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Ein Jagdgrund, der durch Fülle besticht

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Das erste Buch der ars amatoria zeigt dem Liebesschüler aditus, „Zugänge“, auf: Gelegenheiten, bei denen er auf flirt- oder bindungswillige Damen trifft. Überall in Rom wirst du Mädchen finden, macht Ovid dem Leser Mut, Theater sind ein besonders aussichtsreicher Ort zum „Anbandeln“:

1 Sed tu praecipue curvis venare theatris:
2 Haec loca sunt voto fertiliora tuo.
3 Illic invenies, quod ames, quod ludere possis,
4 quodque semel tangas, quodque tenere velis.
5 Ut redit itque frequens longum formica per agmen,
6 granifero solitum cum vehit ore cibum,
7 aut ut apes saltusque suos et olentia nactae
8 pascua per flores et thyma summa volant,
9 sic ruit ad celebres cultissima femina ludos.
10 Copia iudicium saepe morata meum est.
11 Spectatum veniunt, veniunt, spectentur ut ipsae.
12 Ille locus casti damna pudoris habet.
(Ov. ars amatoria I 89ff.)
1 Du aber gehe besonders im Rund der Theater auf die Jagd!
2 Diese Stätten sind ertragreicher, als du es dir erhoffst.
3 Dort wirst du etwas zum Lieben finden oder etwas zum Spielen,
4 etwas, das du nur einmal berührst, und etwas, das du festhalten willst.
5 Wie die Ameisen durcheinander wimmeln in langem Zug,
6 wenn sie im Körner tragenden Mund ihr übliches Futter befördern,
7 oder wie die Bienen, wenn sie ihre Wälder und duftenden Weiden
8 gefunden haben, um die Blüten und hoch über dem Thymian fliegen,
9 so eilt die kräftig aufgeputzte Frau zu den viel besuchten Spielen.
10 Die Fülle hat mein Urteil schon oft verzögert.
11 Sie kommen, um zu sehen, sie kommen, um selbst gesehen zu werden.
12 Dieser Ort tut züchtigem Anstand Abbruch.

Die Jagd-Metapher mag heute politisch nicht korrekt wirken: Mädchen sind ja keine Beute. Aber ist das wirklich die Elle, die man an die Bildersprache der Poesie anlegen sollte? Ein Anlass, darüber nachzudenken, ist es allemal.

Mit Vers 2 stellt der Liebeslehrer seinen Schülern das Theater als Erfolg versprechenden Jagdgrund in Aussicht. Mehr noch: Das Problem verschiebt sich vom Auffinden zum Aussuchen: Der Komparativ fertiliora, „ertragreicher“, gibt das Thema der Passage an. Es heißt „Fülle“. Das Motiv der Fülle wird in den nächsten Versen auf unterschiedliche Weise variiert: Ein Wortfeld, oder, etwas komplizierter ausgedrückt, eine semantische Rekurrenz, die zum einen die Oberfläche des Textes betrifft, zum anderen aber durch Elemente bereichert wird, die etwas verborgener sind und erst bei genauem Hinsehen ans Licht kommen.

Die Oberfläche: Das sind die Aussagen der Verse 3 und 4, die zwei mögliche „Zugriffsweisen“ mit je zwei Verben beschreiben – einerseits das kurzfristige Abenteuer, das sich im ludere, „Spielen“, und tangere, „Berühren“, erschöpft, und andererseits die langfristige Bindung, für die amare („lieben“) und tenere („festhalten“) steht. Vier Verben: Sie stehen für Aktivität und Dynamik, in Verbindung mit einem eindeutigen Futur invenies, „du wirst finden“, aber auch für den Erfolg der Suche.

Es folgen zwei Vergleiche, die jeder Leser mit „Fülle“ assoziiert: Wo eine Ameise ist, wo eine Biene ist, da sind auch schnell andere zu entdecken. Ameisen und Bienen kommen stets im „Multipack“ vor. Begriffe für „Fülle“ verstärken diesen Eindruck: frequens formica, „die häufige Ameise“, ein kollektiver Singular, und longum agmen, „ein langer Zug“. Bei den Bienen sind es die ausgedehnten Weideflächen, die uns einen ganzen Schwarm sehen lassen. So verhält es sich auch mit den Frauen bei den Theateraufführungen: celebres ludi sind „viel besuchte Spiele“ mit großem Publikumsandrang. Das alles wird im zehnten Vers mit copia in betonter Anfangsstellung noch einmal zusammengefasst und explizit zum Ausdruck gebracht: „Fülle“.

Latein - da geht noch was!

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