Wissenschaftlicher Literaturanzeiger 38 (1999), S. 63.
14 L. Glaser, Angst vor der Globalisierung? Badische Zeitung 17. März 1999.
15 T. Niechoj, Rezension, Das Argument 227 (1998), S. 754.
16 A. Wehmeier, Von Künstlern und Automaten, Handelsblatt vom 29./30.5.1998, S. G6; C. Kasprzok, Rezension, Kyklos 4 (1998), S. 585ff.
17 Erfolgsfaktor Kreativität. Die Zukunft unserer Marktwirtschaft, Darmstadt 1996.
18 Wehmeier, aaO.; vgl. Brodbeck, Erfolgsfaktor Kreativität, Teil I.
19 J. Heinrichs, Rezension, Philosophischer Literaturanzeiger Bd. 51 (1998), S. 215. Vgl. hierzu jetzt K.-H. Brodbeck, Die Herrschaft des Geldes aaO., S. 427–436 und 984–1114.
20 Wehmeier, Von Künstlern und Automaten aaO.
21 Redaktion Alltag und Geschichte, Radar e.V., Radio Darmstadt, am 29.6.1998. Zum Einwand: »Marx denkt auch nicht die Individuen als automatische Subjekte, wie Brodbeck es ihm zuschreibt, sondern (...) das Kapital«. Niechoj aaO., S. 753, vgl. Erfolgsfaktor aaO., Kapitel 13, und Kapitel 5.1 zur Natur der »Kaufmannsseele«.
22 W. Sombart, Die drei Nationalökonomien, Berlin 1930, S. 269.
23 Vgl. K.-H. Brodbeck, Die Nivellierung der Zeit in der Ökonomie; in: J. Manemann (Hrsg.), Befristete Zeit, Jahrbuch Politische Theologie, Band 3 (1999), S. 146–148. Vgl. hierzu jetzt: K.-H. Brodbeck, Ökonomische Theorie als implizite Ethik. Erkenntniskritische Anmerkungen zur ‚reinen Wirtschaftswissenschaft‘; in: M. Breuer, A. Brink, O. J. Schumann (Hrsg.), Wirtschaftsethik als kritische Sozialwissenschaft, Berlin-Stuttgart-Wien 2003, S. 191–220.
24 K. Marx, Das Kapital Bd. I, MEW Bd. 23, S. 15 und 16. Diese Gesetze sollen sogar eine teleologische Tendenz bergen; vgl. K. Marx an F. D. Nieuwenhuis vom 22. Februar 1881, MEW Bd. 35, S. 161.
25 M. Schefczyk, Unberechenbarkeit. Eine philosophische Kritik der Wirtschaftswissenschaften, NZZ, 14. September 1998, Feuilleton S. 48. Vgl. hierzu jetzt: K.-H. Brodbeck, Die Herrschaft des Geldes aaO., Kapitel 4.4.
26 M. Friedman, Essays in Positive Economics, Chicago 1953.
27 Schefczyk aaO.
28 »Dieser, Mensch ist z.B. nur König, weil sich andre Menschen als Untertanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanen zu sein, weil er König ist.« Marx, Kapital aaO., S. 72. Alle »Gesetze« der Wirtschaft haben diesen Charakter einer »Reflexionsbestimmung« (Hegel). Sie sind darum durch eine »Reflexion der Vielen« aufhebbar. Ihre »Natur« ist kognitiv, und Kognition ist nicht kausal; vgl. Teil 4 dieses Buches.
29 Wehmeier stört es, daß sich »ausgerechnet Volkswirte als Kreativitätsforscher aufdrängen(?)«, Von Künstlern aaO. Hier urteilen andere Kritiker ganz anders; vgl. K.-H. Brodbeck, Entscheidung zur Kreativität, 2. Auflage, Darmstadt 1999, S. VIII.
30 M. Heidegger, Was heißt Denken?, Tübingen 19713, S. 57 und 153.