Читать книгу Die 31 beliebtesten Irrtümer der Bibelauslegung - Karl-Wilhelm Steenbuck - Страница 10

Оглавление

5. Warum Adam in den Apfel biss

Die Geschichte von Adam und Eva, dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies regt die Fantasie von uns Menschen an wie kaum eine andere. Verführung und Scham, Erkenntnis und Misstrauen, Gemeinschaft und Verstecktes … – sie berührt tiefste Lebensthemen, die uns bis heute beschäftigen. Entsprechend gehen die Auslegungen auseinander. Man kann drei Grundtypen unterscheiden, wie diese Geschichte verstanden worden ist. Hinter jedem steht zugleich ein bestimmtes Gottesbild.

Den ersten Grundtypus könnte man den volkstümlichen nennen. Er liest so: Gott erlaubt den Menschen im Paradies, die Frucht aller Bäume zu genießen. Er erlässt nur ein Verbot: Der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen in der Mitte des Paradieses sind tabu. Verführt durch die Schlange halten die Menschen sich nicht an das Verbot Gottes. Zur Strafe für ihren Ungehorsam werden sie aus dem Paradies vertrieben.

Gott wird vorgestellt als absoluter Herrscher und Patriarch, der keinen Widerspruch duldet und jeden Ungehorsam bestraft. Dabei gehen die Meinungen auseinander, was die Menschen zu diesem Ungehorsam verleitet hat. Die einen sehen den Grund in dem Verlangen des Menschen nach Lust, insbesondere der Lust nach Sex. Andere geben als Grund die Neugierde an. Da beginnen die kritischen Fragen: Ist Gott ein Neider? Gönnt er dem Menschen nicht die Lust? Ist Lust überhaupt etwas Böses? Ist Neugierde eine Untugend? Es ist doch gut, wenn der Mensch wissbegierig ist! Beruht nicht der Fortschritt auf der ständigen Erweiterung unseres Wissens? Außerdem geht es in unserer Geschichte um die Erkenntnis des Guten und des Bösen, und diese Unterscheidung ist doch die Voraussetzung für ein moralisch gutes Handeln!

Diese und ähnliche kritische Fragen haben zu einem zweiten Grundtypus der Auslegung geführt. Man könnte ihn den aufklärerischen Grundtypus nennen. Danach steht hinter der Einflüsterung der Schlange keine böse, sondern eine durchaus gute Absicht. Es ist gut für den Menschen, ja es ist sogar unbedingt notwendig, dass er ungehorsam wird und von der verbotenen Frucht isst. Denn Gehorsam ist Zeichen von Unmündigkeit und die Haltung des Knechtes. Der Mensch aber soll Unmündigkeit und Abhängigkeit überwinden und zur Selbstbestimmung gelangen. Wie heranwachsende Menschen sich immer mehr dem Gehorsam gegenüber den Eltern entziehen, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und ihren eigenen Weg zu gehen. Nach der aufklärerischen Auslegung ist die Schlange die innere Stimme des Menschen, die ihn zur Selbsterkenntnis, Freiheit, Emanzipation und Selbstwerdung ruft.

Nach dieser Sicht ist Gott derjenige, dem der Mensch seine Selbstbestimmung abtrotzen muss. Er muss sie sich mühsam gegen Gott erkämpfen. Die Philosophen Friedrich Nietzsche und Jean Paul Sartre haben aus dieser Auslegung radikale Schlüsse gezogen: Wenn Gott meiner Freiheit und Selbstwerdung entgegensteht, muss ich Gott abschaffen: „Gott ist tot!“ Der Philosoph Matthias C. Müller liest gar: „Gott verführt zum Ungehorsam.“ Gott erlässt das Verbot seiner Meinung nach nicht in der Absicht, dass Adam und Eva es respektieren sollen. Sie sollen im Gegenteil den Gehorsam verweigern. Erst indem sie den Gehorsam verweigern, erkennen sie sich selbst und gelingt ihnen die Menschwerdung. Gott benutzt also eine List, damit die Menschen sich selbst finden und zu sich selbst kommen?

