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Wie Lateinunterricht mancherorts zur humorfreien Zone wurde
ОглавлениеWie aber erklärt sich die einseitige, römischen Humor ausblendende Rezeption? Zum einen natürlich schon mit der primären Wahrnehmung der Römer als Eroberer und Besetzer fremder Territorien, als Herren der Welt, die sich oft genug auch als Herren aufführten. Da gab es genügend Gründe für die unterworfenen Völker, das nicht lustig zu finden – einschließlich der Tribute, die schwer auf den Bewohnern der Provinzen lasteten. Auch in der späteren Wahrnehmung galt das Interesse an Rom vielfach den „Taktikern der Macht“ – so ein vor einigen Jahrzehnten populärer Sachbuchtitel –, den erfolgreichen Organisatoren von Raum und Zeit und nicht zuletzt den gewaltigen militärischen Leistungen nicht nur der Generäle, sondern auch der einfachen Legionäre. Wer einmal das normale Marschgepäck eines römischen Soldaten selbst geschultert hat, ahnt, welche Kraft, welcher Leistungswille und welche Ausdauer diese eher klein gewachsenen Männer ausgezeichnet haben müssen.
In der Neuzeit haben viele Denker und Forscher versucht, das „Geheimnis“ der Größe Roms, sozusagen seine Erfolgsformel zu finden. So unterschiedlich die Antworten waren – Humor war nicht dabei. Schulmeister taten es ihnen nach und mühten sich samt ihren Schülern ab, die Ursachen für die (relative) Stabilität der römischen Herrschaft zu ergründen. Sie lasen dazu historische und philosophische Werke, die „Kriegstagebücher“ Caesars und Vergils römisches Nationalepos, die Aeneis, die Reden Ciceros und den großen christlichen Gegenentwurf zu Ciceros „Staat“, den „Gottesstaat“ Augustins. Bei Plautus und Terenz suchte niemand, auch nicht in Ovids „Liebeskunst“ oder in den Fabeln des Phaedrus.
Zu Recht natürlich, wenn es um das skizzierte Erkenntnisinteresse ging. Aber auch ganz allgemein fühlte man sich der anspruchsvollen Muse, den „hohen“ Genera der Literatur eher verpflichtet und jener gravitas, „Würde“, die diese Werke verströmen und die zugleich ein zentraler Wertbegriff in der aristokratischen Ethik Roms war. Wer auf sich hielt, legte in der römischen Öffentlichkeit Wert auf die Selbstdarstellung als gravis, „würdevoll-gewichtige“ Persönlichkeit.
Für Angehörige der römischen Oberschicht war es indes kein Problem, diese gravitas im Freizeitbereich auch einmal abzulegen, sich beim „Feiern“ – bei Gastmählern und Trinkabenden – locker zu machen oder auch sich gehen zu lassen. Für manchen Lateinlehrer und sein Unterrichtsverständnis war es das hingegen schon. Diese Einstellung bestimmte die Auswahl der im Unterricht behandelten Klassiker und vielfach auch die Atmosphäre im Klassenraum. Die leichte literarische Muse kam unter diesen Umständen zu kurz, und besonders viel zu lachen gab’s im Lateinunterricht eben auch nicht. Kein Wunder, dass solche Einseitigkeiten das Bild des Lateinunterrichts und seiner Gegenstände im Laufe der Zeit nachhaltig prägten. „Lachen verboten!“, dachten viele (Ex-)Schüler – und taten den Römern damit ebenso Unrecht. Wie sicher auch manchen Lateinlehrern, die genauso wenig wie die Römer zum Lachen in den Keller gingen.
„Schrecklich, wie pauschal da über den Lateinunterricht früherer Zeiten geschrieben wird!“, höre ich manche Kollegen aufstöhnen. Deshalb drei Klarstellungen: Erstens hat es natürlich auch Ausnahmen gegeben einschließlich vergnüglicher Lateinstunden, in denen gelacht und Spaß gemacht wurde und die auch deshalb Spaß machten. Zweitens geht es nicht um Verurteilung, sondern um Erklärung. Wir möchten zumindest eine nachvollziehbare Antwort darauf geben, warum sich der Lateinunterricht für so viele als humorfreie Zone darstellt – wobei er das in dieser ausschließlichen Form nie gewesen ist. Was aber, drittens, viel wichtiger ist: Dieses Image ist total überholt. Heutzutage darf im Lateinunterricht nicht nur gelacht werden, sondern es soll sogar gelacht werden. Und was noch bedeutsamer ist: Es wird gelacht!