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4. Driftin'
Оглавление4. KAPITEL
DRIFTIN'
Im Winter 1948 trat John Coltrane als Altsaxophonist der R 'n' B-Band von Eddie »Cleanhead« Vinson bei. Biografien von Jazzmusikern erwecken oft den Eindruck, als hätten diese Leute ihr ganzes Leben lang nur Jazz gespielt, doch viele mussten ihren Lebensunterhalt zunächst mit populärer Musik verdienen. Die Fünfzigerjahre in den USA waren keine glorreiche Dekade für den Jazz. Ornette Coleman erzählte, er habe das Wort Jazz erstmals gehört, als er vom Süden nach Los Angeles umgezogen sei. Vor dem Siegeszug des Rock 'n' Roll war der Rhythm 'n' Blues der populärste Stil, die Jobs in den Bands wurden relativ gut bezahlt, und der raue R 'n' B-Sound dominierte die schwarze Clubszene. Auch Musiker wie der Vibraphonist Milt Jackson und der Trompeter Clifford Brown waren in dieser Szene aktiv: R 'n' B, Blues, Jazz, Mambo und Calypso: Ein buntes Potpourri an Stilen und Genres hatten die Bands auf Lager, ständig im ganzen Land auf Tour. Das war das Umfeld, aus dem Coltrane kam. Mit Eddie »Cleanhead« Vinson legte er oft weite Strecken von einem Gig zum anderen zurück und trat im Süden vor allem auf großen Partys auf, oft in umfunktionierten Lagerhäusern. Die Band des Glatzkopfs lieferte dem tanzenden Volk, wonach es am Wochenende verlangte. Irgendwann gab es immer Zoff und Eifersuchtsdramen waren an der Tagesordnung, Klappmesser blitzten auf und Blut floss. Eddie war ein Entertainer par excellence, ein guter Sänger und passabler Saxophonist. Er sprach selbst reichlich dem billigen Fusel zu und wusste stets, wonach seine Klientel verlangte. Ab und zu ließ er einen Set mit einem Stück aus dem Repertoire Charlie Parkers ausklingen. In der Band lernte Trane auch, wie man am Saxophon Sänger begleitet. Neben ihm stand ein gewisser William »Red« Garland auf seiner Gehaltliste, ein Exprofiboxer und Klavierspieler, mit dem Coltrane später im ersten Miles-Davis-Quintett arbeitete und bei vielen Prestige-Sessions in den Jahren 1957 - 58.
In seiner Zeit bei Vinson verlegte John sich bald ganz aufs Tenorsaxophon. Bei einem ihrer Auftritte hatte Eddie nach einem enttäuschenden Solo seines Tenoristen den jungen Altisten gedrängt, sich dessen Horn zu schnappen und rasch ein Solo zu spielen: »Pick up the horn, pick up the horn, man ! « Das Resultat klang noch sehr nach anderen Tenoristen, aber das Publikum war begeistert und die Feuertaufe bestanden. »Auf dem Alt stand ich völlig unter dem Einfluss Birds«, sagte Coltrane, »aber beim Tenor gab es keinen, dessen Ideen so dominant waren wie die Charlie Parkers auf dem Alt; darum setzte ich mich in dieser Periode mit allen Tenoristen, die ich hörte, auseinander - besonders mit Lester Young und seiner melodischen Phrasierung. Erst danach stieß ich auf Coleman Hawkins und war fasziniert von seinen Arpeggios. Ich besorgte mir seine Platte ›Body and Soul‹ und befasste mich sehr intensiv damit« (Thom, 40/9).
»Vieles in diesem Spiel«, schrieb der Kritiker Robert Palmer, »wurde als neu begriffen, nachdem Coltrane es in einen neuen Kontext verlagerte: das Horn überblasend, um einen verzerrten Ton zu erzeugen, auf das Blatt beißend, um schrille Quietscher zu erzielen, lange Soli spielend, heißer und heißer, bis das Ganze an Hysterie grenzte - das kam alles direkt aus der R 'n' B-SaxophonTradition« (Kahn/Sup, 13). Durch den coole Linien malenden Lester Young und Coleman Hawkins, genannt Prez, den Übervater am Tenor, und natürlich durch Bird wurde der moderne Jazz eine Saxophonmusik. John lernte von jedem Tenorgiganten, sogar von weniger bekannten Größen wie Jimmy Oliver, der eine Platte machte und zeitlebens in Philadelphia blieb. An Hawk schätzte John dessen stilistische Offenheit und Modernität, die unbegleiteten Soli, wie etwa das epochale »Picasso«, und sein ›vertikales Denken‹, das Wissen über Harmonik, das Prez fehlte. Coltrane wurde oft vorgeworfen, er spiele zu lange Soli - aber hatten nicht bereits Coleman Hawkins, Lester Young und Roy Eldridge in den Afterhours-Clubs bis zu anderthalb Stunden über ein einziges Thema improvisiert? Als Hawkins in den Dreißigerjahren fünf Jahre in Europa gelebt hatte, war er viel in Paris aufgetreten. Django Reinhardt und sein Geiger Stephane Grappelli hatten erlebt, wie er durch ein 45-minütiges Solo über »Sweet Sue« segelte, ohne sich zu wiederholen. John hörte den sagenumwobenen Pianisten Art Tatum (»God is in the house«, raunten sich die Fans zu, wenn Tatum einen Club betrat) eines Nachts zufällig in Cleveland und erzählte danach, er habe noch nie so viel Musik auf einmal erlebt.
Nach Hawkins' Arpeggios, einer direkten Inspiration für seine berühmten sheets of sound, wurde Trane neugierig auf Dexter Gordon und Wardell Gray, die sich heftige Tenor-Battles lieferten. Irgendwann landete er bei Sonny Stitt, von vielen als bloßer Parker-Epigone abgetan. »Sonnys Spiel klang nach dem, das ich anstrebte. Er bewegte sich irgendwo zwischen Dexter und Wardell, wie aus beiden entsprungen. Die ganze Zeit hatte ich nach etwas Bestimmtem gesucht und dann hörte ich Sonny Stitt und sagte mir: ›Verdammt! Da ist es doch! Ja, das ist das Ding!‹« (Port, 72).