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13. Soultrane

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13. KAPITEL

SOULTRANE

Das Nadelöhr des Individuums musste ich verlassen und einer der vielen auf der Straße werden, die auf menschliche Weise ihren winzigen weisen Besitz an Atem und Jahren verwalten. ~ GESUALDO BUFALINO

»Eine Session im Studio dauerte damals drei Stunden und ergab ungefähr fünfzehn Minuten Musik pro Plattenseite, für ein Album, das zwischen fünfunddreißig und vierzig Minuten lang war. Das lief dann so, dass fünfzehn Minuten eine Session waren und jeweils fünf weitere Minuten Musik als ein Drittel einer weiteren Session berechnet wurden. (...) Der mit der Gewerkschaft ausgehandelte Tarif betrug damals für einen Sideman $ 41.25, und der Leader kriegte das Doppelte. Wenn sie bei dir großzügig aufrundeten, bekamst du $ 250 und der Sideman $ 125. Mit sehr geringem Kapitaleinsatz - und wir hatten damals wenig - konntest du eine Trioplatte machen mit $ 500 für die Musiker plus Studiokosten, die viel niedriger lagen als heute; man brauchte auch nichts ab-zumischen, denn das war in den Tagen vor Stereo, es kam alles direkt auf eine Spur« (West, 67 f.).

Am 22. März 1957 entstand Interplay for Two Trumpets and Two Tenors, das eine echte Leistungssteigerung Coltranes zeigt. Im Februar 1958 nahm John - gestärkt durch die intensive Zeit mit Monk - für Prestige das fulminante Album Soultrane auf, eine seiner ersten Veröffentlichungen unter eigenem Namen, während sein befreundeter Rivale Sonny Rollins zu der Zeit bereits zehn (!) Alben herausgebracht hatte. Soultrane ist eine der besten Platten aus der ersten Schaffensperiode und hat John immer viel bedeutet; auf harmonischem Gebiet risikiert er hier mehr als früher. Bei »Good Bait« spürt man seine Souveränität, auch in »Russian Lullaby« wirkt sein Spiel packender und »I Want to Talk About You« wurde fester Bestandteil seines Repertoires. Coltrane und Rollins waren beide Meisterschüler Birds - und jetzt auch Monks. »Erst mal muss ich sagen, dass seine Musik schwierig ist. Wie Coltrane mal gesagt hat: Wenn du einen Akkordwechsel in Monks Musik verpasst, ist das so, als würdest du ineinen leeren Aufzugschacht steigen.‹ Ich hatte immer Glück. Monk mochte meine Arbeit, er mochte auch mich sehr. Es war eine echte Kraftquelle für mich, dass ihm mein Tun gefiel, eine wunderbare Erfahrung. Aber die Sachen waren schwer zu spielen« (Sidr, 174 f./8).

In den folgenden Monaten analysierte Coltrane die originellen Themen Monks, von denen er etliche bereits Ende der Vierzigerjahre geschrieben hatte. Es wird sogar behauptet, die bekanntesten unter ihnen habe er bereits als Teenager in den Dreißigerjahren verfasst. Durch sie wurde Thelonious Monk zu einem der meistgespielten Komponisten im Jazz und der Schatten, den sein Einfluss auf die Jazzentwicklung warf, mit jeder neuen Dekade nur noch länger. So mancher Saxophonist hat versucht, tiefer in dieses Universum einzudringen, doch kaum jemand tat dies so hingebungsvoll und detailversessen wie Coltrane. Seinem Beispiel folgten kurz danach der Saxophonist Johnny Griffin sowie Monks treuester Begleiter am Tenor, Charlie Rouse. Für den Sopransaxophonisten Steve Lacy war die Vertrautheit mit Monks CEuvre und Person gar der Auslöser für sein gesamtes Lebenswerk, das er vorrangig der bizarren Ideenwelt des Pianisten widmete.

Das vermutlich im Juli 1957 von Monk und Coltrane eingespielte »Trinkle, Tinkle« rangiert heute neben den historischen Duetten von Louis Armstrong und Earl Hines, den Kansas City Seven von Count Basie sowie den Quintettaufnahmen von Charlie Parker mit Dizzy Gillespie unter den Meisterwerken des Jazz schlechthin. Leider ist viel zu wenig von der Arbeit Monks mit Trane auf Platten dokumentiert worden. Das hing nicht zuletzt mit der Weigerung Monks zusammen, sich in die Riege der Prestige-Künstler einzureihen - er hatte schlechte Erfahrungen mit Weinstock gemacht. Nachdem das Quartett das seltsame, vertrackte Thema von »Trinkle, Tinkle« angespielt hat, unterstreicht der Saxophonist den abstrakt-fragmentarischen Charakter des Stückes durch wahnwitzige Variationen, die in zweieinhalb Minuten Unmengen von Tönen wie Funken versprühen, in massiven Schüben und mit viel Sinn für die richtigen Proportionen. Immer wenn man denkt, gleich sei das Maß voll (oh Mann, hoffentlich verhaspelt er sich nicht!), sprenkelt Coltrane langsamere, bluesige Phrasen ein und schafft so tension and resolution, jene dramatischen Wechsel, durch die die Musik atmet. Monk setzt auch mal ganz aus und lässt nur Tenorsaxophon, Bass und Schlagzeug agieren, was die Jazzmusiker strolling nennen, ohne dass die Spannung nachlässt. Niemand - vielleicht außer Miles Davis - hatte einen solchen Sinn für die notwendige, Dramatik erzeugende Stille zwischen den Tönen. Der indoamerikanische Pianist Vijay Iyer erzählte mir von seiner Erfahrung mit der Komposition: »Dieser Song liegt eigentlich sehr gut auf dem Klavier, er fließt einem förmlich aus den Fingern, auf sehr direkte Weise, es ist eine betörende Melodie. Überträgt man diesen Song aber auf ein anderes Instrument, ergibt sich eine völlig andere Architektur, ja man könnte fast sagen: eine andere Körperlichkeit (physicality), die vom Interpreten einen ganz neuen Umgang verlangt. Der Song pusht einen förmlich woandershin !«

