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DER PHILOSOPH IN DER GESELLSCHAFT
Оглавление„Zwischen dem Beifall des Theaters und dem des Hörsaals sollte es einen Unterschied geben …“
Auch Philosophen stehen unter Konkurrenzdruck, wenn wir es so formulieren dürfen. Der intellektuelle Markt ist ja nur begrenzt aufnahmefähig – und auf ihn drängt ein ganzer Strauß verschiedener Philosophen-Schulen. Sollte der Philosoph durch sein Äußeres Aufsehen erregen?
Illud te admoneo, ne eorum more, qui non proficere, sed conspici cupiunt, facias aliqua, quae in habitu tuo aut genere vitae notabilia sunt. (ep. 5, 1)
Davor warne ich dich, nach Art derer, die keine echten Fortschritte machen, sondern nur Beachtung finden wollen, etwas zu tun, was hinsichtlich deiner Kleidung oder deiner Lebensführung auffällig ist.
Haben Sie eine Negativliste zur Hand?
Asperum cultum et intonsum caput et neglegentiorem barbam et indictum argento odium et cubile humi positum et quicquid aliud ambitionem perversa via persequitur, evita. (ep. 5, 2)
Ungepflegte Kleidung, ungeschnittenes Haar, ein struppiger Bart, ein vor dir hergetragener Hass auf Silber, ein Nachtlager auf bloßer Erde und alles andere, das einer bestimmten Form ehrgeiziger Eitelkeit auf verkehrtem Wege folgt – das vermeide!
Eine klare Absage an den „Revoluzzer-Look“ der kynischen Konkurrenz. Diogenes und Co wollen ja durch ihr „abgerissenes“ Outfit provozieren – und Bedürfnislosigkeit demonstrieren. Was ist so schlimm daran?
Satis ipsum nomen philosophiae, etiamsi modeste tractatur, invidiosum est. Quid, si nos hominum consuetudini coeperimus excerpere? Intus omnia dissimilia sint, frons populo nostra conveniat. (ep. 5, 2)
Allein schon der Name „Philosophie“ eckt, auch wenn man sie ganz zurückhaltend betreibt, schon ordentlich an. Was wird da erst sein, wenn wir anfangen, uns der Normalität und dem Umgang mit den Menschen zu entziehen? Innen drin mag alles ganz anders sein, unser Äußeres aber passe sich dem Volk an.
Sie haben Sorge, die Leute zu verprellen, wenn sich Intellektuelle auch äußerlich von ihnen abgrenzen?
Id agamus, ut meliorem vitam sequamur quam vulgus, non ut contrariam; alioquin quos emendari volumus, fugamus a nobis et avertimus. (ep. 5, 3)
Unser Ziel soll es sein, ein sittlich besseres Leben zu führen als die Masse, aber kein radikal entgegengesetztes. Sonst verscheuchen wir die Menschen, die wir bessern wollen, und sorgen dafür, dass sie sich von uns abwenden.
Fürchten Sie den Vorwurf elitärer Arroganz?
Hoc primum philosophia promittit: sensum communem, humanitatem et congregationem. A qua professione dissimilitudo nos separabit. Videamus, ne ista, per quae admirationem parare volumus, ridicula et odiosa sint. (ep. 5, 4)
Das Erste, das die Philosophie verspricht, ist Gemeinsinn, ist Menschenfreundlichkeit, ist Zusammengehörigkeitsgefühl. Von diesem öffentlichen Versprechen wird Andersartigkeit uns trennen. Sehen wir zu, dass das, mit dem wir Bewunderung erregen wollen, nicht lächerlich und hassenswert ist.
Entspricht es der Natur, eine makellose Toga zu tragen, adrett auszusehen und dezent nach Salben zu duften?
