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Das Langhaus – ein Skelettbau
ОглавлениеDas Konzept für das Langhaus wurde während der Bauausführung mehrmals korrigiert. Es sollte zwar so breit werden wie das heutige, aber mit 55 Meter Länge weitaus kürzer und niedriger als später ausgeführt, möglicherweise ohne Gewölbe. Die bei Grabungen freigelegten Fundamentblöcke bei den westlichen Seitenportalen hätten zwei Türmen als Unterbau dienen und den Bau nach Westen abschließen können (Abb. 14). Nun aber wurde das Langhaus um 15 Meter auf 70 Meter nach Westen verlängert und dabei das Achsmaß jeweils leicht erweitert. Die Seitenschiffe mauerte man höher und vergrößerte die Fenster. Die Seitenschiffe erhielten Kreuzgratgewölbe (Abb. 15).
In Gerüstlöchern an der südlichen Mittelschiffwand spürten die Bauforscher 1966 zwei aus der Bauzeit verbliebene Gerüstriegel auf (Abb. 16). Dank der Methode der Dendrochronologie wissen wir das Fälljahr des Baumes. Fette und magere Jahre zeichnen sich an den Stämmen in breiten oder schmalen Jahresringen ab.
14 Isometrische Darstellung des dritten Bauabschnitts der I. Bauphase: Altarhaus-, Querschiff- und Vorkrypta, Grablege mit ursprünglicher Treppenanlage sowie Fundamente des kürzeren Langhauses.
15 Südliches Seitenschiff nach Westen, Außenwand und Pfeilerreihe des Mittelschiffs (Bau I). Der Fußboden wurde 1963 auf das ursprüngliche Niveau abgesenkt.
Die Abfolge der unregelmäßigen Jahresringe verhält sich in den jeweiligen Regionen identisch. Wenn ein Gerüstholz bis zur Rinde erhalten ist, lässt sich an der Abfolge der Ringe das letzte Wuchsjahr feststellen. Im Mittelalter wurden die Hölzer in der Regel sofort verbaut. Daher gibt es einen Anhaltspunkt, dass das Mittelschiff 1045, im Fälljahr der Tanne, 18,30 Meter hoch, etwa bis zur Sohlbank der großen Fenster, errichtet worden war. Begonnen wurden die Mittelschiffmauern spätestens um 1040.
Die Skelettbauweise, die später in der Gotik zur Perfektion weiterentwickelt wurde, bildete ein wichtiges Prinzip beim Bau der Langhauswände. Sie zielte darauf, die statisch wichtigen Punkte zu verstärken und die unwichtigen Elemente zu reduzieren. Die Pfeiler der Mittelschiffwände sind demzufolge bis zur Verzweigung der Fensterbögen voll durchgemauert. Die Mauerflächen, die später den 24-teiligen Freskenzyklus tragen sollten, sind wie bei einem Fachwerkhaus zwischen die Pfeiler gehängt (Abb. 17). So ist die Speyerer Hochschiffwand mit einem römischen Aquädukt vergleichbar. Wir wissen aber nicht, wie die sehr hohe Wandzone darüber, die sich über den heutigen Fenstern erhob, gegliedert war.
16 Dendrochronologisch untersuchter Gerüstbalken von Bau I, datiert ins Fälljahr 1045. Gefunden am 14. Oktober 1966 an der südlichen Mittelschiffwand, Obergaden, westlich des Ostportals, in Höhe von 18,30 Meter.
Den oberen Raumabschluss bildete eine flache Holzdecke oder ein offen sichtbarer Dachstuhl. So will es die aktuelle Schulmeinung wissen. Die Diskussion darüber aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde jetzt wieder aufgegriffen und auch ein Tonnengewölbe neu diskutiert, zuletzt von Hauke Horn. Da die obere Wandzone aber verschwunden ist, bleiben für diese Annahme die Befunde aus. Bis zur Wiederaufnahme der Umbauarbeiten nach 1080 schweigen auch die Schriftquellen.
