Читать книгу John Coltrane - Biografie - Karl Lippegaus - Страница 15

9. 'Round Midnight

Оглавление

9. KAPITEL

'ROUND MIDNIGHT

Miles ist ein seltsamer Typ: Er redet nicht viel und diskutiert selten über Musik. Du hast immer das Gefühl, er sei schlecht drauf, und was andere betrifft, kümmert oder bewegt ihn nicht. Unter solchen Bedingungen ist es wirklich schwer, genau zu wissen, was man tun soll, und vielleicht habe ich deshalb einfach getan, was ich wollte ... Miles' Reaktionen sind völlig unvorhersehbar: Er spielt ein paar Takte mit uns zusammen, und dann -du weißt nie wann - lässt er uns allein. Wenn du ihn was zur Musik fragst, weißt du nie, wie er es aufnehmen wird. Immer musst du sehr genau zuhören, um in derselben Stimmung zu sein, in der er sich gerade befindet. ~ JOHN COLTRANE ( PORT, 100)

Seine neue Rolle bei Miles Davis verschaffte ihm ein dauerhaftes Hochgefühl und es wurde ihm klar, dass diese Periode ein wichtiges Etappenziel auf seinem Weg zu einem großen Jazzmusiker sein würde. Das Miles-Davis-Quintett war die Universität und alles andere nur Vorschule gewesen. »Wir haben bei den Proben viel über die Musik geredet«, berichtete Miles, »und unterwegs zu den Gigs sagte ich ihm: Trane, hier sind ein paar Akkorde, aber spiel sie nicht die ganze Zeit so, wie sie da stehen. Fang manchmal in der Mitte an und vergiss nicht, dass du sie in aufsteigenden Terzen spielen kannst. Das heißt also, du hast achtzehn, neunzehn verschiedene Dinge, die du in zwei Takten spielen kannst.‹ Er saß da, die Augen weit geöffnet, und saugte alles auf« (Kahn/ Sup, 21). An der Seite des längst etablierten Trompeters wurde die eigene Bescheidenheit noch deutlicher. Coltranes Fleiß und Können wurden bestaunt, doch darauf bildete er sich niemals etwas ein.

Die ersten Sessions des neuen Quintetts enthüllen hier und da noch Unsicherheit und Nervosität in seinem Spiel. Seine schlechten Zähne machten ihm durch die starken Vibrationen am Mundstück das Leben zur Hölle. Gelegentlich unterliefen ihm Quietscher auf seinem Horn, bei Columbia hätte man bei solchen Patzern den ganzen Take wiederholt, aber Bob Weinstock, sein Produzent bei Prestige, sah das nicht so eng. Wenn der erste Take gut klang, ging man gleich zum nächsten über und hörte oft nicht mal mehr die Playbacks. John war Ende 1955 noch keineswegs auf der Höhe dessen, was schon ein paar Monate später an rauen und eckigen Klängen seinem Tenor entströmen sollte. Er habe damals schnell eine Menge lernen müssen, räumte er rückblickend ein. »Ich schäme mich ziemlich für diese frühen Platten, die ich mit Miles gemacht habe. Keine Ahnung, warum er mich ausgewählt hat. Vielleicht hörte er etwas in meinem Spiel, das ihm entwicklungsfähig schien. Ich hatte diesen Wunsch, den wir alle haben: so eigenständig zu sein wie ich konnte, und so ehrlich wie möglich. Aber es gab musikalisch so viele Dinge, über die ich mir nicht schlüssig war, dass ich mich dem oft nicht gewachsen fühlte. Das war natürlich frustrierend - und in der Musik, die wir spielten, ist es zu hören« (Port, 100).

Langsam löste sich nachts beim Spielen vor Publikum seine Schüchternheit. Mit überlegten, gemessenen Bewegungen tastete er sich vor, als prüfe er den Raum um sich mit der Vorsicht eines Blinden; dann wieder schnellte seine Musik wild empor in schwungvollen Bewegungen, mitgerissen vom Rhythmus der Band und den Anfeuerungsrufen aus dem Publikum. In einem einzigen Jahr, zwischen Oktober 1955 und Oktober 1956, entstand die spektakuläre Serie von heute legendären Alben aus der frühen Liaison mit Miles Davis: Cookin', Relaxin', Steamin', Workin' und 'Round About Midnight.

Eine Woche nach Tranes 29. Geburtstag, am 27. Oktober 1955, betrat das neue Miles-Davis-Quintett die Columbia Studios für die erste von drei langen Sessions. Da der Trompeter vertraglich noch an Prestige gebunden war, hatte sich Miles einen brillanten Trick ausgedacht. Dem Produzenten George Ava-kian schlug er vor, Columbia solle Prestige darüber informieren, dass sie mit ihm eine Platte machten, die aber erst nach Ablauf seines Vertrags mit Weinstock erscheinen würde. Das Ergebnis, vom umsichtig agierenden Avakian sorgfältig produziert, wurde das heute legendäre Album 'Round About Midnight, das am 4. März 1957 herauskam.

