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VORWORT 1

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Heutzutage ist viel von ‚Patchwork‘ die Rede in einem Zeitalter, da deutsche Begriffe auszusterben drohen. Eigentlich versteht man darunter eine Näharbeit, die aus vielen Flicken ein einheitliches Ganzes schafft. Bekannt sind die ‚Patchwork-Familien‘, wo sich Paare mit Kindern aus verschiedenen früheren Lebenspartnerschaften zu einem (hoffentlich) harmonischen neuen Ganzen zusammenfinden.

Ein ähnliches ‚Patchwork‘ – man könnte auch sagen: Mosaik – bildet in gewisser Weise der vorliegende Band 90 der Gesammelten Werke.

Aus frühen Fragmenten und Plänen Karl Mays, begonnenen Dorfgeschichten und vollendeten Humoresken, in denen May noch als literarischer Lehrling erscheint, und einem gewichtigen Gesellenstück, dem Wien-Kapitel aus Der Weg zum Glück, vermehrt durch zwei Franz-Kandolf-Bearbeitungen von Episoden aus dem Verlorenen Sohn, die in Zeitschriften der 1930er-Jahre erstveröffentlicht wurden und hier nach 80 Jahren erstmals in Buchform erscheinen – soll ein möglichst erfreuliches, harmonisches Ganzes entstehen.

Eröffnet wird der Band allerdings nicht chronologisch mit den frühesten Tastversuchen des literarischen Anfängers, sondern mit der Verschwörung in Wien als bei Weitem umfangreichstem Einzeltext, der auch dem ganzen Buch den Namen gab. Es folgen die beiden Kandolf’schen Bearbeitungen, dann drei Humoresken, die überleiten zu den frühesten Fragmenten May’scher Erzählkunst.

Ist die Reihenfolge der Geschichten im Buch also sozusagen chronologisch ‚umgedreht‘, soll im Folgenden Mays Werdegang als literarischer Lehrling und Geselle von A bis Z erörtert werden.

Als Karl May 1892 damit begann, seine Serie der Gesammelten Reiseromane bei Friedrich Ernst Fehsenfeld herauszugeben, mag er wohl nicht daran gedacht haben, wirklich alle seine Schriften in diese Reihe aufzunehmen. Über die umfangreichen, zwischen 1882 und 1887 bei H. G. Münchmeyer in Dresden publizierten Kolportageromane schrieb er zwar am 19. Februar 1906 an Fehsenfeld, „daß sie für meine ‚Gesammelten Werke‘ bestimmt sind“, nahm diese Sache aber – abgesehen von der Verwendung einer einzelnen Episode für den Old Surehand – nie in Angriff. Vielmehr hatte er diese Brotarbeiten, eine teilweise endlose Zeilenschinderei, um die kolportagetypischen Längen zu erreichen, zeitweilig verdrängt, bevor Kritiker wie Hermann Cardauns ihm nach 1902 anlässlich der Neuen illustrierten Ausgabe durch den Münchmeyer-Nachfolger Adalbert Fischer mit Blick auf gerade diese Großromane vorwarfen, neben „katholisierenden“ Reiseerzählungen skrupellos-gewalttätige Hintertreppenromane, ja, „abgrundtief Unsittliches“ geschrieben zu haben.

Umfassten die Reiseromane (später Reiseerzählungen) bei Fehsenfeld bis 1910 33 Bände, so wurde vom Karl-May-Verlag in Radebeul ab 1913 eine komplette Neuausgabe der Werke angestrebt, die auch die Autobiografie Mein Leben und Streben (in den Gesammelten Werken als Band 34, „ICH“, zusammen mit anderem [auto]biografischen Material), die Jugenderzählungen für Spemann (Bände 35-41 der GW), die Dessauer-Anekdoten (Band 42), Dorfgeschichten (Bände 43 und 44), den frühen Zeitungsromanen Scepter und Hammer/Die Juweleninsel (Bände 45/46), allerlei Humoresken (Band 47), Reste der Spätwerkerzählungen samt anderem Material (Band 48), das Drama Babel und Bibel sowie die Gedichte Himmelsgedanken (Band 49) beinhaltet.

Band 50 als Jubiläumsband der Reihe wurde 1922 durch ein eigens von Franz Kandolf geschriebenes Werk, eine Fortsetzung von Band 25 im Stil der ‚realistischen‘ Reiseerzählungen, gefeiert: In Mekka. Von Band 51 an (1924ff.) erschienen dann die Münchmeyer-Romane in teilweise recht starker Überarbeitung durch Dr. Euchar Albrecht Schmid und seine Helfer Franz Kandolf, Otto Eicke u. a.

