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Nutzen als Werbeargument für Latein – Eine „Begründungsfalle“?
ОглавлениеDarf man mit diesen utilitaristischen Argumenten überhaupt für Latein werben? Sie werden staunen: Es gibt tatsächlich eine kleine Gruppe von Hardcore-Lateinern, die sich daran stören. Das sei „Apologetik“, behaupten sie. Man solle doch lieber die Schönheit, Klarheit und Eleganz des Lateinischen in den Vordergrund stellen und allenfalls noch mit ihrer Literatur argumentieren. Freilich: Mit dem Argument allein stünde man bei Präsentationen des Fachs Latein vor Schülern und Eltern auf verlorenem Posten – und anschließend ziemlich allein im Klassenzimmer da. Die Leute wollen wissen, warum sie eine „Sprache von vorgestern“ lernen sollen, was man damit „anfangen“ kann. Recht so. Sie fragen nach dem Nutzen, ohne dabei unbedingt einen unmittelbar verwertbaren im Auge zu haben. Nichts anderes bedient übrigens eine utilitaristische Argumentation. In „utilitaristisch“ stecken uti, „gebrauchen“, und utilis, „nützlich“, „brauchbar“ – womit sich schon mal ein ganz konkreter Nutzen von Lateinkenntnissen zeigt.
Der „Zeit“-Journalist Ulrich Greiner hat auf dem Kongress des Deutschen Altphilologen-Verbandes im Jahre 2000 sogar eine „Begründungsfalle“ ausgemacht. Wer sich auf die Anfragen der Effizienz-Apostel und neoliberalen Bildungspolitiker einlasse, denen es nur um die sofortige Verwertbarkeit schulischer Lernstoffe gehe, der habe schon verloren, meint Greiner. Dann schnappe die Falle zu. Greiner hat dafür eine Menge Beifall von Lateinern erhalten. Das mag verständlich sein, weil sie es leid sind, sich im Unterschied zu anderen Fachvertretern ständig rechtfertigen zu müssen. Trotzdem hat mir diese These von der Begründungsfalle nie eingeleuchtet, und das scheinbar ansprechende Bild auch nicht.
Erstens: Ich muss mich, wenn ich Latein in meiner Freizeit lernen und betreiben will, dafür vor niemandem rechtfertigen. Möchte ich es aber weiterhin als Fach in öffentlichen, vom Steuerzahler finanzierten Schulen etabliert wissen, dann muss ich einer fragenden, oft auch kritisch fragenden Öffentlichkeit Antworten darauf geben, worin ich den Bildungswert und den Nutzen dieses Faches sehe. In einer demokratischen Schullandschaft ist das doch wohl selbstverständlich. Und ebenso in einem pädagogischen Umfeld, das auf Transparenz, Offenheit und Argumentationskraft setzt.
Zweitens: Wieso ist das eigentlich eine Falle? Wenn ich gute Argumente habe – bessere als für manche Materie, die sich nicht rechtfertigen muss, sondern von der Gesellschaft als selbstverständlich akzeptiert wird, ohne das bei näherem Hinschauen zu sein –, dann schnappt die Falle doch überhaupt nicht zu. Dann eröffnet mir doch gerade das kritische Fragen der Öffentlichkeit, meine Karten auf den Tisch zu legen und meine Trümpfe auszuspielen. Dann zeige ich gerade den Skeptikern, was mein Fach alles leisten kann.
Drittens: Man mag das als Zugeständnis an die „Direktverwertungs“-Ideologen sehen. Aber sie sind doch nicht die einzigen, die fragen und Antworten einfordern. Da gibt es durchaus auch bildungsbürgerlich eingestellte Latein-Skeptiker, denen es nicht nur um einen Instant-Nutzen geht, sondern die auch darüber nachdenken, ob da nicht überholter Bildungsballast mitgeschleppt wird. Im Übrigen darf man vielleicht noch einmal in Erinnerung rufen, dass man Latein auch lernt, wenn man es für etwas und nicht nur um seiner selbst willen lernt.
Viertens: Wer, des vielen Legitimierens müde – obwohl: Man blicke auf die beeindruckende Zahl der gegenwärtigen Lateinlerner: Die Legitimationsmühe war und ist doch nicht vergebens! –, meint vertreten zu sollen, der eigentliche Bildungswert des Lateinischen liege gerade in seiner Nichtverwertbarkeit im utilitaristischen Sinne, der wirkt schon reichlich elitär, auch wenn er gar nicht so denkt. Und er wird sich sicher hier und da auch fragen lassen müssen, ob das nicht ein ziemlich arroganter Standpunkt sei.