Читать книгу Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3 - Karl Michael Görlitz - Страница 14
ОглавлениеEIN ABEND MIT DICHTERN
Leider stellte Rudi Bedingungen. Allein wollte er keinesfalls noch einmal mit mir zusammen leben, zu sehr saß ihm noch der Schreck in den Gliedern. Er hatte auch gleich den passenden Mitbewohner zur Hand. Phillip besaß ein sanftes Gemüt in einem Körper wie gemeißelt. Ausgezogen war er eine wahre Augenweide, angezogen eher nicht. In Klamotten war er ein graues Mäuschen mir verfrühter Glatzenbildung. Leider geizte er mit seinen Reizen und lief meistens keusch verhüllt durch die Gemächer, aber wenn man mal einen Blick erhaschte, ging die Sonne auf. Natürlich war Phillip ein kleines Abenteuer meines holden Gatten, aber zu seinem größten Bedauern ein ausgesprochen einseitiges, denn außer sich selbst liebte der Neue fast niemanden und nichts. Außer vielleicht noch den Alkohol, aber dem hatte er abgeschworen und war trocken. Und die Musik von Richard Wagner.
Damit konnte ich leben, und dass er Richards Opern bevorzugte, nahm mich ein bisschen für ihn ein. Also zog er zu uns und wir stopften alte Matratzen und Decken hinter die Flügeltür und nagelten von der anderen Seite eine dicke Holzplatte darüber, um den Schall der Götterdämmerung zu unpassender Tageszeit zu dämpfen, denn Phillip ließ meist spätnachts die Welt zusammenkrachen. Gut, dass niemand unter uns wohnte. Und die Polsterung des Durchgangs ermöglichte tatsächlich den Aufenthalt im Nebenraum ohne bleibende Schäden.
Ich hatte es mir im Nachbarzimmer, dem Eckraum mit den drei Fenstern und vier Rosetten unter der Decke gemütlich gemacht. Das war alles, was vom einstigen Prachtstuck übrig geblieben war. Vier Lorbeerkränze mit Schleifen im klassizistischen Stil. Ach ja, das Haus hatte auch schon bessere Tage gesehen. Unten beim Arzt war im Vorraum noch ein gewaltiger, eingegipster Spiegel von der Originalausstattung zu bewundern, ein gleicher hatte einst auch unseren Wohnungsflur geziert und wer weiß, was sonst noch. Scheißbombe, die wohl noch in den letzten Kriegstagen die Innendekors ruinierte.
Im Bad gab es noch einige Jugendstilfliesen, der Rest war geflickt. Und jetzt gab es Phillip im Bad, was zwar auch ganz schön, aber selten zu bewundern war. Selbstverliebt, wie er war, hatte unser neuer Untermieter überall um die Wanne alte Kleiderspiegel angebracht, so dass er sich aus allen Winkeln beim Säuberungsvorgang betrachten konnte. Jessas, das wäre nicht mal mir eingefallen, und oftmals malte ich mir aus, was der Gute sonst noch in der Wanne trieb. Schließlich konnte er sich ja so schnell waschen, wie er wollte.
Eine abgebrochene Schneiderlehre konnte er vorweisen, aktuell machte er irgendetwas mit dem Zweiten Bildungsweg, was offensichtlich selten sein persönliches Erscheinen erforderte. Meist lag er in seinem Zimmer und hörte sich unsere Schallplattensammlung an, oder schmökerte in unseren Büchern. Das war soweit in Ordnung, und er war alles in allem ein angenehmer Hausgenosse, sieht man einmal von der Tatsache ab, dass er sich vor den allgemeinen Pflichten in einer WG gern ein wenig drückte.
Dass er zum Schneider wenig taugte, war ich geneigt zu glauben. Besonders, nachdem er auf dem Küchentisch Brot mit dem Sägemesser direkt auf dem bestickten Tischtuch geschnitten hatte und anschließend vollkommen verblüfft war, dass die verdammte Decke ebenfalls in Scheiben lag.
