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Liebeslektionen im Circus

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Auch den Circus empfiehlt Ovid als sehr aussichtsreichen Jagdgrund. Er stellte sich allerdings als das dar, was moderne Sportreporter gern als „Hexenkessel“ bezeichnen: dichtes Gedränge und eine aufgewühlte Atmosphäre. Der Vorteil für Herren auf der Suche nach einer künftigen domina, „Herrin“: Männlein und Weiblein saßen dort im Unterschied zum Theater direkt nebeneinander. Das eröffnete zusätzliche Chancen, stellte aber auch hohe Anforderungen an das Geschick der „Revierverteidigung“.

1 Nec te nobilium fugiat certamen equorum.
2 Multa capax populi commoda Circus habet.(…)
3 Proximus a domina, nullo prohibente, sedeto,
4 iunge tuum lateri qua potes usque latus.
5 Et bene, quod cogit, si nolis, linea iungi,
6 quod tibi tangenda est lege puella loci.
7 Hic tibi quaeratur socii sermonis origo
8 et moveant primos publica verba sonos.
9 Cuius equi veniant, facito studiose requiras,
10 nec mora, quisquis erit, cui favet illa, fave! (…)
11 Utque fit, in gremium pulvis si forte puellae
12 deciderit, digitis excutiendus erit,
13 Etsi nullus erit pulvis, tamen excute nullum:
14 quaelibet officio causa sit apta tuo.
15 Pallia si terra nimium demissa iacebunt,
16 collige et immunda sedulus effer humo.
17 Protinus, officii pretium, patiente puella
18 contingent oculis crura videnda tuis.
(Ov. ars amatoria I 135ff.)
1 Lass dir auch nicht den Wettkampf edler Pferde entgehen:
2 Der volkreiche Circus bietet viele Vorzüge. (…)
3 Setz dich direkt neben deine (künftige) Herrin – keiner wird es verbieten –,
4 schmiege deine Seite, so eng es geht, stets an die ihre.
5 Und es ist gut, dass die Schranke euch zwingt, ganz dicht nebeneinander zu sitzen, auch wenn du es nicht willst,
6 und dass du das Mädchen nach dem Gesetz des Ortes berühren musst.
7 Hier nun mache du den Anfang eines vertrauten Gesprächs,
8 Small Talk soll den Auftakt zur Unterhaltung bilden.
9 Wessen Pferde da kommen, frag sie angelegentlich – los, tu es!
10 Und halte, ohne zu zögern, die Daumen dem Gespann, zu dem sie hält! (…)
11 Wie es manchmal so kommt, wenn zufällig Staub in den
12 Schoß des Mädchens fällt, musst du ihn mit den Fingern herausschütteln.
13 Auch wenn gar kein Staub da ist, schüttle ihn gleichwohl heraus.
14 Jeglicher Anlass sei recht für deine Kavaliersdienste.
15 Wenn ihr Mantel zu tief auf der Erde hängt,
16 raffe ihn zusammen und hebe ihn diensteifrig vom schmutzigen Boden hoch.
17 Sofort wird, als Belohnung für deinen Dienst – das Mädchen muss es zulassen –
18 deinen Augen zuteilwerden, ihre Schenkel zu sehen.

Der Liebeslehrer schlägt einen deutlichen Ton an. Wie im römischen Schul- und Hochschulunterricht üblich, gibt er praecepta zum Besten, „Vorschriften“: Tu dies, tu das! Sprachlich variiert er dabei zwischen Befehlen (iunge, V. 4; fave, V. 10; excute, V. 13; collige, effer, V. 16), normalen auffordernden Konjunktiven (quaeratur, V. 7; moveant, V. 8; requiras, V. 9; sit, V. 14), drängender wirkenden Konjunktiven des Futurs (sedeto, V. 3; facito, V. 9) und Gerundiv-Konstruktionen, die ein Müssen ausdrücken (tangenda est, V. 6; excutiendus erit, V. 12). Der Wechsel zwischen den unterschiedlichen Graden an Aufforderung ist wohlüberlegt. Der starke Imperativ Futur auf -to wird dort eingesetzt, wo der Liebesschüler am ehesten Widerstand leisten könnte: proximus sedeto, „los, setz dich ganz nah zu ihr hin“ (vulgo: „Rück ihr auf die Pelle!“), macht einem möglicherweise etwas schüchternen Schüler klar, dass dieser Rat sehr ernst gemeint ist.

Was den Zuschauersport angeht (V. 9/10), so waren die Kompetenzerwartungen ungleich verteilt: Ähnlich wie heute wurde den Männern hier deutlich mehr Ahnung zugebilligt. Und außerdem war klar, dass man eigentlich nicht danach fragte, was man mit eigenen Augen sah: Die Trikots der Jockeys waren in der Farbe ihres jeweiligen Rennstalls gehalten. Insofern muss der Rat, sich angelegentlich danach zu erkundigen, „wessen Pferde da kommen“, mit einigem Nachdruck versehen werden: Das die Aufforderung verstärkende facito – „Komm, mach es! Vertrau dem Ratschlag deines Lehrers, auch wenn du dir etwas blöd vorkommst!“ – antizipiert mögliche Vorbehalte. Außerdem stimmt sie auf die direkt folgende Zumutung ein, mit fliegenden Fahnen ins Fanlager des Mädchens überzuwechseln. Hier den loyalen Helden zu spielen und sich zu einer anderen Farbe zu bekennen, würde zum Sekundentod der sich anbahnenden Liaison führen. Umso härter muss ein Coach auftreten, der dieses Maß an Selbstverleugnung verlangt: nec mora, „ohne zu zögern“, in betonter Anfangsstellung (V. 10) unterstreicht den imperativischen Ernst der beiden Verse.

Dass das Ganze gleichwohl nicht zum bierernsten Pflichtenkatalog verkommt, sondern seine übliche spielerische Leichtigkeit behält, macht unter anderem der Vers 13 deutlich. Ein typischer Ovid: Wenn der Wind ungünstig steht und es nichts wegzuschütteln gibt, dann schüttle eben das Nichts weg! Trotzdem: Der Liebesschüler wird schon mit Ratschlägen und Anweisungen eingedeckt. Diese drängende Pädagogik liegt nicht jedem, irgendwann wird es auch dem gelehrigsten Schüler zu viel.

Latein - da geht noch was!

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