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Merkmal von Bau II: Die Zwerggalerie

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Auch die beiden Querarme sollten in mächtigeren Dimensionen neu aufgebaut werden. Die Fundamente und die Umfassungsmauern der Krypta wurden nach außen erheblich verstärkt, so dass sie die neuen, dickeren Mauermassen tragen konnten. Krypta, Osttürme (sofern sie vorhanden waren) bis zum heutigen Kirchendach, Vierung und der Übergang zum Langhaus blieben bestehen. Mit dem Südquerarm wurde der Wiederaufbau begonnen. Zunächst trug man die Süd- und Ostmauer bis auf die Kryptamauern ab. Die Westwand von Bau I blieb nach neuesten Erkenntnissen bis zur Höhe von zwei Quaderschichten unterhalb der heutigen großen Fenster (Johannes Cramer) erhalten. Hans Erich Kubach sah die Nahtstelle zwischen Bau I und II noch oberhalb des Dachanschlusses der Doppelkapelle. Weil, wie gerade erwähnt, die Doppelkapelle im Weg stand, musste die Westwand des Südquerarmes ohne Mauerverstärkung auskommen. Sie wurde an die Reste von Bau I nach Süden angestückt und nach oben aufgestockt (Abb. 25). Anstelle der Mauerverstärkung erhielt der Südquerarm an seiner südwestlichen Kante den mächtigen Strebepfeiler. Er bildet nun das Widerlager für das Gewölbe.

Als nächstes richteten die Handwerker den neuen Nordquerarm in einem Zug bis zur vollen Höhe auf. Im Norden verstärkten sie die Mauer auf 5 Meter Dicke. In die Stirnwände tieften sie, wie im Altarhaus, Mauerkapellen ein. Die frühromanischen Türme, die in ihrem Unterbau vorhanden waren, wurden in mehreren Schritten über die Dachtraufe hinaufgeführt.

Dominierendes Gestaltungselement wurde der unter der Dachtraufe nach außen offene Laufgang. Radial gestellte Tonnen sitzen bis heute auf profilierten Steinbalken auf, die wiederum von freistehenden Stützen getragen werden. Die Stützen folgen einem bestimmten Rhythmus: Auf je zwei Säulen folgt ein vierpassförmiger Pfeiler. Auch am Langhaus und am Westbau wurde eine Zwerggalerie aufgesetzt, bei letzterem allerdings, wie gleich gezeigt wird, eine Etage höher. Wie ein Zierband umgreift nun der Laufgang den ganzen Baukörper und gibt der Außenwand Tiefe und Plastizität. Auf diese Weise war das äußere Erscheinungsbild des Domes um 1100 durch ein Spiel von Licht und Schatten geprägt. Zurücktretende vertikale Wandfelder gliedern die Querhausfassaden. Sie werden durch drei übereinanderliegende Fenstergeschosse geordnet (Abb. 26). Auffällig sind die einheitlich übereinanderliegenden Quaderschichten zwischen dem Sockelgeschoss und der Galerie. Ein Vergleich zwischen der einfachen Turmgestaltung und der Architektur des Querhauses macht die enorme Entwicklung der Baukunst innerhalb weniger Jahre deutlich (zwischen Mitte und Ende des 11. Jahrhunderts).

25 Hochromanische Südostansicht mit mächtigem Strebepfeiler anstelle der fehlenden Mauerverstärkung (links), Querhausfassade gegliedert durch zurücktretende vertikale Wandfelder und übereinanderliegende Fenstergeschosse, daneben Turm aus kleinem, hammerrechten Mauerwerk in der unteren Zone, gotische Sakristei sowie die 1963/1964 rekonstruierten Giebel.

26 Nördlicher Querarm mit Ostturmgruppe und rekonstruiertem Giebel, Ostteil des Langhauses und St.-Afra-Kapelle. Die Bauzier an den Fensterlaibungen der Fassade wurde begonnen und abrupt abgebrochen (Bau II). Im frühen 13. Jahrhundert wurden den Türmen Helme mit Giebeln, Drillingsarkade und gekuppelten Doppelsäulen aufgesetzt.

Die Gesimse an der Dachtraufe und der Fries am Laufgang (Abb. 27) erhielten teilweise Palmetten- oder Blattmuster. Auch die großen Fenster der Querhäuser wurden reich geschmückt (Abb. 28). In die mehrfachen Rücksprünge der Fensterlaibungen wurden Säulchen, Rundstäbe und verschiedene Profile eingestellt, die die Tiefe der Mauer unterstreichen. Wie die zahlreichen Vorritzungen verraten, war mehr Bauzier geplant als letztlich ausgeführt. Während am Südquerhaus die oberen Fensterrahmungen nahezu fertiggestellt sind, wurde vom Schmuck der Gesimse nur gut die Hälfte ausgeführt. Am Nordquerhaus wurde mit der Ausschmückung der Fensterlaibungen nur begonnen. Die unteren Fenster tragen Vorritzungen, der angefangene Fries unterhalb der Zwerggalerie endet abrupt.

