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Ratgeber auf höchstem literarischem Niveau

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In ähnlicher Weise kann man auch Ovids Haltung gegenüber Frauen beurteilen. Zwar vertritt auch er gewissermaßen den Primat des Mannes und befindet sich damit in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der allgemeinen römischen Mentalität. Aber vieles wirkt bei ihm partnerschaftlicher und respektvoller gegenüber den Frauen. Ovid kennt sich, das zeigen auch die „Heroinenbriefe“, in der Psyche und Gefühlswelt von Frauen aus. Oder, vielleicht besser formuliert: Er bemüht sich um Empathie, er versteht es, die Dinge auch aus ihrer Sicht, von ihren Gefühlen her zu sehen. Ein aufgeklärter Kopf, könnte man sagen, dem römische Macho-Einstellung nicht fremd ist, der dieses traditionell männliche Überlegenheitsgefühl gegenüber dem leve genus, „leichten Geschlecht“, aber doch zurückdrängt und der zumindest streckenweise für eine Symmetrie in der Mann-Frau-Beziehung eintritt – gerade auch in erotischen Dingen.

Diese wenigen Sätze mögen ausreichen, um zu skizzieren, warum Ovids ars amatoria ein modern zu nennendes Werk ist: Hier verabschiedet sich ein Dichter von einer repressiven Sexualmoral, deren Nutznießer die Männer waren. Doch ist dies kein Abschied in Form einer vehementen Streitschrift, eines aggressiven Pamphlets oder einer eifernden Abrechnung, sondern in Gestalt eines literarisch liebenswürdigen, in jeder Hinsicht kultivierten Lehrgedichts. Da tritt ein praeceptor amoris, „Liebeslehrer“, auf, der alle literarischen Register zieht, der die nüchterne, uninspirierte Ratgeber-Literatur unserer Zeit mit einem sprachlichen Kunstwerk in den Schatten stellt. Man lernt etwas, aber dieses Lernen verbindet sich zugleich mit ästhetischem Genuss. Da schreibt einer, der Ahnung von den Dingen hat, dem aber Witz und Selbstironie, Leichtigkeit und literarisches Können die Feder führen. Inhalt und Form werden auf großartige Weise zur Deckung gebracht – so wie es der Anspruch jeder großen antiken Dichtung war, die auch deshalb den Ritterschlag des Klassisch-Vorbildlichen erhalten hat.

Wir möchten das im Folgenden an drei ausgewählten Passagen illustrieren. Die dabei aufgezeigten formalen Interpretationen lassen sich auch Schülern vermitteln, weil sie einsichtig und nachvollziehbar sind. Stilmittel bloß aufzuzählen, deren Funktion im konkreten Text nicht zu erkennen ist, grenzt an öde Statistik. Damit kann man Schülerinnen und Schülern die Freude an Literatur vergällen – was ja keineswegs nur ein Problem des Lateinunterrichts ist. Lässt sich dagegen aufzeigen, wie lebendig und anschaulich ein Gedanke durch handwerklich-formales Können gestaltet werden kann, dann wird die anstrengende literarische Analyse von Entdeckungs- und Erfolgserlebnissen begleitet, die motivieren und diese intensive Art der Literaturbetrachtung legitimieren. Es ist Ovids Verdienst, dass sich seine Dichtungen in besonderer Weise für solche luziden literarischen Entdeckungstouren anbieten.

Latein - da geht noch was!

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