Nempe propositum nostrum est secundum naturam vivere. Hoc contra naturam est: torquere corpus suum et faciles odisse munditias et squalorem appetere et cibis non tantum vilibus uti, sed taetris et horridis. (ep. 5, 4)
Natürlich ist es unser Vorsatz, gemäß der Natur zu leben. Dies alles ist gegen die Natur: seinen Körper zu schinden, Basis-Hygiene abzulehnen, Ungepflegtheit geradezu anzustreben und nicht nur billige, sondern widerwärtige und ekelhafte Nahrung zu sich zu nehmen.
Alles also ganz bürgerlich normal – und ein bisschen langweilig?
Non conturbabit sapiens publicos mores nec populum in se vitae novitate convertet. Philosophia ipsa tranquille modesteque tractanda est. (ep. 14, 14 und 11)
Der Weise wird die allgemeinen Sitten nicht in Frage stellen und das Volk nicht durch eine neuartige Lebensweise gegen sich aufbringen. Die Philosophie selbst muss in Ruhe und Zurückhaltung betrieben werden.
Trifft das auch auf den öffentlichen Auftritt zu? Oder gehört nicht auch kräftiges PR-Trommeln dazu, um im Jargon des „Marktes“ die philosophischen „Abnehmer“ zu erreichen?
Non te prohibuerim hos quoque audire, quibus admittere populum ac disserere consuetudo est, si modo hoc proposito in turbam prodeunt, ut meliores fiant faciantque meliores, si non ambitionis hoc causa exercent. (ep. 52, 9)
Ich will dich nicht davon abhalten, die anzuhören, die üblicherweise das Volk zulassen und vor großem Publikum Vorträge halten, sofern sie in der Absicht vor die Menge treten, selbst besser zu werden und die Menschen besser zu machen, und wenn sie dieses Gewerbe nicht aus purem Ehrgeiz ausüben.
So ganz glücklich sind Sie mit dieser Form philosophischer Öffentlichkeitsarbeit aber nicht?
Quid turpius philosophia captante clamores? (ep, 52, 9)
Was ist schändlicher als eine Philosophie, die Beifallsstürme erheischt?
Sie sehen im philosophischen Vortrag vor großem Auditorium eine peinliche Anbiederung?
Quanta dementia eius est, quem clamores imperitorum hilarem ex auditorio dimittunt! Quid laetaris, quod ab hominibus his laudatus es, quos non potes ipse laudare? Intersit aliquid inter clamorem theatri et scholae; est aliqua et laudandi elegantia. (ep. 52, 11f.)
Wie groß ist der Wahnsinn dessen, den der Beifall Unwissender fröhlich aus dem Hörsaal entlässt! Was freust du dich, dass du den Beifall von Menschen erhalten hast, die du selbst nicht loben kannst? Zwischen dem Beifall des Theaters und dem des Hörsaals soll es einen Unterschied geben – es gibt auch beim Beifall guten Geschmack.
Sie fürchten den Beifall von der falschen Seite?
Relinquantur istae voces illis artibus, quae propositum habent populo placere: philosophia adoretur. (ep. 52, 13)
Solche Töne soll man den Künsten überlassen, die die Absicht haben, dem Volk zu gefallen. Die Philosophie soll angebetet werden.
Wir verstehen, was Sie meinen. Aber hat nicht auch eine Philosophie, die sich als Lebenshilfe versteht, die Verpflichtung, sich nicht nur auf den akademischen Raum zu beschränken, sondern auch das breite Publikum anzusprechen?
Damnum quidem fecisse philosophiam non erit dubium, postquam prostituta est. Sed potest in penetralibus ostendi, si modo non institorem, sed antistitem nancta est. (ep. 52, 15)
Dass die Philosophie zwar Schaden genommen hat, nachdem sie in die Öffentlichkeit gegangen ist, daran wird kein Zweifel bestehen. Aber sie kann sich in ihren heiligen Räumen darstellen, wenn sie nur nicht einen Marktschreier, sondern einen Priester gefunden hat.