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4. Macht euch die Erde untertan!

„Macht euch die Erde untertan!“ (1.Mose 1,28) hat zurzeit keinen hohen Kurswert. Man sieht in dem, was es angeblich aussagt, einen der Hauptschuldigen für die neuzeitliche Naturzerstörung. Manche schlagen sogar vor, diesen Satz aus der Bibel zu streichen. Es werde vergessen, dass der Mensch ein Teil der Natur ist, Geschöpf unter Geschöpfen. Stattdessen werde der Mensch zum Herrscher gemacht, der mit der Natur nach Belieben verfahren könne. Die Folgen seien heute allen sichtbar.

Das hörte sich zu Beginn der Neuzeit noch ganz anders an. Da galt dieses Wort als Inbegriff einer fortschrittlichen Haltung. Später, für den aufgeklärten Menschen galt das Motto: „Wissen ist Macht!“ Der Mensch müsse sich befreien aus den überholten Ordnungen des Mittelalters wie aus der Übermacht der Kräfte der Natur. Mehr noch: Er muss sich diese Kräfte zunutze machen. Die Theologen dieser Zeit nahmen dieses Ansinnen auf und sagten: „Was ihr da sagt, ist nicht neu. Das sagte die Bibel schon vor Jahrtausenden: Macht euch die Erde untertan!“ Wieder nimmt man ein Wort der Bibel, reißt es aus dem Zusammenhang und legt hinein, was man gern darin sehen möchte.

Relecture

Betrachten wir also dieses Wort zunächst in seinem näheren, dann in einem weiteren Zusammenhang. Was beinhaltet der Auftrag, sich die Erde untertan zu machen? Der darauffolgende Vers (Vers 29) sagt es: Gott sprach weiter: „Seht, ich gebe euch alles Grünkraut, das auf der ganzen Erde Samen trägt, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Dies diene euch als Nahrung.“ Dem Menschen wird also erlaubt, sich vegetarisch zu ernähren. Dass er Tiere töten darf, um deren Fleisch zu essen, wird nicht erwähnt. Kann man gegen dieses Wort die Anklage erheben, verantwortlich zu sein für die Umweltkatastrophen der Neuzeit? Sollte man es gar aus der Bibel streichen?

Nehmen wir die Aussage hinzu, die diesem Auftrag an den Menschen unmittelbar vorausgeht. Da wird gesagt, dass Gott den Menschen geschaffen habe „zu seinem Ebenbild“. Mehr dazu in Kapitel I,2. Wir begnügen uns hier damit aufzuzeigen, was daraus folgt für den Auftrag: „Macht euch die Erde untertan.“ Wenn wir Menschen Ebenbild (oder Statue) Gottes sind, bedeutet das, dass wir mit der Natur im Sinne des Schöpfers umgehen sollen. Im Buch der Weisheit wird Gott so angeredet: „Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du geschaffen hast. Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Liebhaber des Lebens.“ (Weish 11,24.26, EÜ) Entsprechend heißt es im zweiten Schöpfungsbericht, der Mensch solle den Garten Eden „bebauen und bewahren“.

Natürlich stellt sich die Frage, warum die Verfasser der Schöpfungsgeschichte „die Erde untertan machen“ schrieben, obwohl es so leicht missverstanden werden kann. Wäre es nicht besser gewesen, das zu vermeiden?

Aber es ist genau diese Darstellung, die Vielschichtiges zum Ausdruck bringt. Zum einen ist der Mensch Teil der Natur. Er wird in einer Reihe genannt mit den anderen Dingen und Lebewesen. In diesem Sinne steht Gott als Schöpfer beiden gegenüber, dem Menschen wie der Natur. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.

Nach biblischer Auffassung ist der Mensch, sosehr er in der Natur verwurzelt ist, ihr gegenüber auch frei und kann daher an ihr handeln. Das heißt vor allem: Der Mensch ist den Gewalten der Natur nicht hilflos ausgeliefert. Das wird anschaulich geschildert in einer anderen Erzählung aus den Schöpfungsgeschichten, der Geschichte von Noah und der großen Flut, die alles Leben zerstört. Aber die Rettung Noahs, seiner Familie und aller Tiere wird nicht einem Zufall der Natur überlassen. Gott weist Noah an: „Baue dir eine Arche aus Nadelholz mit Schilfrohr dazwischen und verdichte sie von innen und außen mit Pech!“ (1.Mose 6,14) Gott ist der Gebende und der Mensch der Empfangende. Aber der Mensch ist nicht bloßes Objekt des Handelns Gottes. Gott verleiht dem Menschen seine besondere Würde, indem er ihn zur Eigenständigkeit, Verantwortung und Mitarbeit anleitet: „Baue dir eine Arche!“ Der Mensch ist berufen, weder der Natur hilflos ausgeliefert zu sein noch sie rücksichtslos auszubeuten. Vielmehr können Mensch und Natur sich so begegnen, dass es nicht zu gegenseitiger Zerstörung kommen muss, sondern sie sich gegenseitig fördern und nützen.

Dieser Gedanke wird im Neuen Testament noch vertieft. Ein Beispiel ist die Geschichte von der Stillung des Sturms. So ist das Verhältnis von Mensch und Natur von Gott gemeint: Nicht als zerstörerisches Gegeneinander, sondern als friedvolles Miteinander und Füreinander.

Für den biblischen Glauben ist die Welt gute Schöpfung Gottes. Daher wird sie bei der Erlösung nicht ausgestoßen, sondern verwandelt in die Vollendung hinein genommen. Das betrifft vor allem den Bereich, in dem die menschliche Seele am innigsten mit der Außenwelt verbunden ist, im menschlichen Körper. Für die griechische Philosophie ist der Körper das „Gefängnis der Seele“, aus dem sie durch den Tod befreit wird. Nach christlicher Auffassung haben wir nicht nur einen Leib, vielmehr sind wir Leib. Unsere Leibgestalt ist Ausdruck unserer Seele. Durch den Leib kommunizieren wir mit der übrigen Außenwelt. Daher besteht für uns die Vollendung nicht in der Unsterblichkeit einer weltlosen Seele, sondern in der Teilnahme am Leben einer erneuerten Welt. Mensch und Schöpfung haben nur gemeinsam eine Zukunft. Der Apostel Paulus sagt es so: „Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.“ (Röm 8,21, EÜ)

Die 31 beliebtesten Irrtümer der Bibelauslegung

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