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Der Dom und die Memoria

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Die Regierungszeit des ersten Saliers, Konrad II., wird von den Geschichtswissenschaften als relativ ruhig beschrieben. In der Politik folgte er seinem Vorgänger, dem Ottonen Heinrich II. Er vermied es, auf die Kirche in Rom Einfluss zu nehmen. Nach seiner Wahl zum König galt das Interesse Konrads II. sowie seiner Gemahlin Gisela (999 – 1043) besonders der Kathedrale in Speyer. Möglicherweise nahm er dabei seine Vorgänger zum Vorbild. Otto der Große (912 – 973, reg. 936 – 973) gründete das Erzbistum Magdeburg, Heinrich II. (zw. 973/978 – 1024, reg. 1002 – 1024) das Bistum Bamberg; beide errichteten in ihren Diözesen Kathedralen und ließen sich darin bestatten. Für Konrad II., dem eine ausgeprägte Marienfrömmigkeit nachgesagt wird, könnte das Marienpatrozinium Motiv für seine Vorliebe für Speyer gewesen sein. Trotz dieser Neigung ist es eher unwahrscheinlich, dass Konrad bereits an eine Grablege für die ganze salische Familie dachte.

Hingegen lässt die Äußerung Heinrichs III. vom Jahr 1052 gegenüber dem Ortsbischof, dass die Grablege zu klein sei, darauf schließen, dass er durchaus die Idee einer dynastischen Grablege bereits verfolgt haben könnte. Der neue Lieblingsort Heinrichs III. aber, den er besonders förderte, war Goslar. Trotzdem ließ sich der zweite Salier in Speyer bestatten. Der Historiker Caspar Ehlers kommt diesbezüglich zu dem Schluss, dass die Wahl des Beisetzungsortes „die Spannung zwischen ‚persönlicher‘ Vorliebe und ‚familiärem‘ Traditionsbewusstsein spiegelt“. Heinrich III. (1017 – 1056, reg. 1039 – 1056) entschied sich für die salische Familie. Außerdem war der Kaiserdom in sakraler Hinsicht – wegen der sich konzentrierenden Verehrung der Gottesmutter Maria – zu einem speziellen Ort salischer Frömmigkeit geworden: Nach salischem Verständnis war Maria Patronin des Domes und zugleich Garantin der salischen Herrschaft.

Heinrich IV. war häufig in Speyer. Gerade in den für ihn schwierigen Zeiten suchte er gern diesen religiösen Ort seiner Familie auf. Besonders auffällig zeigte sich die Manifestation des salischen Selbstverständnisses aber bei Heinrich V. Er bemühte sich ernsthaft, dass sein Vater vom zweiten Kirchenbann befreit wurde, damit er ihn bei seinen Vorfahren in geweihter Erde bestatten konnte. Heinrich V. versuchte, „salische Kontinuität zu demonstrieren und den Konflikt zwischen Vater und Sohn aus der historischen Erinnerung zu eliminieren“ (Caspar Ehlers).

Kurz nach der feierlichen Beisetzung seines Vaters in der Familiengrablege verlieh Heinrich V. den Bürgern von Speyer bedeutende Freiheitsrechte, die den Beginn der Entwicklung zur freien Reichsstadt einleiteten. Der Erlass stärkte die Bürgerrechte und verminderte Erbschaftsabgaben und andere Steuern und Zölle. Zu ewigem Andenken sollte auf Wunsch des Kaisers der Freibrief in goldenen Lettern mit seinem Bildnis über „des Münsters Tor“ verewigt werden, „damit daraus unsre besondere Liebe zu ihnen ersehen werde“. Tatsächlich wurde das Privileg halbkreisförmig über dem inneren Domportal angebracht. Dort war es trotz des Stadtbrandes in Teilen bis ins 18. Jahrhundert zu sehen. Mit den Freiheitsprivilegien verbunden war aber nicht nur die Befreiung von der Steuerlast; Heinrich V. leitete auch die Entwicklung von einer Grablege zur Memoria ein: „und wir haben mit Zustimmung des Speyerer Bischofs Bruno […] zugestanden und bekräftigt, dass alle Bewohner die freie Befugnis haben sollen, ihre Habe ihren Erben zu vermachen oder für ihre Seele zu spenden oder zu schenken, wem sie wollen; womit wir jedoch die Bedingung verknüpfen, dass sie sich alle zum Jahresgedächtnis unseres Vaters feierlich zu den Nachtgottesdiensten und zur Tagesmesse versammeln, Kerzen in den Händen tragen und von jedem Haus ein Brot als Almosen abgeben, das den Armen zugewandt werden soll“.

Das Gedenken an die Verstorbenen im Gebet war für den christlichen Menschen des Mittelalters die Mitte des religiösen Lebens schlechthin – und ist es bis heute geblieben. Das Bitten um das Seelenheil der Verstorbenen war und ist Wesensbestandteil des christlichen Verständnisses. Aus diesem Grund zeigt sich die Sorge der Salier um das Seelenheil ihrer Eltern in zahlreichen Gebetsklauseln und Urkunden mit Schenkungen und Stiftungen. Mit dem Privileg von 1111 organisierte Heinrich V. das kontinuierliche liturgische Gedenken der Geistlichen und der Speyerer Einwohnerinnen und Einwohner an das Seelenheil seiner Vorfahren. Durch den Umbau der Saliergrablege mit dem einer Tumba ähnlichen Überbau wurden nicht einzelne Gräber hervorgehoben, sondern alle Salier miteinander vereint. Der Umbau zum Monument, der nach Caspar Ehlers auf Betreiben des Domkapitels erfolgt sein muss, sicherte das historische Gedächtnis an das von Gott anvertraute, durch Erbe legitimierte Königtum der gesamten salischen Dynastie. Aufgrund weiterer Königsbegräbnisse entwickelte sich Speyer bis ins 14. Jahrhundert zur bedeutenden Herrschergrablege des Reiches.

Der von Heinrich V. organisierten Gebetsaktivität durch die Bürgerinnen und Bürger folgte die Gebetsgemeinschaft der Stuhlbrüder. Sven Gütermann geht in seiner Dissertation davon aus, dass die Bruderschaft zwischen 1208 und 1212 entstand. Die vornehme Aufgabe dieser zum Teil verheirateten Laiengemeinschaft war es, für das Seelenheil der salischen Herrscher zu beten. Dazu mussten die Stuhlbrüder, die eine eigene Tracht trugen, mehrmals täglich zu den Gräbern in den Dom kommen. Für sie wurde auf dem Königschor ein Gestühl aufgebaut, das die Grablege seitlich flankierte. Zu ihrem Unterhalt dienten kaiserliche Stiftungen. Bis 1351 werden auch Stuhlschwestern erwähnt. Die Tradition der Stuhlbrüder währte bis zur Französischen Revolution.

Der Dom zu Speyer

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