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Spott über Ärzte? – Natürlich nur von historischem Interesse

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Aber das betrifft nur einen Teil seiner literarischen Produktion. Zahlreiche seiner rund 1200 Epigramme sind durchaus „jugendfrei“. Wir stellen im Folgenden einige vor:

Nuper erat medicus, nunc est vispillo Diaulus. Quod vispillo facit, fecerat et medicus (I 47).

Neulich war Diaulus noch Arzt, jetzt ist er Leichenträger.

Was er als Leichenträger tut, hatte er auch schon als Arzt getan.

Martial macht uns in diesem Zweizeiler mit der äußerst liberalen Zulassungspraxis für Ärzte im antiken Rom bekannt. Es gab keine staatliche Überprüfung der Qualifikation, keine Approbation, keine vorgeschriebene Ausbildung. Arzt war, wer sich so nannte. Der „Markt“ entschied darüber, ob er „gut“ war und genügend Patienten fand. Wenn nicht, musste er sich nach einer neuen Tätigkeit umsehen.

Der erste Vers ist parallel gebaut; die klangliche Entsprechung nu(per) und nu(nc) unterstreicht diese Parallelität zusätzlich, ebenso die Verbformen erat und est, die klanglich nicht so weit voneinander entfernt sind. Hinzu kommt der sprechende Name. Di-aulus ist eine „Doppel-Flöte“: Der Herr ist also „fit“ für zwei Berufe.

Am Ende des ersten Verses ist der Leser neugierig: Wie erklärt sich die so betonte Parallelität? Eigentlich würde man ja zwischen Arzt und Leichenträger eher eine Polarität erwarten. Der zweite Vers liefert den Aufschluss. Das Tun des Diaulus unterscheidet sich nur in der zeitlichen Dimension – facit und fecerat stehen direkt nebeneinander und unterstreichen damit die inhaltliche Gleichheit des Tuns: verschiedene Zeiten, aber „einheitliches“ Handeln. Die Pointe kündigt sich mit et, „auch“, an, wird aber erst im letzten Wort vollendet – der Idealfall der Pointenbildung. Gleichwohl bleibt es bei einer Andeutung, der Leser ist gefordert, die entscheidende Schlussfolgerung selbst zu ziehen. Die Parallelität des facere, „Tuns“, erweist sich in seinem Ergebnis: Sie besteht darin, dass Diaulus die Leute in beiden Berufen ins Grab bringt.

Ein Witz, der sich nur auf das Alte Rom bezieht? Ja klar, Aktualitätsbezüge lassen sich hier nicht herstellen. Wirklich nicht.

Ärztliche Kunstfehler kamen auch in der Antike vor, manchmal sogar vorsätzliche, wenn wir Martial Glauben schenken dürfen:

Curandum penem commisit Baccara Raetus rivali medico. Baccara Gallus erit. (XI 74)

Der Räter Baccara vertraute seinen Penis zur Behandlung

einem Arzt an, der sein Nebenbuhler war. Baccara wird

zum Gallier werden.

Ein großer Vertrauensbeweis oder eine bodenlose Dummheit? Baccara, ein Mann aus dem Alpenraum (Rätien), hat ein Penis-Problem. Heilung sucht er bei einem Arzt – so weit ganz normal. Aufhorchen aber lässt das rivali an der betonten ersten Position im zweiten Vers: Baccara und sein behandelnder Arzt bemühen sich um dasselbe Mädchen. Das Brisante ist der Körperteil, der medizinischer Hilfe bedarf. Wird das gut gehen?, fragt sich der Leser angesichts der knapp geschilderten Konfliktsituation.

Martial löst den Spannungsbogen mit einer Pointe, die sich auf die Mehrdeutigkeit von Gallus stützt. Das ist einmal der „Gallier“. Auf der Oberfläche ändert Baccara seine Nationalität: Aus dem Räter wird ein Gallier. Dieses erste Verständnis legt die prononcierte Vorstellung des Baccara als Räter am Ende von Vers 1 nahe – auch das ist eine Tonstelle. Aber merkwürdig – und als Pointe völlig unbefriedigend. Indes, Gallus hat eben noch zwei weitere Bedeutungen. Zum einen der „Hahn“. Das gibt aber auch keinen Sinn und schon gar keine Pointe. Anders verhält es sich mit der dritten Bedeutung: Auch die Priester der Fruchtbarkeitsgöttin Kybele hießen Galli. Von denen wussten Martials Zeitgenossen vielleicht nicht viel, aber eines sicher: dass sie kastriert waren. Jetzt ist klar, wie der Mediziner, ärztliches Ethos hin oder her, die pikante Konstellation zu seinen Gunsten nutzen wird. Zugegeben, dafür braucht man heute einen Sachkommentar. Aber dass das eine geniale, durch das erforderliche Nachdenken auch des römischen Lesers ziemlich lange herausgezögerte Pointe ist, teilt sich schon mit, wenn es denn endlich „klick“ gemacht hat.

Latein - da geht noch was!

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