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3. Bird

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3. KAPITEL

BIRD

Vergessene Namen kamen mir in den Sinn, wie vergessene Teile eines Traumes. Ich bewegte mich mit der Menge, war wie in Schweiß gebadet, lauschte auf den mahlenden Lärm des Verkehrs, das anschwellende Plärren aus dem Lautsprecher eines Plattenladens, wo ein schwermütiger Blues gespielt wurde. Ich blieb stehen. War das alles, was Geschichte wurde? War das die einzig wahre Geschichte der Zeit, die Stimmung, die von Trompeten, Posaunen, Saxophonen und Trommeln geplärrt wurde, ein Lied mit schwülstigen, unpassenden Worten? Mein Geist arbeitete nicht mehr genau. (...) Niemand sah mich an. Ich ging einher in fieberhafter Einsamkeit. ~ RALPH ELLISON (DER UNSICHTBARE MANN)

Die Rassentrennung zog sich auch durch die meisten Jazzbands in Philadelphia, als John Coltrane sich dort zu etablieren versuchte. Für die Bigbands, in denen junge Spieler Erfahrungen sammeln konnten, wurde das Überleben nach dem Abflauen der Swing-Ära immer schwerer. Man traf sich zu Jamsessions in kleineren Formationen. 1945 schloss Coltrane mit dem zwei Jahre jüngeren Saxophonisten Benny Golson Freundschaft fürs Leben. Das gemeinsame Schlüsselerlebnis hatten sie am 5. Juni 1945 in der Academy of Music, als sie das Quintett von Dizzy Gillespie mit Charlie Parker erlebten. Sie waren völlig überwältigt von Yardbird und ihnen wurde bewusst, dass sie ihre theoretischen Kenntnisse drastisch erweitern und ihr Übungspensum gnadenlos hochschrauben mussten. Zwei Monate nach dieser ersten Begegnung mit dem Genie des Bebop wurde John - der Weltkrieg in Europa war vorüber, doch die USA standen noch im Krieg mit Japan - für ein Jahr zum Militärdienst bei der US-Marine eingezogen und spielte eine Zeit lang Altsaxophon in einer Navyband in Honolulu. »Ich war in Übersee, aber wir hörten immer noch Birds Platten und ich kopierte wie verrückt seine Soli, um zu sehen, was er machte« (Port, 44). Mit den Melody Masters entstanden die ersten Plattenaufnahmen des 19-Jährigen. Am 13. Juli 1946 nahmen sie in Oahu, Hawaii, acht Stücke auf, davon die Hälfte aus Parkers Repertoire, außerdem »Hot House« von Tadd Dameron. Auf verschlungenen Wegen gelangten diese Aufnahmen zu Miles Davis, der sich verblüfft zeigte über Coltranes Können. Lewis Porter schrieb über diese privaten »Testplatten«: »Er spielt in jedem Stück ein Solo, diese neue Hörerfahrung verändert unsere Sicht auf seine Entwicklung. Er war nicht, wie man hätte meinen können, ein großes Talent, das lange Zeit darauf warten musste, um endlich entdeckt zu werden. Vielmehr trat er offensichtlich nicht mit einem außergewöhnlichen Talent an und das macht seinen Fall umso interessanter: Jemand kann einer der großen Musiker aller Zeiten werden und muss dennoch nicht verheißungsvoll starten. Diese Aufnahmen enthüllen, dass der Prozess der Entwicklung und Erziehung für Leute mit besonderem Talent - Genies, wenn man so will - der gleiche ist wie für alle anderen. Auch sie tauschen sich mit Freunden und Kollegen aus und entwickeln erst allmählich ihre eigenen Ideen. Coltrane war kein isoliertes Genie mit Geistesblitzen der Inspiration wie in einem Hollywoodfilm, sondern ein normaler Mensch, der in einen inspirierten Kreis von Musikern hineinwuchs und darin groß wurde« (Port, 44).

Am 14. August 1945 endete der Zweite Weltkrieg nach dem Abwurf von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Im August 1946 wurde John, von seinen Freunden offenbar damals schon Trane genannt, aus der Armee entlassen. Die Melody Masters, eine Band aus schwarzen und weißen Musikern, lösten sich auf. Sofort kehrte Coltrane nach Philadelphia zurück mit dem festen Vorsatz, Profimusiker zu werden. In Gedanken spielte er bereits mit gewagten neuen Ideen, wenngleich seine Finger sie noch nicht umsetzen konnten, jedenfalls nicht so rasch, wie sie ihm durch den Kopf schossen. Er nahm sein Studium wieder auf und absorbierte Musiktheorie, Harmonielehre, Gehörbildung und Tonleitern. Er übte Violinetüden auf dem Saxophon und lernte besser vom Blatt zu spielen, grübelte über eigenen Stücken, die er seinen Lehrern zur Diskussion vorlegte. Um die Nachbarn nicht zu stören, probte er nachts ohne ins Saxophon zu blasen, nur die Hände bewegend.

