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KYRIE ELEISON! CHRISTE ELEISON!

KYRIE ELEISON!

„Gott, unser Herr, erbarme dich unser! Christus, erbarme dich unser!

Herr, erbarme dich unser!“

Wenn’s nach Carlo di Gasparini ginge, würde während der Messe wieder wie einst das alte Latein seinen über viele Jahrhunderte angestammten Platz einnehmen und der Priester mit dem Rücken zur Gemeinde den Dienst am Altar verrichten …

„Warum soll es von Vorteil sein, wenn die ungebildete Masse versteht, was der Geistliche sagt und warum soll er sich von den Laien so genau auf die Finger schauen lassen?“, fragt er seinen Adlatus Barillo.

‚Und womöglich den Überdruss von deinem Gesicht ablesen!’, denkt sich dieser insgeheim. Einer der von Gasparini wegen des Wahlausgangs zur Rede gestellten Kollegen, Kardinal Paolo Piccolomini, aus dem Erzbistum Mailand, erklärt ihm rundweg, unter seinem Pontifikat habe man befürchten müssen, die Kirchenaustritte würden noch weiter ansteigen. „Und das haben wir Kirchenväter keinesfalls riskieren können!“, sagt er ihm eiskalt ins Gesicht.

Diese Auskunft schmerzt Carlo di Gasparini zutiefst; überrascht ihn allerdings nicht wirklich. Sein bester Freund, Ewald Klausmann, der Kardinal von Köln, behauptet ja auch, die Zeit sei einfach reif, ja, sozusagen überreif gewesen, für einen Papst der schwarzen oder gelben Rasse.

„Sogar eine ehemalige Sklavenhalternation, nämlich die USA, haben sich schon vor beinah dreißig Jahren zwei Wahlperioden lang einen schwarzen Präsidenten geleistet. Allzu viel konnte der zwar nicht ausrichten oder gar verändern – dafür haben schon die erzkonservativen weißen Republikaner durch ihr stereotypes Veto gesorgt!

Aber immerhin hat Barack Obama es damals vermocht, einiges Gute anzustoßen, was man zum Teil erst heute nach der langen Zeit erkennen kann, obwohl sein höchst umstrittener republikanischer Nachfolger Donald Trump alles Mögliche unternommen hat, um die sozialen Reformen seines Vorgängers, wie etwa eine Krankenversicherung für alle Bürger, erneut auszuhebeln.

Und unsere verehrte Mutter Kirche, mein lieber Freund Carlo“, fügt er mit erhobenem Zeigerfinger belehrend hinzu, „rechnet bekanntlich nicht nach Jahren oder Jahrzehnten, sondern denkt in Jahrhunderten! Je nachdem, wie schnell der Neue die Probleme anpackt und wie lange Leo XIV. am Ruder sein wird, desto stärker wird sich das in der ferneren Zukunft auswirken. Wenn auch vielleicht erst in hundert oder mehr Jahren.“

„Na, wenn du Recht hast, Verehrtester“, trompetet di Gasparini, „wollen wir hoffen, dass der neue Heilige Vater die Probleme nicht wiederum wird schleifen lassen. Falls es wirklich so lange dauern sollte, bis sich etwas ändert, gibt es nämlich keine nennenswerte Ecclesia mehr, die davon profitieren könnte. Bestenfalls wird sie dann noch eine x-beliebige Glaubensgemeinschaft unter vielen sein, vergleichbar einer Sekte wie den Sieben-Tage-Adventisten.

Erinnere dich, bitte, an seine erste zündende Rede im Petersdom, Ewald! Was ist dem bisher gefolgt? Na? Gar nichts! Als ich ihn vor einiger Zeit so habe reden gehört, war ich fast geneigt, mich mit seiner Wahl anzufreunden. Aber seitdem herrscht sozusagen Ruhe im Schiff, nachdem die heiße Luft draußen ist“, drückt der Kardinal aus Padua sich wie immer reichlich salopp aus.

Ehe di Gasparini jedoch weitersprechen kann, flicht der deutsche Kardinal, Ewald Klausmann, schnell ein: „Schau, Carlo! Seien wir doch ehrlich: Wenn wir heute eine Kirche noch mit Leuten füllen wollen, bedarf es keiner Heiligen Messe, sondern wir müssen weltliche Konzerte anbieten, eine Lesung eines beim Publikum beliebten Autors oder die Aufführung eines modernen Theaterstücks!“

„Ja, Ewald, das ist mir durchaus bewusst!“

Kardinal di Gasparinis Gesicht ist mittlerweile rot angelaufen; er leidet unter hohem Blutdruck und sobald er sich auch nur im Geringsten aufregt, ähnelt sein üblicherweise blasser Teint dem Aussehen einer reifen Tomate.

„Und ihr alle habt tatsächlich geglaubt, diese Fehlentwicklung ausgerechnet durch die Wahl Obembes bremsen oder gar verhindern zu können? Welch unglaubliche Naivität! Sobald das erste Überraschungsmoment vorüber und die anfängliche Euphorie über den ‚Exoten im Vatikan’ verflogen ist, wird alles so weitergehen wie bisher, Ewald. Das jetzige Verhalten dieses Papstes weist doch genau in diese Richtung. Er wird um kein Jota von der Linie seiner kreuzlahmen Vorgänger abweichen.

Aber die Kirche wird nicht dadurch attraktiver werden, indem man die göttlichen Gebote aufweicht oder die kirchlichen Vorschriften außer Kraft setzt und Schlagersänger, Musiker und Schauspieler in den Kirchen agieren lässt, sondern indem Priester mit Autorität die sündigen Menschen beherzt an die Hand nehmen und sie – und sei’s auch oftmals gegen deren Willen – unbeirrt auf den rechten Pfad führen.

