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Weltstadt ohne Boulevards und Avenuen – Roms historisch gewachsenes, überlastetes Straßennetz

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Die fehlende Bodenfläche ließ sich, als im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. hunderttausende Neubürger in die Hauptstadt drängten, die mehr und auskömmlichere Jobs versprach als das Land, nur durch Bauen in die Höhe kompensieren. Die insulae, Wohnblöcke, in denen das Gros der Bevölkerung in kleinen Wohnungen lebte, hatten mehrere Stockwerke und waren bis zu 20 m hoch. Bausünden wie die Verwendung billiger Materialien und des im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlichen Fachwerks67 führten zu der erwähnten Vielzahl von Hauseinstürzen und Bränden. Und da es keine Versicherung für Wohnhäuser gab und das eingesetzte Kapital durch Brand oder Einsturz von heute auf morgen verloren sein konnte, neigten Investoren zur Billigbauweise – ein Teufelskreis, für den die Armen die Zeche zahlten.68


Von den vielen Wohnblöcken (insulae) Roms haben sich nur Überreste eines mehrstöckigen Hauses am Fuße des Capitols erhalten. Rekonstruktion mit tabernae im Zwischengeschoss; Aquarell von Peter Connolly

Eine Entlastung des Stadtzentrums durch „Auslagerung“ von Einwohnern in Vororte oder Trabantenstädte war unter den Mobilitätsbedingungen der Antike nicht möglich. Die allermeisten Menschen waren Fußgänger. Da sich Politik und Rechtsprechung, Handel und Arbeitsplätze einschließlich des Bausektors, der Vergnügungsstätten und der Verwaltung wie z. B. die für 150 000 Bezieher wichtige Ausgabe kostenlosen Getreides in der City konzentrierten, musste der Weg dorthin per pedes zu schaffen sein. Massentransportsysteme wie S- und U-Bahnen, die heutzutage Menschen schnell vom Stadtrand in das Herz einer Metropole und zurück befördern können, gab es nicht, und auch keine Fahrräder für eine rasche individuelle Bewältigung mittlerer Entfernungen. Die Folge war eine Zusammenballung der Einwohner auf einem sehr überschaubaren Areal – und eine äußerst intensive Nutzung der Lebensadern dieser Stadt, ihrer Straßen.

Deren Ausbau hatte mit dem in der späten Republik explosionsartigen Anstieg der Bevölkerung überhaupt nicht Schritt gehalten. Dabei lag der „Sündenfall“ schon ein paar Jahrhunderte zurück. Nach dem Gallier-Einfall des Jahres 387 v. Chr. mit der weitgehenden Zerstörung der Stadt erfolgte der Wiederaufbau überhastet und unkoordiniert. „Die Eile verhinderte, dass die Häuserzeilen ordentlich ausgerichtet wurden“, beklagt der Historiker Livius in augusteischer Zeit, „und der Grundriss der Stadt sieht mehr nach einer Besitzergreifung aus als nach einer planmäßigen Aufteilung.“69 Rom war damals eine Kleinstadt, und niemand hätte es für möglich gehalten – außer später in einer teleologischen Geschichtskonstruktion ex post –, dass daraus jemals eine die Welt beherrschende Kapitale werden würde. Also verzichtete man auf den Bau weiter „Avenuen“, breiter Verkehrsachsen und repräsentativer „Boulevards“ und begnügte sich mit pragmatischen Lösungen für den Augenblick, die zudem auf die schwierige Topographie der Tiberstadt Rücksicht nahmen.

Schwierigkeiten bereiteten vor allem die Hügel – von denen es mehr gab als die legendären sieben – und die Tiberwindungen mit den plana, den tiefer gelegenen potentiellen Überschwemmungsgebieten. Über diese topographischen Probleme könnten sich die Bewohner von in der Ebene gelegenen Städten – arrogant, aber in der Sache nachvollziehbar – nur lustig machen, findet Cicero: „Rom ist auf Hügeln und in engen Tälern erbaut, die Stockwerke streben und drängen dort in die Höhe, die Straßen sind nicht gut, die Gassen äußerst schmal. Sie werden unsere Stadt verhöhnen und verachten, wenn sie auf ihr Capua blicken, das sich auf einer gänzlich ebenen Fläche ausbreitet und herrlich gelegen ist.“70

Bei dieser Art von Stadtplanung, die den Namen nicht verdient, blieb es in den folgenden Jahrhunderten. Es wurden Wohnhäuser und öffentliche Gebäude, Theater und Foren gebaut, aber das Straßennetz blieb weitgehend unverändert. Die „Chance“ der großen „Neronischen“ Brandkatastrophe wurde immerhin teilweise genutzt, insofern man manche Straßen aus Feuerschutzgründen breiter anlegte. Auch andere effiziente Brandschutzmaßnahmen wurden als Lehre aus der gewaltigen Feuersbrunst ergriffen. Tacitus hebt diese überlegte Neuorganisation lobend von der urbanistischen Planlosigkeit nach dem Galliersturm ab, erwähnt aber auch die Klagen vieler Anwohner: „Nunmehr brüte in den offenen, durch keinen Schatten geschützten Straßenschluchten die sommerliche Hitze umso drückender.“71

Die Auswirkungen des Wiederaufbaus nach dem Brand des Jahres 64 auf den Verkehr waren indes, will man unseren Quellen Glauben schenken, nicht nennenswert. Sie verzeichnen keinerlei Entspannung und keine Besserung der traditionell chaotischen Situation – und das lässt sich schwerlich als reiner realitätsblinder Topos traditioneller Großstadtkritik abtun. Diese literarische „Mode“ gab es zweifellos, aber ohne Bezugspunkte in der Alltagswirklichkeit hätte sie sich wohl schnell totgelaufen.72

Die Straßen von Rom

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