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KNALL II

Diesmal war es überhaupt nicht mehr lustig, denn ich hätte Rudi fast im Affekt erschlagen, wäre ich nicht so schwach auf den Beinen gewesen. So erwischte er leider nur ein paar Kratzer, oder besser gesagt, Gott sei Dank.

Jähzorn ist etwas Fürchterliches, und zum ersten Mal erlebte ich buchstäblich, was es heißt, rot zu sehen. Eine grellrote Welle war über mir zusammengeschlagen, für eine Weile war ich blind für alle Vernunft und schlug zurück. Es war mir egal, was ich traf, und für einen Moment hätte ich Rudis Tod kaltherzig in Kauf genommen.

Hinterher war ich vollkommen entsetzt über das Gewaltpotenzial, das in mir schlummert. Verfluchtes Erbe des jähzornigen Vaters. Es war wie eine Naturgewalt aus mir hervorgebrochen, ein Geysir elektrisch glühenden Zornes, alles vernebelnd. Und in schier unendlicher Höhe fiel er wieder zusammen und verschwand genau so schnell, wie er emporgerauscht kam. Für einen kurzen Augenblick waren alle Regler nicht mehr online, und das System stürzte ab, die Verbindung von Kopf zu ausführenden Organen unterbrochen. Und ich reagierte nur noch ohne Regie. Es war beschämend, aber leider war es so und lässt sich auch nicht wegdiskutieren.

Angefangen hatte es mit einem Schäferstündchen. Ein Stündchen, bei welchem der Schäfer plötzlich keine Lust mehr verspürt, das Opferlamm zu spielen und sich kurzer Hand versagte, weiterhin überhaupt Hand anzulegen, um es mal blumig auszudrücken. Das wars dann mit uns beiden. Fortan waren wir nur noch Bekannte, die sich in ihre Wohnungshälfte zurückzogen. Experiment gescheitert. Lebenstraum, adieu!

Ich verfiel in eine tiefe Depression. Der Weg zum Arzt war nicht sonderlich weit, also schleppte ich mich eine Etage tiefer zum Internisten und kehrte mit Krankmeldung und Medikamenten zurück. Danach rief ich bei Wolfgang in Düsseldorf an, um noch einige Privatrezepte zu ergattern. Soviel schaffte ich noch.

»Sonnenallee! Immer wenn ich diese Adresse aufschreibe, wird mir so sonnig ums Herz. Das ist bestimmt eine besonders schöne Straße«, zwitscherte die Stimme seiner Schwester, bevor sie verband. Mädchen, wenn du wüsstest. Hier war es trübe, genau wie meine Stimmung. Trübissimo.

Die Kastanienknospen waren noch nicht aufgegangen, und das Wetter hatte sich meinem Seelenzustand angepasst. Griesgrau! Und die Kastanien gingen mir auch am Arsch vorbei. Sollen sie doch ausschlagen. Wohin und wen auch immer. Mich hatte es vorher getroffen. Gründlich. Alles vorbei. Niete in der Lebenslotterie. Falsches Los gezogen, Loser.

Was folgte, war eine Woche, an die ich mich nur bruchstückweise erinnere. Ich wandelte im Tal der schwankenden Schatten. Vollsediert. Laut Rudis Aussage war es dann wohl mehr meine Person, die durch die Gegend wankte, immer auf der Suche nach Nachschub, um die Wirklichkeit auszublenden, sobald sie sich Bahn brechen wollte. Am liebsten wäre ich gar nicht mehr aufgetaucht, und es war völlig egal, wenn der Bademantel die kleine Sammlung von Art-Deko-Glasschalen vom Tisch fegte, oder das wenige Meißen zersplitterte. Hänge dich nie an irdische Dinge, du kannst sie sowieso nicht mitnehmen

Rudi erzählte später, auch für ihn sei diese Woche die reine Hölle gewesen. Kam er spätabends, vom Job erschöpft, nach Hause, durfte er erst einmal zusammenfegen, was meinen schwachen Fingern entglitten war, um mich hernach einzufangen, der ich durch die Bude taumelte und dabei alles Mögliche umriss.

Ich weiß nicht mehr genau, was ich sonst noch alles anstellte, zu getrübt sind die Erinnerungen, nur dass ich plötzlich hellwach war und in grausamer Klarheit meine Zukunft sah, als mir Rudi mir mitteilte, dass er in der nächsten Woche auszuziehen gedachte. Da überkam mich dieser schreckliche Wutanfall, und schlug blindlings zu.

Rudi rettete sich zum Arzt unter uns und bat um Beistand, den Rasenden zu bändigen, aber dem war das eigene Fell zu kostbar und empfahl, die Polizei einzuschalten, die mit Rasern aller Art ihre Erfahrungen hatten. Darauf verzichtete der Freund lieber, und als er sich wieder ins traute Heim wagte, war der Anfall vorüber und ich halbwegs bei Verstand.

»Ich glaube, ich muss ins Krankenhaus«, murmelte ich und Rudi gab mir recht. Eben noch Todfeind, half er mir, das Nötigste zusammenzupacken und lieferte mich mich per Taxi im Urban-Krankenhaus ab.

Krisenstation. Psychiater. Gespräche. Drei Tage lag ich neben einem unentwegt weinenden Typ, der losheulte, sobald er die Augen aufschlug. Ich sehe ihn noch liegen. Zusammengekrümmt, zu fötaler Haltung, flennte er, ohne dabei Position und Tonlage zu wechseln. Dafür wechselten die Personen, die sich tröstend über ihn beugten, in schneller Folge. Die Freundin, die Mutter, die ganze weitläufige Verwandtschaft, immer war jemand anwesend, unter dessen Anteilnahme er gemütlich weiter in Tränen schwamm. Warum er weinte, erschloss sich mir nicht, denn der Mann sprach nur türkisch, aber immerhin machte er mir klar, wie gesund ich gegen ihn war.

Also packte ich mein Ränzlein und schulterte den Lebensweg. Zu Hause hatte man wenigstens seine Ruhe. Rudi war ausgezogen, und mit ihm jegliche Hoffnung auf eine glückliche Zukunft. Ich war allein in der fremden Stadt, ohne wirkliche Freunde, und mir grauste vor den nächsten Tagen in der riesigen Hütte.

Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3

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