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„Nüchtern“ und „Kumpel“, „claim“ und „Test“ – Wo Deutsch und Englisch draufsteht, ist oft Latein drin

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Wer Latein lernt, lernt nicht nur Latein – dieser Slogan gilt nicht nur für die romanischen Töchter der „Königin der Sprachen“; er gilt auch für das Deutsche, für dessen Fremd- und Lehnwörter, für vom Lateinischen stark beherrschte Fachsprachen wie das Juristen-, das Mediziner- und das „Bio-Latein“ (S. 293ff.). Die Tatsache, dass man in all diesen Bereichen mit Lateinkenntnissen besser fährt, ist ebenso wenig bestreitbar, wie es unsinnig wäre, diesen Aspekt als vorrangigen Legitimationsfaktor für das Schulfach Latein überzubetonen. Latein mag Teil einer breiten und vor allem vertieften sprachlich-historischen Allgemeinbildung sein, doch es ist nicht die unabdingbare Voraussetzung dafür. Aber es ist schon so: Latein bietet neben der Fähigkeit, viele lateinstämmige Begriffe im Deutschen und in anderen Sprachen Europas – sogar den slawischen – zu durchdringen und sie auf ihren ursprünglichen Kern zurückzuführen, spannende Einblicke in die Welt der Lehnwörter, die als besonders gut integrierte „Sprachmigranten“ ihre lateinische Herkunft zu vernebeln bemüht sind. Oder hätten Sie gedacht, dass so scheinbar urdeutsche Wörter wie „nüchtern“ und „nett“ aus dem Lateinischen stammen und selbst der „Popo“ eine lateinische Vergangenheit hat? Im Kapitel über den lateinischen „Kumpel“ (S. 125ff.) erfahren Sie Näheres.

Latein und Englisch als Sprachkonkurrenten? In Sachen internationale Wissenschaftssprache ist das so, da hat Englisch das Lateinische abgelöst, das allerdings manche vor Jahrhunderten abgesteckte sprachliche claims zäh verteidigt. Wie schon der Begriff claim zeigt, ist das Englische eine lexikalisch sehr treue Stieftochter des Lateinischen. Rund die Hälfte aller englischen Wörter ist, rechnet man alle Fachsprachen ein, lateinstämmig. claim beispielsweise leitet sich von clamare, „rufen“, ab. Weshalb der Lateiner auch ganz relaxed mit dem manchmal durchaus etwas peinlich (poena, „Strafe“!) wirkenden Denglisch-Neusprech umgehen kann: Ist doch eh zum großen Teil recyceltes Latein (S. 315ff.)! Das „Original“ von relaxed ist übrigens relaxatus, „entspannt“. Die vielen lexikalischen Entsprechungen zwischen Englisch und Latein werden im Lateinunterricht selbstverständlich auch zum (wechselseitigen) Vokabellernen genutzt; die Lehrbücher bieten entsprechendes Übungsmaterial an, und es gibt an einzelnen Schulen interessante didaktische Modelle einer Kooperation zwischen Englisch- und Lateinunterricht. „Synergieeffekte“ haben sich im Sinne praktizierter Lern- und Verstehenshilfe, nicht nur als wohltönender Slogan, bis zum Lateinunterricht herumgesprochen.

In vielen Bereichen des Deutschen stoßen wir auch außerhalb des Fremd- und Lehnwortsektors auf zahllose Relikte oder auch wiederbelebte Elemente des Lateinischen: in der Werbe- und in der Jugendsprache (S. 296ff., S. 324ff.) sowie im „Alltagslatein“, für das wir Ihnen auf S. 327ff. einen Test anbieten. „Test“ klingt eher englisch. Ist aber im Grunde Latein; testa war für die Römer der „Topf“ und die „Scherbe“. Die Alchimisten des Mittelalters bezeichneten damit die Versuchsschale, in der sie sich abmühten, Gold künstlich herzustellen. Das misslang bekanntlich, Ihnen aber wünschen wir beim Alltagslatein-Test mehr Erfolg.

Sie sehen: Wer Latein lernt, lernt doppelt. Er lernt das Lateinische selbst und er lernt gleichzeitig manches am Lateinischen, das er sich sonst mehr oder minder mühevoll beibringen müsste. Gewiss könnte er das ohne Latein – Fremdwörter beherrschen auch viele des Lateinischen Unkundige, wenngleich ohne tiefere Einsicht in die eigentliche Bedeutung dieser Wörter. „Kom-pati-bel“ ist z.B. etwas, das fähig ist (-bel aus -bilis), sich „mit“ (con) etwas anderem zu „vertragen“ (pati). Lateinkenntnisse liefern, wie das Beispiel zeigt, den Schlüssel zum eigentlichen Kern vieler Fremdwörter gleich mit; auch in dieser Hinsicht darf man Latein, ohne den Mund zu voll zu nehmen, als generellen Passepartout für Sprache und Sprachen bezeichnen. All das ist, um es in der Sprache der Ökonomie zu sagen, ein windfall profit – nicht das eigentliche Ziel von Lateinlernen, aber ein zusätzlicher Gewinn. Wobei uns das englische profit sogar lieber ist als der deutsche „Gewinn“, leitet es sich doch von lateinisch profectus, „Fortschritt“, „Erfolg“, „Vorteil“, ab.

Latein - da geht noch was!

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