Die komplette photogrammetrische Aufnahme des Dom-Äußeren anlässlich der Sanierung in den 1990er Jahren ermöglichte auch die sorgfältige Kartierung der Steinfarben. Auf den farbig angelegten Plänen ist nun zu erkennen, dass der gelbe Stein am Südquerarm überwiegt und einige rote Steine eher zufällig mit verbaut sind. Ein systematischer Farbwechsel als dekoratives Element spiele bei Speyer II keine Rolle, stellte der bauleitende Architekt Johannes Cramer (*1950) fest. „Erst am Nordquerhaus ist beginnend an den beiden kräftigen Eckvorlagen von der unteren Fensterreihe an eine gewisse Systematik zu erkennen. Jetzt werden die roten Steine nicht mehr wahllos eingesetzt, sondern systematisch in geschlossenen Reihen. Und schon bald wechselt eine Schicht mit roten Steinen sich mit einer aus weißen Steinen ab […]. Hier meint man zu erkennen, dass den Bauleuten während des Bauens das gestalterische Potenzial der Steinfarbigkeit bewußt geworden wäre, ohne dass dies zu einer wirklich konsequenten Planung der Fassadengestaltung geführt hätte.“

27 Südquerarm, Ostseite, Laibung des oberen Fensters: Wellenranke mit Blättern sowie Fries aus Akanthusblättern zwischen zwei Rundstäben; darüber Fußgesims des Laufganges aus Platte, großer Kehle mit Blattranke und kleinem Wulst. Bauzier im Rahmen der Restaurierung ab 1996 instand gesetzt.

28 Südwand des Südquerarmes, oberes östliches Fenster: Wellenranke mit Trauben und Blättern, dazwischen Vögel, unten ein Hase, daneben Taustab und Perlstab, außen Blattwiegen. Statt der Kapitelle nahezu freiplastisch gearbeitete kämpfende Tiere.

Im Innern gehören die nahe bei der Vierung befindlichen Bauteile des Querhauses mit den schmalen Lisenen noch zu Bau I. Die danebenliegenden Bereiche sind erkennbar jünger. Mittig angeordnete breite Mauerbänder gliedern die Stirnwände (Abb. 29). Die Eckvorlagen sind dreifach gestuft, die Fensterlaibungen dreifach abgetreppt. Charakteristisch für die zweite Bauphase sind die beiden Ädikulä in den Querarmen mit schlanken Säulen und der Nachbildung korinthischer Kapitelle. Über den Apsisbaldachinen fehlen heute die Dreiecksgiebel.

29 Nördlicher Querarm, gegenüber den Wandkapellen des Südquerarmes sind die Entlastungsbögen profiliert. Die verstärkte nördliche Außenwand ist bis zu 5 Meter dick (Bau II).

30 Südlicher Querarm mit Ädikula und Wandkapellen, Südwand von mächtiger Lisene vertikal gegliedert, Entlastungsbögen der Wandkapellen glatt, ohne Profil.

Die Mauerkapellen in den Stirnwänden lassen die dicken Mauermassen leicht erscheinen. Die Entlastungsbögen der Mauerkapellen der Südseite sind noch flach, ohne Gestaltung (Abb. 30). Die späteren der Nordseite tragen Profile, ihre Wandflächen sind teilweise mit Steinmetzarbeiten geschmückt (Abb. 31). Die westliche Wandkapelle des Nordquerarmes weist an ihrer Außenwand Abarbeitungsspuren auf. Diese deuten auf einen steinernen Baldachin hin, der sich ursprünglich an der Nordwand befunden haben könnte. Dethard von Winterfeld rekonstruierte an dieser Stelle ein ursprünglich für Kaiser Heinrich IV. geplantes Arkosolgrab. Die Säulen der Mauerkapellen unterscheiden sich auffällig in ihrem Kapitellschmuck von jenen der Krypta. Im Hinblick auf diese Einzelformen bemerkt Hans Erich Kubach: „Die attische Basis wird oft eleganter gebildet. Eckzehen verklammern sie mit der Plinthe, ein Element, das für die hochromanische Architektur geradezu zu einer Leitform und einem Datierungsmittel wird. In Speyer können wir sein Auftreten um 1080 datieren. Das frühromanische Würfelkapitell, das die Funktion so rein und klar in kubischer Form ausdrückte und in Speyer I eine der vollendetsten Ausprägungen erfuhr, wird nun in Nebenräume abgedrängt. Wie die Architektur selbst drängen die Einzelformen auch sonst zu komplizierteren Bildungen, und so wird der Weg frei zu einem Rückgriff auf antike Gestaltungen: das korinthische Kapitell, das Akanthusblatt, das zusammengesetzte, geschmückte Gebälk.“

