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Am Ernstthaler Friedhof an der Bergstraße/Hohe Straße (besteht nicht mehr)


Forsthaus im Hainholz bei Hohenstein

Hier habe ich eine Pause zu machen, um mir eine ernste, wichtigere Bemerkung zu gestatten. Ich schreibe dieses Buch nicht etwa um meiner Gegner willen, etwa um ihnen zu antworten oder mich gegen sie zu verteidigen, sondern ich bin der Meinung, dass durch die Art und Weise, in der man mich umstürmt, jede Antwort und jede Verteidigung ausgeschlossen wird. Ich schreibe dieses Buch auch nicht für meine Freunde, denn die kennen, verstehen und begreifen mich, sodass ich nicht erst nötig habe, ihnen Aufklärung über mich zu geben. Ich schreibe es vielmehr nur um meiner selbst willen, um mir über mich klar zu werden und mir über das, was ich bisher tat und ferner noch zu tun gedenke, Rechenschaft abzulegen. Ich schreibe also, um zu beichten. Aber ich beichte nicht etwa den Menschen, denen es ja auch gar nicht einfällt, mir ihre Sünden einzugestehen, sondern ich beichte meinem Herrgott und mir selbst, und was diese beiden sagen, wenn ich geendet habe, wird für mich maßgebend sein. Es sind für mich also nicht gewöhnliche, sondern heilige Stunden, in denen ich die vorliegenden Bogen schreibe. Ich spreche hier nicht nur für dieses, sondern auch für jenes Leben, an das ich glaube und nach dem ich mich sehne. Indem ich hier beichte, verleihe ich mir die Gestalt und das Wesen, als das ich einst nach dem Tode existieren werde. Da kann es mir wahrlich, wahrlich gleichgültig sein, was man in diesem oder in jenem Lager zu diesem meinem Buche sagt. Ich lege es in ganz andere, in die richtigen Hände, nämlich / in die Hände des Geschicks, der alles wissenden Vorsehung, bei der es weder Gunst noch Ungunst, sondern nur allein Gerechtigkeit und Wahrheit gibt. Da lässt sich nichts verschweigen und nichts beschönigen. Da muss man alles ehrlich sagen und ehrlich bekennen, wie es war und wie es ist, erscheine es auch noch so pietätlos und tue es auch noch so weh. Man hat den Ausdruck ‚Karl-May-Problem‘ erfunden. Wohlan, ich nehme ihn auf und lasse ihn gelten. Dieses Problem aber wird mir keiner von all denen lösen, die meine Bücher nicht gelesen oder nicht begriffen haben und trotzdem über sie urteilen. Das Karl-May-Problem ist das Menschheitsproblem, aus dem großen, alles umfassenden Plural in den Singular, in die einzelne Individualität transportiert. Und genauso, wie dieses Menschheitsproblem zu lösen ist, ist auch das Karl-May-Problem zu lösen, anders nicht! Wer sich unfähig zeigt, das Karl-May-Rätsel in befriedigender, humaner Weise zu lösen, der mag um Gottes willen die schwachen Hände und die unzureichenden Gedanken davon lassen, über sich selbst hinauszugreifen und sich mit schwierigen Menschheitsfragen zu befassen! Der Schlüssel zu all diesen Rätseln ist längst vorhanden. Die christliche Kirche nennt ihn ‚Erbsünde‘. Die Vorväter und Vormütter kennen, heißt die Kinder und Enkel begreifen, und nur der Humanität, der wahren edelmenschlichen Gesinnung ist es gegeben, in Betracht der Vorfahren wahr und ehrlich zu sein, um auch gegen die Nachkommen wahr und ehrlich sein zu können. Den Einfluss der Verstorbenen auf ihre Nachlebenden an das Tageslicht zu ziehen, ist rechts eine Seligkeit und links eine Erlösung für beide Teile, und so habe ich die Meinen genauso zu zeichnen, wie sie in Wirklichkeit waren, mag man dies für unkindlich halten oder nicht. / Ich habe nicht nur gegen sie und mich, sondern auch gegen meine Mitmenschen wahr zu sein. Vielleicht kann mancher aus unserem Beispiel lernen, in seinem Fall das Richtige zu tun.