Band 65, Der Fremde aus Indien, eine sehr freie Neugestaltung der Haupthandlung des Verlorenen Sohns von 1884ff. konnte 1939 noch kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs fertiggestellt werden, nachdem eine erste Bearbeitung bereits 1930/1931 in der Zeitschrift Das Vaterhaus erschienen war. Die Neufassung des Ludwig II.-Romans Der Weg zum Glück war ebenfalls seit 1930/1931 in Planung, erschien aber erst unter der Ägide Roland Schmids in Bamberg (1958/59 die Bände 66 und 67), wobei Verlagslektor und -mitarbeiter Hans Wollschläger den Band 68 aus zwei ursprünglich in den Haupttext des Weg zum Glück eingeflochtenen, aber weitgehend unabhängigen Episoden zusammenfügte (1960). In Band 73, Der Habicht (1967), bearbeitete dann Dr. Rudolf Beissel, einer der alten Mitarbeiter E. A. Schmids und Klara Mays, die Alberg-Episode aus dem Weg zum Glück neu.

Band 69, Ritter und Rebellen, erhielt 1960 eine von Roland Schmid revidierte und teilweise ‚entflochtene‘ Fassung des frühen Romans Der beiden Quitzows letzte Fahrten. Mit Band 71, Old Firehand, wurden erstmals Reiseerzählungen Mays in ihrer ursprünglichen, noch ungeschliffenen Fassung aus Zeitschriftendrucken der Jahre 1875ff. vorgelegt; Band 72 brachte vor allem Beiträge Karl Mays zu der von ihm redigierten Zeitschrift Schacht und Hütte und bekam auch diesen Titel.

Nach über 15-jähriger mühevoller Vorarbeit konnten 1985 mit Band 74, Der verlorene Sohn, weitere Teile des Lieferungsromans für Münchmeyer in neuer Überarbeitung vorgelegt werden. Eine – diesmal unbearbeitete – Verlorene Sohn-Episode, Sklaven der Schande, bildete 1993 auch den Inhalt von Band 75. Band 76 präsentierte dann die Eremiten-Geschichte aus dem Verlorenen Sohn und eine zweite, kleinere Erzählung aus diesem Roman in neuem Gewand (1994). Mit Die Kinder des Herzogs wurde 1995 ein in den Bänden 51-55 ausgelassener Teil von Waldröschen wieder aufgelegt (Band 77). Band 78, Das Rätsel von Miramare, griff 1996 dann noch einmal eine Episode aus dem Weg zum Glück in überarbeiteter Version auf sowie den ursprünglichen Schlussteil des Romans Deutsche Herzen, deutsche Helden, der in den Radebeuler Bänden 61-63 nicht berücksichtigt worden war. Mit den GW-Bänden 79-89 ergänzten frühe Fassungen bzw. Manuskripte Mays zusammen mit Autobiographica, Briefen der May-Leser (Band 86), dem Sammelwerk Buch der Liebe (Band 87) und Vorfassungen spannender Reise- und Abenteuerromane (Bände 88 und 89) die Reihe.

Der vorliegende Band 90, Produkt vieler Überlegungen und Vorarbeiten, schließt nun die einige Jahre bestehende Lücke zu den Briefbänden, die der viel zu früh verstorbene Dr. Dieter Sudhoff und Hans-Dieter Steinmetz 2007 mit dem Briefwechsel zwischen May und seinem Verleger F. E. Fehsenfeld (Bände 91 und 92) eröffneten; inzwischen folgten bereits 93 (Korrespondenz mit dem Maler Sascha Schneider) und 94 (2013), der Briefe von und an May aus dem Umfeld der Verleger und Herausgeber Joseph Kürschner und Wilhelm Spemann dokumentiert.

Wenn also die Gesammelten Werke ab Nummer 91 sich naturgemäß mehr den späten Jahren Mays widmen, aus denen die meisten erhalten gebliebenen Briefe datieren, so finden die Leser in Verschwörung in Wien Fragmente, Entwürfe, aber auch komplette Texte aus der ‚Jugend‘ Karl Mays, bis etwa 1879. Eröffnet wird der Band wie schon gesagt mit dem Wien-Teil aus dem Kolportageroman Der Weg zum Glück. May war damals mit 45 Jahren kein junger Mann mehr, beendete aber mit dem Roman über den unglücklichen König Ludwig II. von Bayern und dessen fiktiven „Wurzelsepp“-Freund sein Lieferungsroman-Schaffen, das ihm später noch bittere Auseinandersetzungen bringen sollte.

Zeigt sich May hier als ‚Lehrling und Geselle‘ (mit Plänen und Humoresken) sowie auf dem Weg zur gestalterischen Reife, so stellen die beiden Erzählungen aus den Zeitschriften Das Vaterhaus bzw. Illustrierte Roman-Woche von 1934 ein interessantes Dokument aus 100 Jahren Verlagsgeschichte dar. Franz Kandolf hatte sich hier an zwei Episoden aus dem dritten Münchmeyer-Roman versucht, die nicht in den Bänden 64 und 65 berücksichtigt wurden: Aus dem Kelch des Schicksals und Der Doppelgänger, beides Titel von Kandolf. Diese Textfassungen sind gesuchte Einzelstücke auf dem antiquarischen Buchmarkt und dürften in der vorgelegten Form nur wenigen Kennern geläufig sein.

Verschwörung in Wien

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