Mit »Ruby, My Dear« glückt der Gruppe um Monk ein weiterer großer Wurf. Bei dieser Session mit Coleman Hawkins und einer erweiterten Bläsergruppe, zu der auch der (viel zu wenig beachtete) Altsaxophonist Gigi Gryce stieß, ist Coltrane wiederum derjenige, der Thelonious am leichtfüßigsten auf seinen verschlungenen Pfaden zu folgen weiß. Es war das erste Mal, dass er im Studio Gelegenheit bekam, mit dem legendären Hawkins Seite an Seite arbeiten zu können. Hawk bat den Pianisten zwischendurch, ihm und Trane doch mal ein paar Dinge zu erklären, bevor es ans Aufnehmen ging. Monk schaute ihn nur an und meinte: »Du bist der große Coleman Hawkins, stimmts? Du bist der Typ, der das Tenorsaxophon erfunden hat, richtig?« Dann wandte sich Monk an Trane: »Du bist der große John Coltrane, stimmts? Well, the music is on the horn. Euch beiden sollte es möglich sein, sie zu finden« (Hent, 74). Monk ließ auch einige ältere Stücke spielen, »Well You Needn't« zum Beispiel hatte er zehn Jahre zuvor erstmals aufgenommen. Die neue Version wurde elfeinhalb Minuten lang und schrieb u. a. Jazzgeschichte, weil Thelonious kurz vor Johns Solo »Coltrane! Coltrane!« brüllte. Der war nicht etwa weggetreten, wie einige voreilig vermutet haben, der Grund war völlig simpel: Monk hatte, bevor das Rotlicht aufleuchtete, nicht die Reihenfolge der Solisten festgelegt. Als er unversehens drankam, legte sich John mächtig ins Zeug.

»Er kann ganz schön tricksen«, sagte Coltrane über Monk. »Bei ihm bleibst du immer hellwach - er mag das so. Es gefällt ihm, wenn der mentale Prozess vibriert. Und einem selbst gefällt es auch, wenn man eine Weile mit ihm gespielt hat. Aber zuerst hatte ich ziemlich Angst« (DeVi, 28).

Monk habe ihn auch darauf gebracht, auf seinem Tenor mehrstimmig (multiphonics) zu spielen. Erstmals deutlich zu hören sind diese split notes und seine Experimente mit Tonhöhenveränderungen im Thema seiner Komposition »Harmonique« vom 2. Dezember 1959 auf dem Atlantic-Album Coltrane Jazz. Dieses stark »vokalisierende«, mehrstimmige Spiel sollte bald eines der markantesten Merkmale des Coltrane-Stils werden. Der Vergleich mit dem Umschlagen der Stimme bei einem in Ekstase geratenen Gospelprediger ist oft gezogen worden und wird uns in der Evolution von Coltranes Spiel noch öfter begegnen. Der Saxophonist Archie Shepp hat erklärt, was diese durch absichtlich »falsche« Fingertechnik entstandenen trick notes im Grunde waren: »Ben (Webster) scheint wie später Coltrane verstanden zu haben, was das Saxophon tun konnte. Dass diese Tricktöne, wie sie das nennen, eigentlich kein Trick waren, sondern eine andere Art, den Sound zu vokalisieren« (Sidr, 259/4). Der viel kritisierte Ross Russell schrieb erhellend über die Artikulation der Meister aus Kansas City, in deren Tradition sich Coltrane stellt: »Der goldene Link, der den Jazzman mit der Bluestradition verband, war das Konzept der Vokalisierung. Wenn der Jazzman die Bluesleute verstand und die ganze Palette der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel übersah - Vibrato, variable Tonhöhe, Mikrotöne, rasche Wendungen sowie die vielen Schleiftöne, Klänge ineinander gleiten lassen, sodass sie ununterscheidbar werden, Effekte wie Überspringen usw. -, war es nur natürlich, diese Möglichkeiten auf sein Instrument zu übertragen . « (Simp, 24).

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