Am 7. Dezember 1947 sollte sich für Coltrane noch einmal die Gelegenheit ergeben, den legendären Bird aus nächster Nähe bei seinen Höhenflügen zu erleben. Von jenem Abend existiert ein Foto, das Coltrane zeigt, wie er direkt hinter Parker sitzend mit offenem Mund gebannt dessen Spiel verfolgt. Dabei vergisst er sogar die Zigarette, die ihm fast die Hand verbrennt. Trane ist zu der Zeit Altsaxophonist in der Bigband seines Freundes Jimmy Heath, von der leider keine Plattenaufnahmen existieren. Im Oktober 1948 soll er mit Jimmys Band nach New York gefahren sein, für ein Konzert vor dem äußerst kritischen und gefürchteten Publikum im Apollo-Theater an Harlems 125. Straße. »Ab und zu konnte ich ein Solo bringen und ich muss sagen, die Publikumsreaktion war begeistert, wenn wir sehr modern spielten« (Port, 61).

Ein Problem, das ihn schon damals und noch viele Jahre ständig begleitete, waren die starken Zahnschmerzen, unter denen er litt, vermutlich bedingt durch Kettenrauchen und einen lebenslangen Heißhunger auf Süßigkeiten. Die für einen Saxophonisten besonders fatalen Schmerzen versuchte er zuerst mit viel Alkohol und ab 1948 durch Heroin zu lindern. Zudem war er nikotinsüchtig mit einem Tageskonsum von zwei Päckchen und mehr. Drogen und Alkohol konnte er später abschwören, die Sucht nach Tabak wurde er nie mehr los. Schon auf frühen Fotos sieht man, dass er immer etwas im Mund haben musste: Wenn es nicht das Saxophon war, dann Zigaretten oder - besonders deutlich auf den Covern der Impulse/-Alben zu sehen - Zigarren, Zigarillos oder auch mal eine Meerschaumpfeife. Der destruktive Lebensstil Charlie Parkers, dessen Kerze an beiden Enden brannte, färbte auf viele ihn verehrende junge Jazzmusiker ab. Jimmy Heath vermutet, John habe beim endlosen Üben mit dem Heroin seine innere Konzentration steigern wollen, den mörderischen Trainingsrhythmus bis zur Erschöpfung ständig höherschraubend.

Als Trane erfuhr, dass Bird den »Feuervogel« und »Le Sacre du Printemps« sehr schätzte, vertieften er und sein Freund Jimmy sich in die Partituren Strawins-kys. Danach meinte Coltrane, in Strawinsky den universellen Musiker schlechthin gefunden zu haben. Stundenlang schlug er sich mit komplizierten musikalischen Fragen herum und quälte sich durch Transkriptionen der Soli Birds. Dafür wechselte er erst einmal nur für sich vom Altsaxophon zum Tenor. Beim Üben blies er die Melodien und sogar komplette Soli durch sämtliche Tonarten und spielte direkt gegen die Wand, um den eigenen Sound besser kontrollieren zu können. Auf engem Raum lebte er mit Alice, Mary und Tante Betty, in einer Ecke stand sein karges Bett, daneben ein Plattenspieler und an der Wand ein einziges Foto von Charlie Parker. Jimmy Heath beschrieb, wie der etwa 90 Kilo schwere Trane mitten im Sommer zu Hause in seinen Boxershorts schweißüberströmt - Klimaanlagen gab es nicht - abwechselnd Saxophon blies, rauchte und grübelte. Seine langen Finger schienen wie geschaffen für das Tenorhorn, das sie ständig umschlossen, allzeit bereit, eine eben ersonnene Idee augenblicklich umzusetzen. John vergötterte Parker, versuchte jedoch nicht seine Klischees nachzuahmen, sondern feilte an einem eigenen Stil aus vielerlei Einflüssen.

1947 wird Jackie Robinson der erste schwarze Sportler, der in der US-Baseball-Oberliga bei den Brooklyn Dodgers spielt ~ Der US-Präsident Harry Truman ordnet 1948 an, die Rassentrennung in der amerikanischen Armee aufzuheben ~ Im Prozess Shelly gegen Kramer erklärt das Oberste Gericht des Landes rassisch restriktive Mietabkommen für verfassungswidrig ~

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