Dem Langhaus wurde auf seine gesamte Breite ein wuchtiger Westabschluss vorgelegt. Das gequaderte Erdgeschoss hatte auf seiner Schauseite drei große, schmucklose Portale, offenbar ohne Kantenprofile, über denen Rundbogenfenster saßen. Lisenen und Rundbogenfriese gliederten zwei Drittel der Schmalseiten, endeten dann aber abrupt. Das dreijochige, kreuzgratgewölbte Erdgeschoss, das so hoch war wie die Seitenschiffe, diente als Eingangshalle. Vorhalle und Kirchenraum trennte eine 6 Meter dicke Mauer mit einem riesigen, zweiseitig ausgebildeten Stufenportal (Abb. 18). Im Norden und Süden dieser Mauer fügte man zwei Wendeltreppen für Türme ein. Über dem Erdgeschoss befand sich, abgegrenzt durch ein ringsum laufendes Gesims, ein verputztes Obergeschoss. Die Beleuchtung der dahinterliegenden Räume erfolgte durch kleinere Rundbogenfenster. In der Mitte befand sich ein hoher, wohl gewölbter Raum, der sich zum Mittelschiff hin in voller Höhe mit einem mächtigen Rundbogen öffnete. Flankiert wurde die Empore nördlich und südlich von weiteren Räumen, die jeweils in zwei niedrigere Etagen aufgeteilt waren. Zwei Viertelsäulen dieser Konstruktion sind heute noch zu sehen. Möglicherweise waren die beiden unteren Etagen abermals in zwei Räume aufgeteilt. Wie sich die Seitenräume zum zentralen Raum verhielten, ob sie beispielsweise zur Mitte hin offen waren und welche Funktion sie hatten, wissen wir nicht. Unbekannt ist auch, ob sich Türme über die Dachtraufe erhoben. In seinem Kern ist der Westbau I noch erhalten, aber aufgrund der Verkleidung innen und außen nicht sichtbar. Die Vollendung des Westbaues dürfte eine der letzten Bauarbeiten gewesen sein, nachdem Altar- und Querhaus fertiggestellt waren und der Mittelschiff-Obergaden seine letzte Steinschicht erhalten hatte.
17 Mittelschiff-Obergaden über Scheidbogen, vom Dach des südlichen Seitenschiffs betrachtet, zwischen dem östlichsten und dem Vierungspfeiler. Senkrechte Naht zwischen vierseitig bearbeitetem Quaderpfeiler und ohne Mauerverband dazwischengesetzten Kleinquaderfüllungen (eine Art Skelettbau).
18 Innenansicht der 6 Meter starken Westwand mit gestufter Portalanlage (Bau I) und Bronzeportal von 1971.
Die Schlussweihe des Domes fand 1061 statt. König Heinrich IV. (1050 – 1106) war als elfjähriges Kind dabei. Ob der Dombau zur Kirchweihe komplett vollendet war, wissen wir nicht. Somit muss letztlich offenbleiben, wie der Dom in seiner Außenerscheinung um 1061 ausgesehen hat.
Von Bau I sind heute noch wesentliche Teile des Domes erhalten (Abb. 19). Zu ihnen gehören die gesamte Krypta (nicht die Kryptagewölbe), die Osttürme bis zum Ansatz der Vierungsbögen, Teile der Wände des Altarhauses (wo sie von den Türmen gebildet werden), die Hüften des zwischen die Türme gestellten Westteils der Gewölbetonne, die Vierungspfeiler und Vierungsbögen, die Wandteile des Querschiffs, die von den Türmen gebildet werden, und Teile der gegenüberliegenden Westmauern sowie die 1958 freigelegte südwestliche Querhauskante. Ferner gehören zum Bau I der östliche Teil der Außenwand des nördlichen Seitenschiffs und die Außenwand des südlichen Seitenschiffs, die Mittelschiffpfeiler ohne deren spätere Verstärkung, die Westwand mit dem Stufenportal und den Treppenspindeln sowie der Mauerkern des Erdgeschosses des zuletzt von Heinrich Hübsch im 19. Jahrhundert verkleideten Westbaues. Die unter Domgartenniveau liegenden Fundamentkanten im Osten geben Auskunft darüber, dass das Altarhaus außen einst einen rechtwinkligen Abschluss hatte.
19 Isometrischer Schnitt von Südost mit den von Bau I erhaltenen Teilen (oberste Vierungsbögen Zutat von Bau II). Die Zeichnung verdeutlicht, in welchem Umfang Bau II durch die erste Anlage bestimmt wird.
20 Luftaufnahme auf die Nordostseite des Domes: sechs Türme, gotische Sakristei von 1409, Westbau – errichtet 1854 bis 1858 – und rekonstruierte Giebellösungen im Osten aus dem 20. Jahrhundert.