»Ach, das näh ich flugs wieder zusammen!«, sagte er belustigt und tat es dann auch. Beim Durchmustern unserer Tischwäsche fiel mir jüngst die alte Leinendecke mit den wulstigen Nähten in die Hände - ich was amüsiert. Rudi hebt aber auch alles auf. Die Story hatte ich längst vergessen.
Unvergesslich blieb mir allerdings die Geschichte mit den Kriechströmen in der Wand und der anschließenden praktischen Durchreiche zum Badezimmer direkt vom Küchentisch aus, die neuerdings ganz reizende Einblicke gewährte. Das Loch wurde in der bröselnden Rabitzwand immer größer, je länger der Elektriker der Energie nachkroch, bis man von der Küche aus in die Wanne steigen konnte. Mir war es ja egal, diesbezüglich hatte ich wenig zu verbergen und Rudi ebenfalls. Nur Phillip legte einen merkwürdigen Eifer an den Tag, als es daran ging, die Wand wieder herzustellen. Sonst lag ihm das Emsige so gar nicht.
Obwohl unser neuer Mitbewohner ein ruhiger Vertreter war, bis auf die Musik, die uns allerdings selten störte, da es unsere Sammlung war, wurde es trotzdem kein langes Mietverhältnis, und ich fürchte, dass ich daran nicht ganz unschuldig war. Ich schmiss ihm nämlich kurzerhand den Staubsauger ins Kreuz, nachdem er mit einer doofen Bemerkung an mir vorübergeschwankt war, voll wie eine Strandhaubitze, um in die Küche zu gelangen, wo sein neuester Freund mit einer Bierflasche saß, um beiden ein spätes flüssiges Frühstück zu verabreichen.
Angefangen hatte es mit einem Gläschen Sekt zur Gratulation und danach hatten sich alle Schleusen geöffnet, wortwörtlich, und ich war es leid, mit Gummihandschuhen bewaffnet, hinterherzuwischen, weil sie immer seltener die dafür bestimmte Gerätschaft trafen.
Verärgert über soviel Unmut, zog Phillip bald wieder aus und nahm sein Spiegelkabinett mit. Wir waren wieder allein. Gottseidank!
Mit Rudis neuerlichem Einzug war mein schöner, literarischer Salon wie Spreu im Wind zerstoben. Rudi kam bei diesen Leuten einfach nicht an. Und sein verschrobener Humor schon gar nicht. Viele Intellektuelle sind völlig humorfrei und halten einen Witz für einen Angriff auf ihre zweifelsfreie Intelligenz. Das hatte ich schon in Düsseldorf erlebt, und im witzigen Berlin war es nicht anders. Außerdem hatte ich bei der Hoffmannschen einen schweren Fehler begangen. Ich war gebeten worden, ein Logo für den neuen Verlag, der Albino heißen sollte, zu entwickeln und ich wickelte falsch rum. Zu Albino war mir prompt eine weiße Maus mit rotem Auge eingefallen, und so schuf ich aus dem gekippten A von Albino ein stilisiertes Mauseschnäuzchen mit einem roten Punkt im Querstrich. Ich fand es allerliebst, aber leider hatte ich nicht bedacht, dass ich einem Löwen nicht mit einem Mäuschen kommen darf. Das war viel zu gewöhnlich für die außergewöhnliche Literatur, die unter dem seltsamen Namen Albino erscheinen sollte. Ja, hätte ich doch nur ein Einhorn oder einen Pegasus gewählt, aber einem Mäuschen wie mir, war nichts Besseres eingefallen. Für mich war der Unpigmentiertes bezeichnende Begriff untrennbar mit weißen Nagern verbunden. Vielleicht auch, weil ein Dekolehrling im KaDeWe ständig mit seiner weißen Ratte auf der Schulter oder im Hemde herumlief. Aber das ist auch keine Entschuldigung. Ich hatte es versaut und prompt wählte man den langweiligen Alternativentwurf, den ich mehr als abschreckendes Beispiel angefertigt hatte.
