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2 Gattungsverständnis von Hans Sachs

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Als Sachs 1527 seine erste Tragedi schrieb, konnte er sich nur bedingt auf eine nachahmbare Dramenform stützen,1 kannte aber mit den Kommentierungen von Donat und Albrecht von Eyb die für die humanistischen Dramatiker wichtigsten theoretischen Ausführungen zur Komödie. Wenngleich Kontakte von Sachs zu Nürnberger Humanisten nicht nachweisbar sind,2 kann doch von einem mit ihnen gemeinsamen „Wertekanon“3 gesprochen werden. Das Bild, wie Sachs gesehen werden wollte, macht durchaus seinen Bezug auf die Antike deutlich: In einem Holzschnitt-Portrait von 1545 mit beigefügtem lateinischen Verstext steht er mit Dichtern wie Ovid und Vergil in einer Reihe; im Spruchgedicht Ein Gesprech, die neun Gab Muse oder Kunstgöttin betreffend4 von 1536 stellt er sich als von Musen begnadet dar.5 In diesem Text erscheinen dem jungen Sachs im Traum die neun griechischen Musen, die, von Apollo und Pallas beauftragt, Dichter für ihre Kunst suchen. Mit Apollo nimmt Sachs in gleicher Weise Bezug auf die antiken ‚Auftraggeber‘ für sein literarisches Schaffen wie schon Celtis 1486 in Ode ad Apollinem repertorem poetices: ut ab Italis cum lyra ad Germanos veniat und 1492 in seiner Ingolstädter Rede Oratio habita in gymnasio in Ingelstadio publice recitata.6 Der Unterschied zu Celtis liegt jedoch in der Sprache: Während dieser auf Latein dichtete, wendete Sachs, von den Musen beauftragt, sich nicht nur der „teutschen poeterey“ zu,7 sondern, wie Bernstein bemerkt, stellte er sich zugleich „selbstbewußt in eine illustre Reihe griechischer, römischer und deutscher Dichter.“8 Der Rückgriff auf antike Autoritäten ist insbesondere im Dialog zwischen dem „jüngling“ und der Muse Clio sichtbar. Diese unterbreitet jenem das Angebot, die gleiche poetische Kompetenz zu erlangen, wie sie zuvor schon griechische, lateinische und auch deutsche Dichter von den Musen zugesprochen bekommen haben:

Ich bin, ein jüngling bey zweintzig jarn,
Der poetery gantz unerfarn,
135 Hab keiner kunst mich angenommen.
Die poeten von himel kommen,
Wie von in sagt Ovidius.
Deshalb ich mich verzeihen muß
Der kunst. Gott danck euch aller ehren!
[…]
Mir wider-rufft die göttin wech
145 Und sprach: O jüngeling, ob dir
Haben ein groß mitleyden wir.
Wiltu, so wöll wir dich begaben
Mit den neun gaben, die wir haben,
Darmit wir vor begaben thetten
150 Griechisch und lateinisch poeten,
Dergleich vil teutscher im Teutschlandt.

Zusätzlich nennt Sachs Gattungen9, die er bearbeitet bzw. deren Neufassung ihm in jungen Jahren die Göttin Clio aufgetragen haben soll:

Die göttin sach mich freundtlich on
Und sprach: O jüngling, dein dienst sey,
Das dich auff teutsch poeterey
Ergebst durch-auß dein leben lang,
110 Nemblichen auff meistergesang,
Darinn man fürdert Gottes glori,
An tag bringst gut schriftlich histori,
Dergleichen auff trawrig tragedi,
Auf spil und fröliche comedi,
115 Dialogi und kampff-gesprech,
Auff wappenred mit worten sprech,
Der fürsten schilt, wappen pleßmiren,
Lobsprüch, die löblich jugent zieren,
Auch aller art höflich gedicht
120 Von krieg und heydnischer geschicht,
Dergleich auff thön und melodey,
Auff fabel, schwenck und stampaney,

Im Vergleich zu den Gattungsbezeichnungen in der Folioausgabe, deren Herausgabe Sachs von 1558 an selbst mit betreute, lassen sich keine wesentlichen Abweichungen erkennen. Darin unterscheidet er zwischen Meisterliedern, Liedern, Prosadialogen und Reimpaargedichten, denen er „tragedi, comedi, histori, kampffgesprech, gesprech, lobsprüch, klagred, comparacion, sprüch, faßnacht-spiel, fabel und schwenck“10 zurechnet. Ein Unterscheidungskriterium zwischen Fastnachtspiel und Comedi lässt sich in all diesen Aufzählungen nicht ausmachen; aber sie werden voneinander getrennt benannt. Im Vorwort seiner Folioausgabe weist Sachs dem Fastnachtspiel indes explizit die Kurtzweil zu, damit sie die „schwermütigen hertzen zu freuden ermundern“.11

Demnach unterteilte Sachs bereits 1536 seine Werke in gleicher Weise in Gattungen wie in den 1560er Jahren. Der Zeitpunkt, an dem er das Spruchgedicht verfasste, fällt auf das Ende der ersten Auseinandersetzung mit neulateinischen und antiken Vorlagen. Dass Sachs einen expliziten antiken Rahmen für seinen Dichtungsauftrag wählte, erscheint daher nicht zufällig. Das Differenzierungskriterium für seine Comedis und Tragedis nennt er u.a. in Prologen. Danach dient Sachs für die Comedi die Wendung von einem traurigen Anfang zu einem guten Ende und für die Tragedi von einem guten Anfang zu einem schlechten Ende als Unterscheidungsmerkmal.12 Diese Kriterien wendet er jedoch nicht immer gleichermaßen an, weshalb die Anzahl von Comedis und Tragedis zwischen Folioausgabe, Spruchbuch und Generalregister schwankt.13

Zusammengefasst ist zur Abgrenzung der Begriffe Komödie und Tragödie in der humanistischen Gelehrtenkultur festzustellen, dass nicht nur, wie bei Sachs, der positive bzw. negative Ausgang den alleinigen Unterschied ausmacht, sondern auch Gegensatzpaare wie

Moraldidaktik und scherzhaft formulierte Kritik vs. Panegyrik; Exemplarik vs. (pseudo-) historische Einmaligkeit; verborgene Wahrheit (significatio veri) vs. behauptete Wahrheit; Nähe zum Fastnachtspiel vs. Nähe zum Triumphzug oder Fronleichnamsspiel. Die Ständeklausel wird meist eingehalten; wo sie aber gebrochen wird und hochadeliges Personal eine moraldidaktische, exemplarische Lehre vermitteln soll, öffnet sich die Komödie dem höfischen Festspiel.14

Mit Blick auf die Gattungsmerkmale, wie sie die neulateinischen Dichter für Komödie und Tragödie entwickelten, relativiert sich die zunächst sehr einfach anmutende Gattungskategorisierung von Sachs. Die Gattungsmerkmale sind keineswegs eindeutig, vor allem weil die Tragödie weit hinter der Komödie in Rezeption und Dichtung zurückstand. Dass Sachs nicht die Comedi, sondern das Fastnachtspiel zur schwankhaften Gattung machte und stattdessen in Comedi und Tragedi ernste Stoffe bearbeitete, findet seine Entsprechung in der humanistischen Komödiendichtung. Die Ausnahme bilden hier jedoch Reuchlins Scaenica progymnasmata.15

Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels

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