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Keine Verkehrspolizisten, keine Schilder, keine Strafzettel – Entschleunigung und das „Recht“ des Stärkeren

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Diese „Liberalität“ lässt sich auf einen Großteil des gesamten Verkehrsgeschehens übertragen. Ob und wie das Tagesfahrverbot für Wagen eingehalten wurde, wissen wir nicht. Da es keine einschlägigen Klagen gibt, ist wohl eher davon auszugehen, dass sich der private Wagenverkehr tatsächlich auf die Abend- und Nachtstunden verlagert hat. Der Vorteil war das allmähliche Abebben des Fußgängerverkehrs, das ein zügigeres Durchkommen ermöglichte, der Nachteil die relativ schnell einsetzende Dämmerung, wegen der unterschiedlichen Länge der römischen Stunden im Sommer nach maximal 150 Minuten, im Winter im Extremfall schon nach 90 Minuten. Man kann sich vorstellen, wie ungeduldig die Fuhrleute am Stadtrand darauf warteten, endlich in die City einfahren zu dürfen, aber auch, wie verführerisch es war, ein früheres Losfahren auszuprobieren – dies umso mehr, als an der nächsten Ecke sicherlich kein Verkehrspolizist mit dem gezückten Bußgeldblock stand …

Das wenig regulierte Kräftespiel im stadtrömischen Verkehr setzte sich im Fehlen von Verkehrszeichen fort. Unvorstellbar aus moderner Sicht, dass es keinerlei Schilder gab, die Vorfahrt und Vorrang regelten, Überhol- und Parkverbote kennzeichneten, Be- und Entladeflächen auswiesen oder die Durchfahrt untersagten. Eine Einladung zu „Wildwest“ auf römischen Straßen? Nicht ganz. Denn gegenüber heutigem Verkehr war die Geschwindigkeit aller Verkehrsteilnehmer natürlich erheblich gedrosselt. Und die Dichte des Verkehrs sorgte dafür, dass auch potentiell schnellere Verkehrsteilnehmer wie Pferdefuhrwerke ihre zusätzlichen PS kaum ausspielen konnten, zumal angesichts der vielen Menschen vermutlich nicht alle Fußgänger sich an die Bürgersteige hielten (wo sie überhaupt vorhanden waren) und stattdessen auf der Fahrbahn liefen und den fahrenden Verkehr ausbremsten.

Manche modernen Verkehrsplaner fänden vermutlich Gefallen an der strukturellen Entschleunigung des stadtrömischen Verkehrs in der Antike. In der Tat dürften Verkehrsunfälle durch überhöhte Geschwindigkeit recht selten vorgekommen sein.57 In puncto Hektik herrschten freilich keine beneidenswerten oder gar vorbildhaften Zustände auf Roms Straßen.

Zumal an Engstellen, in Kurven und Sackgassen musste man sich miteinander verständigen. Da es auch dort keine klaren Regeln gab, gehörten Schimpfwörter, Flüche und Beleidigungen zum nicht ganz so guten Umgangston – was den Straßenkrach nicht gerade dämpfte.58 Gewiss, es gab in der römischen Standesgesellschaft ungeschriebene Gesetze, die dem sozial Höherstehenden und erst recht einem hohen Beamten Vorrang einräumen mochten.59 Allerdings verließen sich diese „Privilegierten“ lieber auf die Ellbogen ihrer Sklaven bzw. im Fall der Magistrate auf die Rutenbündel ihrer Lictoren als auf freiwillig erbrachte Ehrerbietung.60 Rücksichtslosigkeit und Egoismus waren jedenfalls keine selten angewandten Methoden zur „Regelung“ des römischen Verkehrs.61 Ob man sich stets auf die Pietät seiner Mitbürger verlassen konnte, ist fraglich. Heutzutage werden Leichenzüge im Allgemeinen respektiert, indem der gesamte Verkehr innehält, auch wenn keine Polizeieskorte dafür sorgt. In Rom scheint das nicht zwangsläufig der Fall gewesen zu sein, wenn man das horazische luctari, „ringen“, „im Clinch liegen“ zwischen Leichenzug und schweren Lastfuhrwerken eng im Sinne einer Vorfahrtgewährung interpretiert.62 Der Normalbürger tat gut daran, findet zumindest Seneca, sich mit den „ungerechten“ Verhältnissen abzufinden und es fatalistisch hinzunehmen, dass jeder, „der durch belebte Gegenden eilt, gegen viele Leute stoßen muss und notwendigerweise bald ausgleitet, hier aufgehalten und dort mit Schmutz bespritzt wird“.63 Drastischer bringt es ein moderner Forscher auf den Punkt, auf welches „Prinzip“ man sich im stadtrömischen Verkehr mit seinem weitgehenden Regelvakuum habe einstellen müssen: survival of the fittest.64

Die Straßen von Rom

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