Читать книгу Die 31 beliebtesten Irrtümer der Bibelauslegung - Karl-Wilhelm Steenbuck - Страница 8
Оглавление3. Die Frau aus der Rippe Adams
Die Frau aus der Rippe hat es in ihrer Auslegungsgeschichte bis an Stammtisch und in Witze gebracht. Dabei spielt die Erzählung im Schlaf: „Da ließ Gott, der Herr, einen Tiefschlaf auf Adam fallen, so dass er einschlief, nahm ihm eine seiner Rippen und verschloss deren Stelle mit Fleisch. Gott, der Herr, baute die Rippe, die er dem Menschen entnommen hatte, zu einer Frau aus und führte sie ihm zu.“ (1.Mose, 2,21f, EÜ)
Klar ist: Hier geht es nicht um eine naturwissenschaftliche Erklärung über die Entstehung des Menschen. Hier liegt eine Erzählung vor mit sagenhaften Motiven und Symbolen. Sie bringen Wahrheiten zum Ausdruck, die von der wissenschaftlichen Sprache nicht erreicht werden. So geht es in den Schöpfungsberichten der Bibel um Fragen wie: Wozu ist das Leben gut? Welchen Sinn hat es? Wie ist das Verhältnis zu bestimmen zwischen Gott und Mensch, zwischen den Menschen untereinander und vor allem auch zwischen Mann und Frau?
Wie stark eigene Vorstellungen in einen Text eingetragen werden, sieht man an dieser Stelle besonders gut: Über Jahrtausende wurde die Heilige Schrift fast ausschließlich von Männern ausgelegt. Und diese Stelle eignete sich dazu, die Vorherrschaft des Mannes zu begründen: Der Mann war zuerst da, die Frau ist nur ein Ableger des Mannes. Sie hat keinen Wert in sich. Dass der Mann die Frau an Würde übertrifft, wird kurz zuvor deutlich: Dem Mann bläst Gott seinen lebendigen Atem in die Nase. (1.Mose 2,7) Er gibt dem Mann eine Seele. Davon ist bei der Erschaffung der Frau nicht die Rede. Noch im Mittelalter stritt man sich darüber, ob auch die Frau eine unsterbliche Seele habe. Daraus ließ sich gut begründen, welche Tätigkeiten der Frau angemessen sind. Höhere Tätigkeiten wie die Philosophie oder die Staatskunst überfordern sie. Sie führt das Hauswesen.
Es ist klar, dass solch eine Auslegung den Gegenschlag provoziert. Vor allem die feministische Theologie legt – völlig verständlich – die Bibel in einer Weise aus, die die Würde der Frau besser zum Ausdruck bringt: Der Frau kommt eine höhere Bedeutung zu als dem Mann. Der Mann wurde geschaffen aus einem minderen Material, nämlich aus Schlamm. (1.Mose 2,7) Das Material, aus der die Frau geschaffen wurde, war immerhin schon ein Mensch. Die Frau wurde zuletzt erschaffen. Sie ist Gottes Meisterwerk. Bei der Erschaffung des Mannes hat Gott noch geübt. Darum muss der Frau im Leben auch die führende Rolle zustehen. Das war offensichtlich am Anfang auch so. Es gibt viele Hinweise, dass es in der Frühzeit der Menschheit das Matriarchat gab: Die Frauen waren bestimmend, und das war gut so. Dann aber kam der große Sündenfall. Die Männer übernahmen die Herrschaft, weil sie körperlich stärker waren. Seitdem haben wir den ganzen Kladderadatsch auf Erden.
Relecture
Diese beiden Auslegungen, so gegensätzlich sie sind, machen denselben Fehler: Sie betrachten die Bibelstelle isoliert. Wir müssen uns dem Fluss der Erzählung überlassen, um zu merken: Der Leitgedanke ist nicht die Frage nach der Herrschaft. Es geht vielmehr um die tiefste Frage, die uns Menschen bewegt: Worin findet mein Leben Erfüllung? Diese Frage wird geradezu dramatisch inszeniert: Adam ist von Gott erschaffen. Er ist da. Aber sein Dasein allein genügt ihm nicht. Das allein gibt seinem Leben noch keinen Sinn. Er spürt: Für ein erfülltes Leben fehlt noch etwas. Dabei hat er doch alles. Er lebt im Paradies! Er kann nach Herzenslust essen von allen Früchten der Bäume. Aber das lenkt ihn nicht ab von seiner Einsamkeit. Auch dass er von Gott eine Aufgabe erhält, bringt ihn nicht weiter: Er soll den Garten Eden bebauen und bewahren. Vielleicht können die Tiere ihm helfen? Er bekommt die Aufgabe, ihnen einen Namen zu geben. Aber das, was er in seinem tiefsten Herzen sucht, findet er auch bei den Tieren nicht. Da fällt er in einen Tiefschlaf. Als er daraus erwacht, sieht er die Frau und ruft entzückt aus: „Endlich! Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch! Das endlich ist das Gegenüber, das mir entspricht!“ Adam erkennt: Mein Dasein allein genügt noch nicht, auch nicht, dass ich schöpferisch tätig werde. Mein Leben findet die tiefste Erfüllung im Miteinander und Füreinander, im gegenseitigen Geben und Nehmen, im Austausch der Liebe.
Wir Menschen finden das Gegenüber, das uns entspricht, weder bei den Dingen der Welt noch bei den Tieren. Erst ein anderer Mensch, der sich uns in Freiheit zuwendet, kann zu einem solchen Gegenüber werden. Das gilt vor allem für zwei Menschen, die in lebenslanger Gemeinschaft verbunden sind.
Aber es gehört auch zu unserer menschlichen Erfahrung, dass wir selbst bei innigster Liebe mit dem oder der Geliebten nicht ganz eins werden können. Es bleibt immer auch Distanz. Wir bleiben uns stets ein Stück fremd. Ja, wenn ich versuche, in das Innerste eines anderen Menschen einzudringen, zerstöre ich unsere Beziehung. So taucht in uns Menschen die Frage auf, ob es ein Gegenüber gibt, dass uns innerlicher ist, als wir uns selbst es sind. Das ist die Frage nach Gott.