Читать книгу Villa Ludmilla - Karsten Flohr - Страница 5
Оглавление1. Ein Zapfgott bist du!
Wie Bruno wieder mal von seiner Schlafbank fällt und Heinzi ihm hilft, seinen Alptraum wegzuspülen
Bruno wankte, die Beine gaben nach, sein Körper knickte ein. Zwei Soldaten stützten ihn, als er sich auf dem Camp dei Fiori an den Zuschauertribünen vorbei schleppte, auf denen 80 Bischöfe, Kardinäle sowie der Papst persönlich saßen. Die Soldaten stießen ihn mehr vor sich her, als dass sie ihn hielten, sein Körper war nach acht Jahren Festungshaft und etlichen Verhören durch die Heilige Inquisition abgestorben. Aber sein Geist! Giordano Brunos Geist, der aus seinen aufgerissenen Augen flammte, die den Scheiterhaufen in der Mitte des schönsten Platzes Roms fixierten, arbeitete ungebrochen. Es war, als würde er mit diesen glühenden Augen die Pflastersteine zu seinen Füßen trocknen, die nach einem Platzregen glänzten. Die Gaffer hinter den Absperrseilen wichen einen Schritt zurück, als fürchteten sie, von den magischen Kräften des Ketzers verseucht zu werden. Und Seine Heiligkeit auf dem Ehrenplatz senkte den Blick, um sich der Kraft dieses Mannes zu entziehen, der sich aufgemacht hatte, die Grundmauern der christlichen Lehre einzureißen. Man hatte ihm einen Knebel in den Mund gestopft aus Furcht vor seinen Worten. Giordano Bruno taumelte umhüllt von den Stofffetzen, die er am Leib trug, wie eine Vogelscheuche dem Holzstoß entgegen, die atemlose Stille der Menge ließ den Campo erbeben.
Ein dünner, hoher Schrei aus seinem eigenen Mund reißt Bruno aus seinem Alptraum, eher ein Quieken, ein verzweifelter Versuch der Angst, die vertrauten, immer wiederkehrenden Bilder zu verscheuchen. Bruno rollt zur Seite und fällt von der Holzbank.
Sein Gesäß landet in einer Bierlache, die er selbst verursacht hat, als das halbvolle Glas, das er auf dem Bauch abgestellt hatte, heruntergefallen war. Da hatte er schon tief geschlafen in seiner Lieblingsecke in der Hirschquelle. Schließlich ist es bereits halb drei am Morgen, jeder anständige Mensch schläft um diese Zeit. Und Bruno ist einer der anständigsten. Das finden alle in der Hirschquelle, und nicht nur hier. Bruno ist etwas Besonderes, das ist einhellige Meinung in den Bier- und Billardlokalen rund um den Hauptbahnhof.
Jetzt sind nur noch eine Handvoll da, die sich gleichzeitig vom Billardtisch ab- und Bruno zuwenden, ihre Queues wie Lanzen auf den am Boden Liegenden gerichtet.
„Was’n det?“, fragt Karli, den alle wegen seiner Frisur nur Wuast nennen, „hast dich nass gemacht?“ Er stippt mit seinem Queue in die Lache zwischen Brunos Beinen und riecht dann fachmännisch am Filz. „Bier!“, ruft er nach hinten zu den anderen, „er hat Bier gepisst.“
Dann, mit besorgter Miene sich zu Bruno beugend, wobei seine wurstförmige Tolle nach vorn fällt und seine Augen bedeckt: „Wieder dieser Traum? Mann, komm hoch! Heinzi zapft dir ein neues.“ Er packt Bruno am Arm, der hinter seinen geschlossenen Augenlidern immer noch den Campo dei Fiori sieht, und zerrt ihn in die Höhe.
„’Tschuldigung“, sagt Wuast zu den beiden Vietnamesinnen aus dem Club Amphore, die gerade ihre nächtliche Mittagspause machen, als er mit Bruno an ihrem Tisch vorbeigeht.
„Wat’n?“, fragt eine. „Wofür?“
„Für das Wort eben“, erklärt Bruno, „ist ihm rausgeflutscht – ’tschuldigung.“
„Flutsch!“, ruft die andere und lacht heiser, „flutsch is gut! Auch für dich, mein Kleiner.“
Aber Bruno will jetzt nur Bier. Auf dem Tresen steht es schon bereit, Heinzi ist der Schnellste am Zapfhahn. „Ein Zapfgott bist du!“, sagt Bruno, als er sich auf dem Hocker am Tresen niederlässt und seine Nasenspitze in den Schaum stößt. Nach zwei weiteren Radebergern ist der letzte Rest des Traumes fortgespült. Für den Moment hat Bruno Ruhe vor der Inquisition.
Als er eine Stunde später gemeinsam mit Wuast und Heinzi vor die Tür der Hirschquelle tritt, deren Sicherheitsschlösser Heinzi umständlich mit drei Schlüsseln verriegelt, dämmert es. Ein wolkenloser Himmel über den kümmerlichen Platanen der Bahnhofstraße schält sich aus der Nacht. Es wird wieder ein heißer Tag.
„Meine Bank ist frei“, sagt Bruno und deutet zur anderen Straßenseite, wo in einer kleinen Parkanlage drei Holzbänke um einen Mülleimer stehen, „gute Nacht allerseits.“
Wuast hält ihn am Arm. „Nix da“, sagt er, „du pennst bei mir. Die Glatzen sind wieder unterwegs, durchforsten die Parks nach Leuten wie dir.“
„Wie mir?“
„Tu, was er sagt“, empfiehlt Heinzi, „ist besser so.“
Wuast meint es gut mit Bruno. In seiner Abstellkammer hinter dem Klo hat er eine Liege, die stets für Bruno reserviert ist. Mit Decke und Kopfkissen. Das Fenster schließt nicht ganz, das ist angenehm. Und auch, dass es nicht weit zum Klo ist.