Mutter hatte ganz unerwartet von einem entfernten Verwandten ein Haus geerbt und einige kleine, leinene Geldbeutel dazu. Einer dieser Geldbeutel enthielt lauter Zweipfenniger, ein anderer lauter Dreipfenniger, ein dritter lauter Groschen. In einem vierten steckte ein ganzes Schock Fünfzigpfenniger, und im fünften und letzten fanden sich zehn alte Schafhäuselsechser, zehn Achtgroschenstücke, fünf Gulden und vier Taler vor. Das war ja ein Vermögen! Das erschien der Armut fast wie eine Million! Freilich war das Haus nur drei schmale Fenster breit und sehr aus Holz gebaut, dafür aber war es drei Stockwerke hoch und hatte ganz oben unter dem First einen Taubenschlag, was bei anderen Häusern bekanntlich nicht immer der Fall zu sein pflegt.5 Großmutter, die Mutter meines Vaters, zog in das Parterre, wo es nur eine Stube mit zwei Fenstern und die Haustür gab. Dahinter lag ein Raum mit einer alten Wäscherolle, die für zwei Pfennige pro Stunde an andere Leute vermietet wurde. Es gab glückliche Sonnabende, an denen diese Rolle zehn, zwölf, ja sogar vierzehn Pfennige einbrachte. Das förderte die Wohlhabenheit ganz bedeutend. Im ersten Stock wohnten die Eltern mit uns. Da stand der Webstuhl mit dem Spulrad. Im zweiten Stock schliefen wir mit einer Kolonie von Mäusen und einigen größeren Nagetieren, die eigentlich im Taubenschlag wohnten und des Nachts nur kamen, uns zu besuchen. Es gab auch einen Keller, doch war er immer leer. Einmal standen einige Säcke Kartoffeln darin, die gehörten aber nicht uns, sondern einem Nach- / barn, der keinen Keller hatte. Großmutter meinte, dass es viel besser wäre, wenn der Keller ihm und die Kartoffeln uns gehörten. Der Hof war gerade so groß, dass wir fünf Kinder uns aufstellen konnten, ohne einander zu stoßen. Hieran grenzte der Garten, in dem es einen Holunderstrauch, einen Apfel-, einen Pflaumenbaum und einen Wassertümpel gab, den wir als ‚Teich‘ bezeichneten. Der Holunder lieferte uns den Tee zum Schwitzen, wenn wir uns erkältet hatten, hielt aber nicht sehr lange vor, denn wenn das eine sich erkältete, fingen auch alle anderen an zu husten und wollten mit ihm schwitzen. Der Apfelbaum blühte immer sehr schön und sehr reichlich; da wir aber nur zu wohl wussten, dass die Äpfel gleich nach der Blüte am besten schmecken, so war er meist schon Anfang Juni abgeerntet. Die Pflaumen aber waren uns heilig. Großmutter aß sie gar zu gern. Sie wurden täglich gezählt, und niemand wagte es, sich an ihnen zu vergreifen. Wir Kinder bekamen doch mehr, viel mehr davon, als eigentlich auf uns fiel. Was den ‚Teich‘ betrifft, so war er sehr reich belebt, doch leider nicht mit Fischen, sondern mit Fröschen. Die kannten wir alle einzeln, sogar an der Stimme. Es waren immer so zwischen zehn und fünfzehn. Wir fütterten sie mit Regenwürmern, Fliegen, Käfern und allerlei anderen guten Dingen, die wir aus gastronomischen oder ästhetischen Gründen nicht selbst genießen konnten, und sie waren uns auch herzlich dankbar dafür. Sie kannten uns. Sie kamen an das Ufer, wenn wir uns ihnen näherten. Einige ließen sich sogar ergreifen und streicheln. Der eigentliche Dank aber erklang uns des Abends, wenn wir am Einschlafen waren. Keine Sennerin kann sich mehr über ihre Zither freuen als wir über unsere Frösche. Wir wussten ganz genau, welcher es war, der sich hören / ließ, ob der Arthur, der Paul oder Fritz, und wenn sie gar zu duettieren oder im Chor zu singen begannen, so sprangen wir aus den Federn und öffneten die Fenster, um mitzuquaken, bis Mutter oder Großmutter kam und uns dahin zurückbrachte, wohin wir jetzt gehörten. Leider aber kam einst ein sogenannter Bezirksarzt in das Städtchen, um sogenannte gesundheitliche Untersuchungen anzustellen. Der hatte überall etwas auszusetzen. Dieser ebenso sonderbare wie gefühllose Mann schlug, als er unseren Garten und unseren schönen Tümpel sah, die Hände über dem Kopf zusammen und erklärte, dass dieser Pest- und Cholerapfuhl sofort verschwinden müsse. Am nächsten Tage brachte der Polizist Eberhardt einen Zettel des Herrn Stadtrichters Layritz, des Inhalts, dass binnen jetzt und drei Tagen der Tümpel auszufüllen und die Froschkolonie zu töten sei, bei fünfzehn ‚Guten Groschen‘ Strafe. Wir Kinder waren empört. Unsere Frösche umbringen! Ja, wenn der Herr Stadtrichter Layritz einer gewesen wäre, dann herzlich, herzlich gern! Wir hielten Rat, und was wir beschlossen, wurde ausgeführt. Der Tümpel wurde so weit ausgeschöpft, dass wir die Frösche fassen konnten. Sie wurden in den großen Deckelkorb getan und dann hinaus hinter das Schießhaus nach dem großen Zechenteich getragen, Großmutter voran, wir hinterher. Dort wurde jeder einzeln herausgenommen, geliebkost, gestreichelt und in das Wasser gelassen. Wie viel Seufzer dabei laut geworden, wie viel Tränen dabei geflossen und wie viel vernichtende Urteile dabei gegen den sogenannten Bezirksarzt gefällt worden sind, das ist jetzt, nach über sechzig Jahren, wohl kaum mehr festzustellen. Doch weiß ich noch ganz bestimmt, dass Großmutter, um dem ungeheuren Schmerz ein Ende zu machen, uns die Versicherung gab, ein jedes von uns werde genau nach zehn / Jahren ein dreimal größeres Haus mit einem fünfmal größeren Garten erben, in dem es einen zehnmal größeren Teich mit zwanzigmal größeren Fröschen gebe. Das brachte in unserer Stimmung eine ebenso plötzliche wie angenehme Änderung hervor. Wir wanderten mit der Großmutter und dem leeren Deckelkorb vergnügt nach Hause.



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