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Infobox 3: Die Begriffe Rekodieren und Dekodieren

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Rekodieren:

Beim Rekodieren, auch Lautieren, wird einer Buchstabenfolge die regelkonforme Lautfolge zugeordnet. Dies erfolgt ohne Bedeutungserfassung.

Dekodieren:

Beim Dekodieren wird dem Rekodierten bzw. dem Lautierten eine Bedeutung zugeordnet.

Die Modelle zur Entwicklung der Lesefertigkeit beschreiben zunächst die mühsame und langsame Verbindung von Buchstaben und Lauten (Rekodieren). Durch stetige Wiederholung und Übung wird das simultane Erfassen dann auch von größer werdenden Texteinheiten (Silben, Wortteile) zunehmend schneller und sicherer. Der Weg führt von den kleinsten Einheiten, den Phonemen und Graphemen in Verbindung mit der Entwicklung der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne über größer werdende Einheiten hin zu Wörtern. Enthält der Wortschatz des Kindes das gelesene Wort, kann es dieses richtig dekodieren, also in seiner Bedeutung erfassen. Beherrscht ein Kind die Phonem-Graphem-Korrespondenzen, kann es sowohl sinnvolle wie auch sinnfreie Wörter (Kunstwörter oder Pseudowörter) korrekt rekodieren. Das klingt einfach, dahinter stehen allerdings komplexe kognitive Anforderungen, die parallel und möglichst flüssig ablaufen müssen. Nur durch eine zunehmende Automatisierung der Teilprozesse können Wortbilder den Lautfolgen und ihren Bedeutungsinhalten unmittelbar zugefügt werden (visuelle Worterkennung) und somit der Leseprozess stark erleichtert werden. Auf diese Weise werden Ressourcen für hierarchiehöhere Prozesse frei.

Eine der bekanntesten Theorien zur Erklärung der visuellen Worterkennung ist die Zwei-Wege-Theorie bzw. das Dual Route Modell nach Coltheart (1978).

Das Zwei-Wege-Modell lässt sich den informationstheoretisch basierten Modellen zuordnen. Nach diesem Modell gibt es zwei Lesewege: einen indirekten und einen direkten. Wird ein Wort auf dem indirekten Weg erlesen, werden die einzelnen Buchstaben in Laute umgewandelt, d. h. phonologisch rekodiert. Danach werden sie zu einem Wort synthetisiert. Während des phonologischen Rekodierens werden die in Lautwerte umgewandelten Buchstaben im Laufe der Verarbeitung der folgenden Buchstaben im Arbeitsgedächtnis zwischengespeichert (phonetisches Rekodieren im Arbeitsgedächtnis). Grundlage für diese Umwandlung sind die erworbenen Phonem-Graphem-Korrespondenzen. Das entstandene phonologische Konstrukt wird der Artikulation zugeführt. Aufgrund koartikulatorischer Prozesse (Phonologie der Silbe) in der Lautsprache und der nicht eindeutigen Korrespondenzen zeigt sich der erste Leseversuch nicht immer identisch mit der tatsächlichen Aussprache. Vor allem Leseanfänger zeigen hier in einem nicht nur länger dauernden und wenig effizienten Leseweg häufig Schwierigkeiten, die u. a. auch auf eine geringe Kapazität des Arbeitsgedächtnisses, quasi durch eine Gedächtnisüberlastung, beim Rekodieren und Dekodieren zurückzuführen sein könnten (Hasselhorn & Grube, 2003, 2007).

Der zweite und wesentlich effizientere ist der direkte Leseweg. Das Wort wird aufgrund visueller und phonologischer Eigenschaften der Buchstabensequenz als Ganzes im orthografischen Lexikon aufgerufen. Die wahrgenommene Buchstabenfolge eines Wortes wird durch den direkten Vergleich mit dem mentalen Lexikon in seiner Bedeutung erkannt. Dabei spielt auch der Kontext, kombiniert mit semantischen und morphologisch-syntaktischen Antizipationen, eine Rolle. Der direkte Weg des Lesens eines Wortes ist nur möglich, wenn das Wort zuvor schon als Ganzes im Gedächtnis gespeichert ist, also eine entsprechende Repräsentation im mentalen Lexikon besitzt. Gleichzeitig wird im phonologischen Wortformspeicher, also dem Teil des Lexikons, in dem die phonologischen Informationen eines Wortes gespeichert sind, der phonologische Code aktiviert. Dieser wird sofort der Artikulation zugeführt, sodass das Wort benannt werden kann. Befunde aus der Forschung zum Lesen (Mayer, 2006) erklären einen erschwerten Zugang zum direkten Leseweg u. a. damit, dass Kinder Schwierigkeiten in der Speicherung und der effektiven Abrufbarkeit der Repräsentationen aus dem mentalen Lexikon und somit der Aktivierung des phonologischen Codes haben. Kinder mit dem s. g. »naming-speed-deficit« (Mayer, 2006, 227) sind anfänglich im Erstleseunterricht unauffällig, da sie mit dem Erlernen des phonologischen Rekodierens keine Schwierigkeiten haben. Auffällig werden sie dann, wenn sie häufig auftretende Wörter als Ganzheiten benennen sollen (Mayer, 2006).

Mit einer zunehmenden direkten Worterkennung wird auch das Lesen durch die Einbettung von Wörtern in einen bestimmten Kontext erleichtert. Es ist dabei von parallel ablaufenden und sich wechselseitig bedingenden Teilprozessen in Abhängigkeit der Leseanforderung und der Komplexität des Textmaterials auszugehen. Das Wortlesen ist sowohl für die Komponente der Lesefertigkeit als auch für die Komponente des Leseverständnisses bedeutsam. Wie gut ein Kind Wörter lesen kann, kann deshalb durch die Lesegeschwindigkeit und die Lesegenauigkeit mit altersangemessenem Wortmaterial überprüft werden.

Lenhard (2013) hat die Teilprozesse des Lesens und damit zu erwerbende Teilfertigkeiten von Lesekompetenz in seinem Situationsmodell in hierarchieniedere und hierarchiehohe Prozesse systematisiert. Für die Lesefertigkeit sind die hierarchieniederen Prozesse (z. B. Rekodieren und Dekodieren), für das Leseverständnis hierarchiehohe Prozesse (z. B. Anwendung von Lesestrategien) ausschlaggebend. Hierarchie ist dabei nicht mit Über- oder Unterlegenheit bestimmter Prozesse zu verstehen. Es geht vielmehr darum, dass hierarchieniedere Prozesse durch stetige Übung automatisiert werden können und somit mentale Ressourcen freigeben, die dann für hierarchiehohe Prozesse verwendet werden können. Das Modell von Lenhard (2013) wird im nächsten Abschnitt insbesondere in seiner Bedeutung für die Entwicklung des Leseverständnisses weiter erläutert. Das für die Förderung hierarchieniederer Prozesse des Lesens und für die Rechtschreibentwicklung besonders relevante Modell des Schriftspracherwerbs von Frith (1986) und Günther (1986) wird in Abschnitt 1.5 dargestellt.

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