Nach dem Umbau des östlichen Gebäudeteils folgte das Langhaus. Die Seitenschiffe blieben von jeglichem Eingriff verschont. Das Mittelschiff Bau I konnte bis über die Fenster erhalten werden. Allerdings wurde die Mauerkrone für den Neubau der Zwerggalerie abgetragen. Jedes zweite Pfeilerpaar des Mittelschiffs wurde nun durch vorgesetzte Pilaster und eine breite, stark vorspringende Dreiviertelsäule verstärkt, um den künftigen Gewölbeschub aufzufangen. Der Wechsel der verstärkten Pfeiler von Bau II und der unverstärkten Pfeiler von Bau I wurde zu einem neuen Gliederungssystem, das den Raum plastisch durchbildet und strukturiert (vgl. Abb. 112). Hinzu kam ein weiteres Gliederungselement: Über einem Zwischenkapitell auf halber Höhe verjüngt sich der Querschnitt von Pfeiler- und Halbsäulenvorlage. Dadurch wurde eine weitere Neuordnung erreicht, die zwei Horizontalgeschosse voneinander scheidet. Zwischen den Tellerkapitellen war ursprünglich ein weit vorspringendes Gesims über einer abgetreppten Arkadenkonstruktion geplant (Abb. 32). Die Ansätze für die Arkadenvorblendung sind im Bereich des Königschors heute noch gut zu erkennen. Die Arkadenvorblendung blieb in ihren Anfängen stecken und wurde nicht weiterverfolgt. Im 19. Jahrhundert schlug man die Gesimse ab. Einzig die Tellerkapitelle blieben erhalten. Die Halbsäulenvorlagen darüber münden in ein Kapitell, das den Gurtbogen des Gewölbes trägt. Anders als die Würfelkapitelle links und rechts daneben wurden diese nun unter anderem kunstvoll mit Blättern, Vögeln und Fabelwesen geschmückt. Vier davon sind im Osten des Langhauses erhalten geblieben.

31 Kapellen in der Stirnwand des Nordquerarmes, Abarbeitungsspuren an der Außenwand der westlichen Wandkapelle, Samson-Relief am östlichen Öffnungspfeiler (Bau II).

32 Mittelschiffpfeiler ohne spätere Verstärkung (Bau I) und mit Verstärkung (Bau II) als Voraussetzung für die Wölbung. Vierungspfeiler mit Verstärkung (Bau I) als Voraussetzung für einen Mittelturm sowie Vierungsunterzüge, der untere von Johann Leonhard Stahl aus dem Jahr 1759.

Das Mittelschiff sollte mit einem Steingewölbe nach oben abgeschlossen werden. Dabei spielte einerseits die Feuersicherheit eine Rolle, denn Steingewölbe sind sicherer als Holzkonstruktionen. Andererseits mögen ästhetische Aspekte ausschlaggebend gewesen sein, nämlich die Überlegung, die neue Gliederung der Hochschiffwände mit dem Raumabschluss zu harmonisieren. So spannen sich von den verstärkten Vorlagen aus über das Mittelschiff hinweg Gurtbögen. Schildbögen legen sich jeweils über zwei Blendbögen von Bau I. In 33 Meter Höhe entfalten sich darüber sechs Kreuzgratgewölbe von 14 Meter Spannweite. In dem rund 72 Meter langen, ungeteilten Raum entsteht auf diese Weise ein kraftvoller Rhythmus. Gemeinsam mit den Gewölben des Seitenschiffs bilden die des Mittelschiffs das hochromanische „gebundene System“: Jeweils zwei Joche des Seitenschiffes sind einem Gewölbejoch des Mittelschiffs zugeordnet.

Der deutlich sichtbare Fortschritt in der Architektur beflügelte im 11. Jahrhundert die Baumeister Europas. Man setzte sich mit dem Bauwerk auseinander, kritisch, interpretierend und korrigierend. Man übernahm Ideen und Strukturen und entwickelte sie weiter. Es entstand eine Baukultur christlicher Prägung, die in ganz Europa heute noch wie in einem Vexierbild erkennbar ist.

Der Dom zu Speyer

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