Eine herausragende Aufnahme der ersten Session ist das harmonisch eigenwillig konstruierte »Little Melonae« von Miles' Freund, dem Altsaxophonisten Jackie McLean. Es hätte auch »Blues Fragments« heißen können, wenn man sich anhört, was Coltrane da alles aus seinem Füllhorn zaubert. Immer wenn sie sich trafen, hatte Miles zu Avakian gesagt: »Hey, George, nimm mich unter Vertrag!« Der Produzent erlebte damals das Quintett etliche Male im Cafe Bohemia, aber besonders beeindruckt war er von Coltrane: »Er schien mit jeder gespielten Note zu wachsen und jeden Akkord bis an seine Grenzen zu führen« (Cham, 222). In einem weiteren Stück, »Two Bass Hit«, einem Thema, das einst Dizzy Gillespie mit seiner Bigband 1947 aufgenommen hatte, ist Trane der einzige Bläsersolist und pusht die Band energisch durch neun brillante Chorusse. Beide Aufnahmen gelangten damals nicht auf das Album und wurden erst viele Jahre später veröffentlicht. Der »Two Bass Hit« zeigt, dass der Bandleader seinem Saxophonisten immer mehr vertraute und zunehmend Freiräume ließ, ob auf der Bühne oder im Studio. Von Columbia bekam Miles dafür im Studio seinerzeit Kritik aus dem Regieraum zu hören, worauf er verärgert erklärt haben soll: »Just shut up and get behind the controls - before we leave.«

Tranes Ideen waren so neu, dass er geahnt haben muss, anfangs mehr Kritiker gegen sich zu haben, als Fans für seine Musik zu gewinnen. »Ich begann weitere Dinge dem Ensemble hinzuzufügen. Nachdem ich einmal an diesem neuen Punkt angelangt war, konnte ich mich nicht mehr mit dem Bisherigen zufrieden geben. Das spielerische Niveau in der Band war so hoch, dass ich fühlte, ich trug nicht genug dazu bei« (Cham, 227). Zu der Zeit kursierten unter Musikern Sätze wie: »Wenn du abends an Tranes Haus vorbeikommst und kein Saxophon hörst, heißt das, er ist nicht da.« Für den 5. Juni und 10. September 1956 hatte George Avakian in weiser Voraussicht zwei weitere Sessions mit der Band von Miles anberaumt, um das Eisen zu schmieden, solange es heiß war.

Coltrane hörte ich das erste Mal auf einer Miles-Davis-Platte. Sein zweiter Break in »Dear Old Stockholm« war und ist für mich ein eingefrorener histori scher Moment der Musik. Ich war gerade zum Jazz gekommen und hatte schon Solos von Charlie Parker und einigen anderen transkribiert, aber Coltrane war etwas Besonderes. Es war mit Sicherheit der unorthodoxeste Sound, den ich je vernommen hatte, und mein Saxophonlehrer sagte sogar: »Ha, ha! Der Kerl spielt mit seiner Oberlippe auf dem Mundstück.« Nun, ich versuchte das dann auf dem Altsaxophon und es klang ein wenig wie Coltrane, aber natürlich nicht so richtig. Ich war so gefesselt davon, dass ich dieses Solo auf schreiben musste. Das tat ich dann auch und sah, was darin passierte.

Ich denke, Coltrane hatte keine andere Wahl als den Sound, mit dem er groß wurde. Ich weiß nicht, ob er sich seiner einzigartigen Situation bewusst war, aber um sich als Saxophonist hineinzuversenken - in die Tiefen der linea ren Entwürfe, die strukturelle Innovation, die Dichte der Phrasierung und die Standard-Bebop-Verflechtung -, musste er einen Sound haben, der all die theo retischen Aspekte seiner Musik abrundete. Etwas Einzigartiges. Andernfalls, also mit einem sagen wir »normalen« Sound, hätte er geklungen, als würde er Etüden spielen . ~ ANDREW WHITE

Bei der zweiten Aufnahmesession für Columbia entstanden wunderbare Versionen bekannter Themen wie »Dear Old Stockholm«, »Tadd's Delight« und »Bye Bye Blackbird«. Ersteres, das dem Repertoire von Stan Getz entstammte, wird eröffnet mit einem langen Basssolo von Paul Chambers; nicht zuletzt dank der neuen, gegenüber der alten Zeit der Bebop-Sessions deutlich verbesserten Aufnahmetechnik wird es zum echten Hörgenuss. Erst rund dreieinhalb Minuten nach Beginn des Stücks kommt Coltrane herein, dramatisch unterstützt von der Rhythmusgruppe, und glänzt mit einem Sound, der sich kunstvoll drehend und windend sein gewachsenes Selbstbewusstsein signalisiert. Zwei Minuten später schwebt federleicht der gestopfte Trompetensound von Miles durch den Äther, den Trichter des Horns hält er dabei so dicht ans Mikrofon, als wolle er das Ohr der Geliebten kitzeln. In »Bye Bye Blackbird«, binnen Kurzem und dann auf Jahre hinaus eine der Zugnummern im Repertoire von Miles, legen sie hier noch eine relativ gemütliche Gangart gegenüber späteren Versionen vor. Coltrane wirkt dabei für seine Begriffe geradezu munter und überrascht im Mastertake mit einigen aufregenden Schlenkern und Loopings. Im September entstand zudem noch eine geradezu klassische Version von Cole Porters »All of You«, bei der sie jenen schönen Text im Ohr hatten, den die Jazzmusiker auswendig kennen:

I love the looks of you, the lure of you,

I'd love to make a tour of you,

The eyes, the arms, the mouth of you,

The east, west, north, and the south of you.

I'd love to gain complete control of you,

And handle even the heart and soul of you,

So, love at least, a small percent of me, do,

For I love all of you.

Der Saxophonist Lester Young sagte einmal, wer im Jazz eine Ballade adäquat spielen wolle, müsse dabei auch immer den Text eines Songs im Kopf haben. Porter hatte seinen Song ursprünglich für die Show »Paris Loves Lovers« geschrieben. 1956 tauchte das Lied in dem Film Silk Stockings auf und provozierte, aus heutiger Sicht eine Absurdität, den Protest der Motion Picture Association, die der Nachfolger des berühmt-berüchtigten Hays Office war. Unter die Gürtellinie zielten für die Zensoren vor allem die Passagen, in denen es um »com-plete control« und »the south of you« geht. Die beiden veröffentlichten Miles-Davis-Versionen des Songs sind meisterhaft gelungen, die Musiker erfüllen beide Aspekte, nach denen der Cole-Porter-Song verlangt: Sie wirken inspiriert und demonstrieren eine souveräne Kontrolle über ihre Verführungskünste. In der Version auf 'Round About Midnight webt der Pianist Red Garland durch seine Begleitung dem Saxophonisten Coltrane für sein Solo einen fliegenden Teppich. Die ganze Band klingt so entspannt, dass man sich wünscht, es würde endlos so weitergehen.

Ein weiteres Meisterwerk, das im September auf Band kam, ist der Titeltrack, die grandiose Version von Thelonious Monks »'Round Midnight«. Über Billie Holiday hatte Miles gesagt: »She doesn't need any horns. She sounds like one anyway.« Hier ist seine Trompete die Stimme, wobei das sorgfältige Arrangement eine Begleitung von Coltrane einschließt, der Miles dicht wie ein Schatten auf den Fersen bleibt. Nach einer überraschenden Fanfare baut sich kurz vor Coltranes Solo eine eigentümliche Spannung auf, worauf John seine Töne über zwei Chorusse ökonomisch und genau kalibriert einsetzt. Jeder große I mprovisator versteht in der für ihn knapp bemessenen Zeit, die er vor dem Mikrofon steht, ein Stück zu einer persönlichen Aussage von bleibendem Wert zu formen. Wieder ist es John, der Miles wie ein Schatten folgt, wie überhaupt diese ganze Epoche der Fünfzigerjahre in der Rückschau - man denke nur an die düstere Atmosphäre der Musik zu Fahrstuhl zum Schafott - in ein magisches Halbdunkel getaucht ist. Billie Holiday erzählte von dem mystischen Licht der alten Gaslaternen in Harlem, das eine ganze Jazzepoche umhüllt habe, und fügte hinzu, wer das nicht erlebt habe, könne die Musik kaum verstehen. Hier ereignen sich knapp sechs Minuten pure Magie - es existiert kein alter-nate take, der erste Versuch kam direkt auf die Platte. Als Columbia das Album veröffentlichte, verkauften sie auf Anhieb mehr Exemplare als Prestige von allen fünf Alben von Miles Davis mit John Coltrane zusammen. Miles hatte diesen Monk-Klassiker viele Male durchgespielt und sich bei dem neun Jahre älteren Komponisten, den er sehr respektierte, Rat eingeholt.

»Ich bat Monk jede verdammte Nacht, ›'Round About Midnight‹ zu spielen. Ich sagte: Wie hab ich es gespielt?‹, denn er hatte es ja geschrieben, stimmts? Und er sagte: ›Du hast es nicht richtig gespielt.‹

Nächste Nacht. ›Hab ich es besser gespielt?‹

›Etwas besser, aber so geht es nicht.‹

Und eines Nachts fragte ich ihn wieder, da meinte er: ›Yeah, du kannst es spielen.‹ ... Endlich hatte ich den Sound hingekriegt ... Es hat mich viel Zeit gekostet, diesen Song zu spielen« (Kell, 106).

John Coltrane - Biografie

Подняться наверх