Ohne Zweifel ist Gehorsam an sich keine Tugend. Der christliche Glaube ist nicht zu verwechseln mit Unterwürfigkeit unter eine fremde Autorität, auch nicht unter die fremde Autorität Gottes. Vielmehr besteht die Aufgabe des Menschen darin, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten. Die Frage ist nur, ob mit diesen Gedanken der Sinn unserer Geschichte wirklich erfasst ist. Denn wenn der Mensch durch den Ungehorsam gegenüber Gott zu einem selbstbestimmten und verantwortlichen Leben geführt worden wäre, müsste sich das im weiteren Verlauf der Geschichte zeigen. Davon kann aber nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Adam schiebt die Schuld auf Eva, Eva auf die Schlange. Niemand steht zu seiner Tat. Und als Adam und Eva entdecken, dass sie nackt sind, schämen sie sich. Selbstbewusste und selbstbestimmte Menschen handeln anders!

Relecture

Ein dritter Grundtypus von Auslegung ist unserer Geschichte angemessener. Man könnte ihn den evangelischen Typ nennen, denn er nimmt wahr, dass unsere Geschichte bei aller Tragik doch einen ermutigenden Grundton behält. Dabei ist das Thema des Textes eines, das jeden Menschen zutiefst betrifft: Die Lebensangst. Sie besteht in der Sorge, mein Leben könnte scheitern oder ich könnte den entscheidenden Sinn meines Lebens verpassen. Es geht um Angst und Vertrauen. Die Angst ist Teil des menschlichen Lebens. Sie ist nicht böse, sie ist keine Sünde. Sie ist begründet in der Kreatürlichkeit des Menschen, seiner Endlichkeit und Verletzbarkeit. Die entscheidende Frage lautet: Wie gehe ich um mit meiner Angst? Nehme ich sie an als Teil meines Lebens und versuche sie zu überwinden durch Vertrauen? Das ist die Möglichkeit, die Gott dem Menschen im Paradies anbietet. Doch Adam und Eva wählen einen anderen Weg. Sie versuchen, die Angst zu beschwichtigen, indem sie höher hinaus wollen, als sie sind. Sie erliegen der Einflüsterung der Schlange: „Ihr werdet sein wie Gott.“ Darum beißt Adam in den Apfel. (Diese volkstümliche Ausdrucksweise ist nicht ganz korrekt. Die Bibel spricht hier allgemein von einer Frucht eines Baumes.) Es tut jedoch dem Menschen nicht gut, wenn er Gott spielt und sich zum Herrn und obersten Richter über alle und alles macht. Vor allem: Seine kreatürliche Angst hat der Mensch damit nicht überwunden.

Weise handelt ein Mensch, der seine Angst nicht übertönt und mehr sein will als ein Mensch. Weise ist es, die Angst anzunehmen und sie im Vertrauen auf Gott zu überwinden. Die Menschen im Paradies hatten Grund genug darauf zu vertrauen, dass es Gott in allem, was er tut, gut mit ihnen meint. Er hatte ihnen erlaubt, die Fülle der Möglichkeiten zu nutzen, die das Paradies bot. Sie hätten vertrauen können: Wenn Gott an einer Stelle ein Verbot ausspricht, dann geschieht es, um uns vor Selbstzerstörung zu bewahren und nicht, um uns das Köstlichste vorzuenthalten. Wir Christen haben sichtbar vor Augen, dass Gott der Vater uns das Kostbarste nicht vorenthält. Wir schauen auf den Sohn: In ihm schenkt er uns sich selbst.

Hier hat nun auch der angesprochene Gehorsam seinen Sinn. Gehorsam meint nicht ein kritikloses, unterwürfiges Tun. Gehorsam im biblischen Sinn meint: hinhorchen auf die Stimme Gottes. Gott ist für uns kein Fremder, dem wir in kritischem Misstrauen begegnen müssten. Er ist uns innerlicher als wir uns selbst es sind. Er ist immer „Gott für uns“.

Die 31 beliebtesten Irrtümer der Bibelauslegung

Подняться наверх