Читать книгу Die 31 beliebtesten Irrtümer der Bibelauslegung - Karl-Wilhelm Steenbuck - Страница 7
Оглавление2. Der Mensch als Gottes Ebenbild
Kaum ein Wort der Bibel hat das Nachdenken über das menschliche Selbstbild so angeregt wie die Aussage im ersten Schöpfungsbericht: „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn und schuf ihn als Mann und als Weib.“ (1.Mose 1,27) Kein anderes Wort bedeutet so viel für die Begründung der Menschenwürde und für die Erklärung der Menschenrechte. Vor allem die Philosophen und Theologen haben immer wieder darüber nachgedacht, wie die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott zu verstehen sei. Die einen vermuteten die Ebenbildlichkeit im aufrechten Gang, der den Menschen vom Tier unterscheidet. Andere sahen sie in der Vernunftnatur des Menschen oder seiner geistigen Kreativität. Wieder andere sahen im freien Willen die Besonderheit des Menschen oder in seiner Fähigkeit zum Dialog und dazu, Gefühle für ein Gegenüber zu entwickeln.
Relecture
Wir nähern uns diesem Wort auf andere Weise, indem wir die Ebenbildlichkeit des Menschen im Zusammenhang der Schöpfungsgeschichte zu verstehen suchen, in der sie erzählt wird.
Wir gehen aus von dem hebräischen Wort, das an dieser Stelle steht: tselem. Es meint kein Bild im Sinne einer Malerei, sondern eine Statue. Der Mensch als Statue Gottes repräsentiert den Schöpfer in seiner Schöpfung.
Damit übernimmt die Bibel eine Vorstellung, die in den umliegenden heidnischen Religionen gang und gäbe ist. Im biblischen Schöpfungsbericht erhält sie jedoch eine neue Bedeutung. Ein Beispiel: Zur Königsideologie im alten Ägypten gehörte die Vorstellung, dass der Pharao die Statue des Sonnengottes ist. Er repräsentiert dadurch die Gottheit auf Erden. Das bedeutet zweierlei: Zum einen ist der König kein Mensch wie die anderen. Er ist von dem Sonnengott als dessen Sohn gezeugt und damit selbst göttlicher Natur. Zum anderen steht der Herrscher weit über den anderen Menschen. Er erhält eine göttliche Machtfülle über seine Untertanen.
Im Schöpfungsbericht der Bibel erhält die Vorstellung vom Menschen als Statue Gottes eine völlig andere Bedeutung: Nicht nur der König ist Gottes Statue und Repräsentant in dieser Welt. Alle Menschen, Mann wie Frau, sind Gottes Ebenbilder. Damit wird jeder Herrschaft von Menschen über Menschen eine Absage erteilt. Weder soll der Mann über die Frau herrschen, noch kann der König mit seinen Untertanen machen, was er will. Vor Gott sind alle Menschen gleich. Das war damals eine geradezu revolutionäre Botschaft. Eine tiefere Begründung für die Würde und die Rechte jedes einzelnen Menschen gibt es nicht.
Wenn der Mensch, genauer: die Menschen, Gottes Statue auf Erden sind, wem gegenüber sollen sie den Schöpfer repräsentieren? Nicht anderen Menschen gegenüber, sondern der weiteren Schöpfung gegenüber, vor allen den Tieren: Die Menschen bekommen von Gott einen Herrschaftsauftrag für die nichtmenschliche Schöpfung. Was das bedeutet, wird in Kapitel I,4 näher ausgeführt. Hier sei nur auf zwei Dinge hingewiesen:
Zum einen darf man die Bedeutung des Herrschens in der Bibel nicht falsch verstehen. Wenn von Herrschaft die Rede ist, steht das Bild vom guten Hirten im Hintergrund, der die Herde fürsorglich weidet: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ (Ps 23) Der Mensch, Gottes Statue, so ist die Idee, tut es ihm gleich.
Zum anderen wird der biblischen Schöpfungserzählung manchmal vorgeworfen, sie erhöhe den Menschen über Gebühr und reiße ihn heraus aus dem Zusammenhang mit den anderen Kreaturen. Doch davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Nirgends wird der Zusammenhang von Mensch und Tier so eng gesehen wie in der Bibel. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass von dem Menschen als Statue Gottes dreimal gesagt wird, dass er von Gott „erschaffen“ sei. Der Mensch ist Geschöpf Gottes wie die Pflanzen und die Tiere. Er ist Mitgeschöpf. Der Apostel Paulus kann später sagen, dass die gesamte Schöpfung zusammen mit uns Menschen voller Sehnsucht auf die Vollendung wartet. Dann werden wir dem Bild Christi gleichgestaltet sein, der selbst das Ebenbild seines Vaters ist. (Röm 8,29)