An die Brust soll er sich schlagen, der reuige Sünder, und bekennen, gesündigt zu haben: ‚Herr, erbarme dich unser, Christus erbarme dich unser, Herr erbarme dich unser!’ Erst nach Reue, Bußfertigkeit und Vergebung darf er den Herrn lobpreisen.“

Di Gasparini redet sich jetzt förmlich in Rage.

„Dazu bedarf es als wirksamer Hilfsmittel nicht weichgespülter, psychologieverseuchter Verständnisbekundungen für verwundete Seelchen von sogenannten ‚modernen’ Seelsorgern, sondern strenger Anweisungen des Klerus, deutlicher Verbote, klar verständlicher kirchlicher Anweisungen ‚von oben’.

Nicht zu vergessen die Verheißung der Vergebung für den reuigen Sünder, der umkehrt und Buße tut, sowie der Ankündigung empfindlicher Strafen im Falle von Zuwiderhandlungen. Der gute alte Teufel und die Hölle dürfen nämlich keineswegs ausgedient haben.“

Sein Freund, Kardinal Ewald Klausmann versucht, seinen Wortschwall ihn zu bremsen. „Dann muss dich doch das neueste Statement unseres Kirchenoberhaupts bezüglich der Kinderschändungen durch Geistliche sehr erfreut haben! Da war nichts mehr von ‚Weichspülung’ oder gar ‚Verständnis’ für die Sexualstraftäter zu spüren.“

Schwer atmend muss Carlo di Gasparini sich setzen, ehe er darauf antwortet. „Pah! Kinkerlitzchen!“, wischt er Klausmanns Einwand barsch beiseite. „Das Zweite Vatikanische Konzil hat uns doch auf dramatische Weise bewiesen, welcher Art die Früchte sind, die wir jetzt ernten müssen, als Konsequenz aller Nachgiebigkeit und der um sich greifenden Aufweichtendenzen: zahlreiche Kirchenaustritte, viel weniger Kindstaufen, weil die Heranwachsenden später, welch ein Humbug!, selbst entscheiden sollen, ob sie überhaupt Christen sein wollen. Wenn ich das schon höre! Und das im christlichen Europa. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Ich behaupte: Der Glaube muss bereits im Kleinkind angelegt werden, damit er sich tief einwurzelt in der Seele des Betreffenden. Damit ist gewährleistet, dass es dem Getauften später um ein Vielfaches schwerer fallen wird, der Kirche den Rücken zu kehren. Die kindlich-naive Erinnerung wird sich in ihm regen und ihm immer wieder die angenehmen Augenblicke gemütvoller Erlebnisse wie die folkloristischen Feste Weihnachten und Ostern vor Augen führen.“

Carlo di Gasparini schnappt nach Luft.

Freund Ewald Klausmann beginnt sich jetzt ernsthaft um seinen Kardinalskollegen zu sorgen. Wenn der so weitermacht, könnte ihn tatsächlich noch der Schlag treffen. Aber so leicht gibt di Gasparini nicht auf.

„Des Weiteren erleben wir einen besorgniserregenden Rückgang bei den Priesterweihen und kaum noch Eheschließungen vor dem Altar. Ja, mittlerweile legen viele nicht einmal mehr Wert darauf, christlich beerdigt zu werden. Wozu noch ein Geistlicher am Grab? Ein bezahlter und vorher genau über gewünschte Lobhudeleien instruierter Redner vom Begräbnisinstitut tut’s doch auch … Schöne Aussichten, Ewald. Willst du das tatsächlich?“

Der deutsche Kardinal weiß nicht recht, wie er darauf reagieren soll. Natürlich will er das nicht …

„Schau“, fährt der Italiener beinahe verzweifelt fort: „Die Heiligen Väter, die einst Johannes XXIII. nachgefolgt sind, haben zwar zum Teil die Talfahrt der Kirche ein wenig gebremst, aber aufgehalten hat den Erdrutsch letztlich keiner. Ich als Papst hätte es zumindest mit aller Macht versucht. Was Leo Africanus bestimmt nicht tun wird. Seine allererste Predigt ließ mich noch hoffen, aber außer viel heißer Luft ist da nichts gewesen. Addio, Sancta Ecclesia!“

„Diese Schwarzmalerei beziehst du ohne weiteres auf unseren neuen Heiligen Vater, Carlo? Wer sagt denn, dass er in der Zukunft tatsächlich so ein Weichei sein wird, mein Freund?“, gibt Ewald Klausmann zu bedenken. „Warten wir doch erst einmal ab und reden in einem oder zwei Jahren erneut darüber. Dann werden wir alle vielleicht ein Stück weit klüger sein, nicht wahr, Carlo?“

Und um dem Ganzen etwas von der Schärfe zu nehmen – und den Freund vor einem möglichen Herzinfarkt zu bewahren – schlägt er dem anderen vor, nun gemeinsam die Oratio zu verrichten, das Tagesgebet.

Der einstige Studienkollege des Kardinals von Padua, Ewald Klausmann, in diesem Monat dreiundsechzig Jahre alt, zum Oberhirten des Erzbistums Köln ernannt und derzeit in Rom auf Erholungsurlaub (die Lage in Köln ist, nun ja, schwierig, könnte man es vorsichtig ausdrücken), sowie sein cholerischer italienischer Amtsbruder breiten die Arme aus, wie sie es auch jeden Tag am Altar zu tun pflegen, wenn sie mit ausgestreckten Armen Jesus am Kreuz nachahmen und damit zum Ausdruck bringen wollen, alle Menschen an ihr Herz zu ziehen.

„Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.“

Der Pontifex

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