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Vom Einfallsreichtum römischer Erbschleicher
ОглавлениеErbschleicherei war ein in der römischen Gesellschaft weitverbreitetes Übel. Das erfahren wir aus zahlreichen Quellen – und eben auch von dem Epigrammatiker, der das Thema mit bitterböser Satire aufspießt.
Munera qui tibi dat locupleti, Gaure, senique, si sapis et sentis, haec tibi ait: „Morere!“ (VIII 27)
Wer dir, Gaurus, Geschenke macht, der du reich bist und alt,
der sagt dir, wenn du klug bist und noch etwas merkst: „Stirb!“
Der erste Vers führt in die Situation ein und löst Erstaunen aus; Gaurus ist reich – er braucht keine Geschenke. Und Gaurus ist alt – auch da ist die Erwartung, mit Geschenken überhäuft zu werden, gewöhnlich gering. Und wozu auch für einen, der eh alles hat? Also: Was soll ein betagter Millionär mit dieser Gabenflut?
Der zweite Vers bringt den Aufschluss. Spannungssteigernd ist aber noch der si-Satz vorgeschaltet, dessen s-Alliteration (si sapis … sentis) ein zischelndes Raunen klanglich nachahmen könnte, in dem Gaurus die Wahrheit nahegebracht wird: Sterben soll er! Erneut wird die Pointe bis zum letzten Wort aufgespart. Und erneut muss der Leser mitdenken: Reichlich Geschenke geben, aber dem Beschenkten den Tod wünschen – wie passt das zusammen, eine überaus freundliche und eine überaus feindliche Haltung? Römische Leser wussten Bescheid. Die Großzügigkeit soll Gaurus geneigt machen, sich für die milden Gaben erkenntlich zu zeigen, und zwar in seinem Testament. Das ist das Kalkül der berechnenden Freigebigkeit: Alt und reich ist die ideale Kombination dafür, dass die Investition ebenso rasch wie üppig Rendite abwirft.
Geht’s noch fieser? Aber sicher! Beim Thema Erbschleicherei ist der Spötter ebenso erfindungsreich, wie es die heuchlerischen Falschspieler im wahren Leben sind:
Nubere Paula cupit nobis, ego ducere Paulam nolo: anus est. Vellem, si esset magis – anus. (X 8)
Paula sehnt sich danach, mich zu heiraten. Ich aber will Paula nicht heiraten:
Sie ist ein altes Weib. Wollen würde ich, wenn sie wäre – älter.
Die Situation ist rasch geklärt: Der Heiratswunsch der Frau wird vom Mann nicht erwidert. Wo sie Subjekt ist, kann Paula so agieren, wie sie will. Sie darf sich etwas wünschen (Paula … cupit). Wo sie indes grammatisches Akkusativobjekt ist, ist sie auch im Leben Objekt, abhängig vom Handeln des neuen Subjekts „ich“ (Paulam … nolo). Das aber sagt klipp und klar nein. Und begründet die Weigerung einleuchtend: Paula ist zu alt. Im Klartext: Sie ist nicht attraktiv, nicht begehrenswert. Unschön vielleicht, das so wenig charmant zu begründen, aber nachvollziehbar. Das irreale vellem („ich würde wollen“) deutet an, unter anderen Umständen könnte das lyrische Ich es sich überlegen und das nolo durch ein volo („ich will“) ersetzen. Aber eben im Irrealis: Wenn sie jünger wäre – das ist die logische Erwartungshaltung des Lesers. Und die wird ziemlich brutal enttäuscht. Da steht nicht minor, „jünger“, sondern maior, „älter“. Die Pointe liegt darin, dass das „Ich“ sich jetzt nicht mehr von körperlicher, sondern von finanzieller Attraktivität leiten lässt. Eine ältere Frau – darüber könnte man reden. Denn die wäre bald im Grab und der „befreite“ Ehemann wäre der glückliche Erbe.
Wie gut, dass solche ethischen Abgründe von skrupelloser Berechnung auf das Alte Rom beschränkt waren!