Als ich danach noch Geld für meine Bemühungen verlangte, wurde ich zwar bezahlt, aber mit der Freundschaft war es so plötzlich vorbei, wie es gekommen war. Fortan sah man aus den lichten Höhen eher skeptisch auf mich hernieder. Eine Zeitlang wurde der misslungene Schriftzug tatsächlich verwendet, aber in späteren Jahren durch einen noch unverbindlicheres Logo ersetzt. Völlig zu recht, wie ich meine, aber leider hatte der Verlag mit dem neuen Signet auch nicht mehr Glück, denn er entschlummerte sanft.
Von Stund an mied uns auch der geliebte Hausfreund Dieter, zu Rudis größtem Kummer, und er hielt emsig Ausschau nach einem Nachfolger.
Fündig wurde er nur zu bald. Bei einem goldgelockten Sänger, der nicht nur Gold in der Kehle hatte, sondern auch noch so hieß: Max Gold. Wir hatten ihn in Kreuzberg kennengelernt, mir gefiel er ja auch über die Maßen, aber mein Süßer hatte sofort wieder dieses verdächtige Glitzern in den Augen irrlichtern lassen und ich war gewarnt. Max war süß und eine Gefahr für meinen Seelenfrieden. Und jetzt kam er auch noch mit Norbert, der die Bekanntschaft vermittelt hatte, zum Essen. Rudi hatte eingeladen.
Autsch! Zwei Dichter auf einen Streich, das war ziemlich unverdaulich. Da sich beide an Nonsenstexten abarbeiteten, schien es mir zwecklos, mit dem gleichen Blödsinn aufzuwarten. Das konnten beide besser. Max war mit der Neuen Deutschen Welle emporgesurft und sang von einer Königin mit Rädern unten dran. Monarchie auf Rollschuhen bergauf, bergab. Was konnte ich nur dagegensetzen? Nichts! Ich war die KaDeWe-Trine, die gelegentlich Anzeigentexte dichtete. Damit konnte ich die Herren wohl kaum beeindrucken. Und überhaupt, was sollte ich für den Ehrengast, den ich am liebsten schnell wieder losgeworden wäre, nur kochen? Allzuviel Gesicht wollte ich schließlich auch nicht verlieren, und schon gar nicht am Herd. Wenigstens sollte das Essen gut sein, das war ich mir einfach schuldig, auch wenn ich mich ansonsten zum Affen machte.
Ich entschied mich für Ente. Ente gut, alles gut. Ja, das könnte gehen: Das Kochwunder vom Hermannplatz, das nur eines im Sinn hat, gehobene Küche der mittleren Preislage. Es wurde ein wundervoller Abend. Das Essen war tatsächlich einigermaßen gelungen, und in meiner Rolle als exaltiertes Kochgenie fühlte ich mich gar nicht so unwohl. Ich brauchte gewisse natürliche Eigenschaften nur zu übertreiben.
Also flatterte ich zwischen Küche und Tisch wie ein Huhn auf Speed, welches gerade ein Dutzend Eier auf einmal gelegt hatte. Sobald sich Teffi (das war unser Spitzname für Norbert) auf ein ernsteres Thema werfen wollte, schlug ich mit den Flügeln und gackerte über irgendwelchen Unsinn in Rezeptform. Hirn kannte ich also nur als Gericht. Gebacken, gesotten, gedörrt. Ich war ganz reizende Gastgeberin, und exzessiv konsumtrendig obendrein, und verstand immer nur Spiegelei. Es war eigentlich ganz einfach, hatte ich doch täglich genügend Anschauungsmaul in der Kantine aufgeschnappt. Zum Schluss war der Freund ernstlich sauer und der Nebenbuhler dauerhaft vertrieben.
Teffi grollte noch monatelang, so überzeugend war ich als Depp gewesen. Vor allem, weil ich wirklich einer war. Rudi nahm seufzend von seinen diesbezüglichen Ambitionen Abschied und widmete sich aufs Neue der Suche nach dem passenden Mann für sein späteres Leben. Noch immer hatte er nicht ganz kapiert, dass er diesen längst an seiner Seite hatte.